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Allgemeine Zeitung. Nr. 126. Augsburg, 5. Mai 1840.

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Augsburger Allgemeine Zeitung.
Mit allerhöchsten Privilegien.
Dienstag
Nr. 126.
5 Mai 1840.
v. Broglie über Sylvestre de Sacy.

In Paris werden sich allerdings Wenige um die Lobrede kümmern, die gestern der Herzog v. Broglie auf Sylvestre de Sacy hielt; der Wechsel der Toilette, welcher Herren und Damen beschäftigt und die Waarenmagazine mit Käufern füllt; die abspannende Luft der Jahreszeit, die fast Alle zu behaglicher Trägheit stimmt; die Wettrennen, mit denen die fashionable Welt tändelt; Cosima, das neue Drama der Mad. Sand, das die litterarische in Athem hält; die Frauen, die, weil in leichterer Umhüllung, um so lieblicher erscheinen, sogar die Heirath des Herzogs von Nemour - diese verschiedenen Gegenstände nehmen jetzt die in diesem Moment etwas schläfrige Aufmerksamkeit der Pariser größtentheils in Anspruch, und ich glaube kaum, daß selbst der Nachtrag der Amnestie außerhalb der Journale zu vielem Reden Anlaß geben wird. Um wie viel weniger kann man eine solche Gunst für einen Vortrag erwarten, dessen Stoff das Leben eines Gelehrten ist, und dessen Ausführung außer dem Kreise der Freunde, Verehrer und Collegen des Lobredners wie des Belobten, höchstens die geringe Anzahl derer interessirt, die sich als ästhetische Feinschmecker aufthun. An Sie in Deutschland aber, die an Allem, was nur ein bißchen gründlich gelehrt ist, lebendigen Antheil nehmen, und tüchtigen Männern der Wissenschaft, selbst wenn es Franzosen sind, ihre Sympathie nicht versagen, werd' ich ohne Anstand einige Worte darüber richten können. Als die Erinnerung an einen mächtigen Gelehrten, ist jedes würdige Wort über Sylvestre de Sacy sicher dem deutschen Geiste werth; doch nicht allein als Gelehrter verdient er unsere Achtung: er war einer der gediegensten, reinsten, in vollster Bedeutung classischen Charaktere, von denen die Geschichte berühmter Geister weiß, und wenigen Menschen nur war es vergönnt, die Blume ächter Humanität in ihrem Leben so unverwelkt zu erhalten. Das Geizen nach lautem Ruhm war nicht die sichtbare Springfeder seiner Arbeiten - über ihre geheimen Antriebe schuldet die Seele keinem irdischen Gericht Rechenschaft - aber nach dem unabänderlichen Eifer, den er während so vieler Jahre vorzugsweise denselben Studien gewidmet, und nach der Höhe zu urtheilen, auf die er seine Sendung als Gelehrter gebracht, war eine unbeugsame Liebe des erwählten Berufs der erste und stärkste Stachel seines Geistes. Neben dieser begeisterten, ausdauernden Pietät für die Wissenschaft hatte aufrichtige, ausgeübte Frömmigkeit einen Ehrenplatz in seinem Gemüth, und wenn wir Ampere und Laplace, Remusat und de Sacy, wenn wir so glänzende Gestalten an dem Herde der Religion vereinigt sehen, so können wir nimmer an ihr nahes Ende glauben. Das entstehende Christenthum hatte seine Martyrer - es waren seine Zeugen gegen eine feindselige Gesellschaft; heute, scheint es, sind die ersten Größen der Wissenschaft diese Zeugen gegen die Gleichgültigkeit und den Unglauben eines Theils der Mitwelt. In dem Gedränge der Revolution bewährte de Sacy die Tüchtigkeit seines Charakters und die Größe seines Muthes. Es war eine gefährliche Sache, in jenen Tagen des Schreckens, wo jede Kirche geschlossen und der alte Glaube geächtet war, seine Pflicht als Christ ohne Scheu und Hehl zu erfüllen; mit Leuten, wie Barrere und St. Just war nicht zu spaßen, und der Umstand, daß der Name des Mannes, der, nach späterer Aussage eines gebildeten Reisenden aus dem Orient, das Arabische wie ein Emir schrieb, schon zu ansehnlicher Berühmtheit gelangt war, hätte ihm nichts geholfen: das Beil der Jacobinischen Guillotine fragte nicht nach dem Quantum von Weisheit in dem Kopfe, den es abschlug. Allein der hohe Ernst, der in Sacy's Ungehorsam gegen die revolutionäre Gewalt lag, mochte den Menschen, die damals über Leben und Tod geboten, Achtung einflößen, und der Rücksicht auf seinen ausgezeichneten Geist die nöthige Kraft verleihen. Als er später, um eine seinen Kenntnissen angemessene Wirksamkeit zu erhalten, den Eid: "Haß dem Königthum" leisten sollte, entsagte er lieber den Vortheilen einer schönen Stellung, als seiner politischen Ueberzeugung. So stolz er aber den Mächtigen gegenüber auftrat, so bescheiden war er in andern Verhältnissen, und er verheimlichte es keineswegs, daß er manche schwierige Stelle morgenländischer Schriftsteller noch nicht verstehe, war aber dabei auf das ernsteste bemüht, das noch Unbegriffene zu erklären.

Daß der Herzog v. Broglie die Gedächtnißrede hielt, hat vielleicht Manchen überrascht, der einem Fachgelehrten diese Aufgabe im voraus zugewiesen; allein abgesehen davon, daß die Pairskammer kaum einen Mann besitzt, welcher der Wissenschaft Sacy's angehört, so wird ja in einer Panegyris keine tief gelehrte Untersuchung, nur ein schneller Hinblick auf die Arbeiten des Verstorbenen, den man lobt, nur so viel verlangt, als man durch allgemeine Bildung wissen, oder so viel höchstens, als man durch Nachfrage bei einem Professor leicht erfahren kann. Die Hauptsache bleibt hier doch immer die geschmackvolle übersichtliche Zusammenstellung des biographischen Stoffs, und dazu war wohl keiner der Fachgelehrten, die in der bejahrten Kammer sitzen, geeigneter, als der Herzog v. Broglie. Aus seinem Vortrag sey hier nur Ein Factum noch hervorgehoben - das Factum, womit der edle Pair in historischer Einfachheit beginnt, daß Sacy in Paris geboren ist - in Paris, der Wiege Moliere's, Helvetius', Talleyrands, Voltaire's, der in dem Weichbilde der Stadt zur Welt kam, Berangers, Paul Louis Courriers, Horace Vernets und vieler andern bedeutenden Männer, die mir jetzt nicht beifallen. Keine Provinz Frankreichs, selbst die größte nicht, kann sich einer ähnlichen Fruchtbarkeit rühmen, und in dieser Luft von Lutetia, die aus dem angestammten Kothe stets giftige Atome zieht, und schwerlich sonstwo so südlich warm unter demselben Breitegrade vorkommen möchte, werden, wie es scheint, die begabteren Naturen, wie die heillosen Ereignisse, in dichterer Masse als anderwärts ausgebrütet. So steht Paris in jeder Beziehung unter den Städten des Reichs voran: neben seinen Denkmalen von todtem Stein, welche die Zeit verzehren kann, hat es die lebendigen Monumente, die ewig dauern, neben seinen Akademien Männer, die mehr sind als ganze Akademien.

Die Colonisation von Liberia.

Ich schrieb Ihnen vor einigen Monaten, daß ich Ihnen über die Fortschritte der Cultur an der Westseite von Afrika, namentlich insofern diese von den Amerikanern ausgeht, und über die Sklaverei und den Sklavenhandel einige nicht uninteressante Mittheilungen zu machen hätte. Es freut mich, daß ich Wort zu halten im Stande bin, und daß mich das Schicksal auf meiner Reise hieher mit Hrn. D - S - zusammentreffen ließ, welcher den Dienst eines regelmäßigen Postpaketboots zwischens New-York und Liberia - Via Sierra Leone - versieht, und am besten im Stande seyn dürfte, über die dortigen Zustände ein gesundes Urtheil zu fällen.


Augsburger Allgemeine Zeitung.
Mit allerhöchsten Privilegien.
Dienstag
Nr. 126.
5 Mai 1840.
v. Broglie über Sylvestre de Sacy.

In Paris werden sich allerdings Wenige um die Lobrede kümmern, die gestern der Herzog v. Broglie auf Sylvestre de Sacy hielt; der Wechsel der Toilette, welcher Herren und Damen beschäftigt und die Waarenmagazine mit Käufern füllt; die abspannende Luft der Jahreszeit, die fast Alle zu behaglicher Trägheit stimmt; die Wettrennen, mit denen die fashionable Welt tändelt; Cosima, das neue Drama der Mad. Sand, das die litterarische in Athem hält; die Frauen, die, weil in leichterer Umhüllung, um so lieblicher erscheinen, sogar die Heirath des Herzogs von Nemour – diese verschiedenen Gegenstände nehmen jetzt die in diesem Moment etwas schläfrige Aufmerksamkeit der Pariser größtentheils in Anspruch, und ich glaube kaum, daß selbst der Nachtrag der Amnestie außerhalb der Journale zu vielem Reden Anlaß geben wird. Um wie viel weniger kann man eine solche Gunst für einen Vortrag erwarten, dessen Stoff das Leben eines Gelehrten ist, und dessen Ausführung außer dem Kreise der Freunde, Verehrer und Collegen des Lobredners wie des Belobten, höchstens die geringe Anzahl derer interessirt, die sich als ästhetische Feinschmecker aufthun. An Sie in Deutschland aber, die an Allem, was nur ein bißchen gründlich gelehrt ist, lebendigen Antheil nehmen, und tüchtigen Männern der Wissenschaft, selbst wenn es Franzosen sind, ihre Sympathie nicht versagen, werd' ich ohne Anstand einige Worte darüber richten können. Als die Erinnerung an einen mächtigen Gelehrten, ist jedes würdige Wort über Sylvestre de Sacy sicher dem deutschen Geiste werth; doch nicht allein als Gelehrter verdient er unsere Achtung: er war einer der gediegensten, reinsten, in vollster Bedeutung classischen Charaktere, von denen die Geschichte berühmter Geister weiß, und wenigen Menschen nur war es vergönnt, die Blume ächter Humanität in ihrem Leben so unverwelkt zu erhalten. Das Geizen nach lautem Ruhm war nicht die sichtbare Springfeder seiner Arbeiten – über ihre geheimen Antriebe schuldet die Seele keinem irdischen Gericht Rechenschaft – aber nach dem unabänderlichen Eifer, den er während so vieler Jahre vorzugsweise denselben Studien gewidmet, und nach der Höhe zu urtheilen, auf die er seine Sendung als Gelehrter gebracht, war eine unbeugsame Liebe des erwählten Berufs der erste und stärkste Stachel seines Geistes. Neben dieser begeisterten, ausdauernden Pietät für die Wissenschaft hatte aufrichtige, ausgeübte Frömmigkeit einen Ehrenplatz in seinem Gemüth, und wenn wir Ampère und Laplace, Remusat und de Sacy, wenn wir so glänzende Gestalten an dem Herde der Religion vereinigt sehen, so können wir nimmer an ihr nahes Ende glauben. Das entstehende Christenthum hatte seine Martyrer – es waren seine Zeugen gegen eine feindselige Gesellschaft; heute, scheint es, sind die ersten Größen der Wissenschaft diese Zeugen gegen die Gleichgültigkeit und den Unglauben eines Theils der Mitwelt. In dem Gedränge der Revolution bewährte de Sacy die Tüchtigkeit seines Charakters und die Größe seines Muthes. Es war eine gefährliche Sache, in jenen Tagen des Schreckens, wo jede Kirche geschlossen und der alte Glaube geächtet war, seine Pflicht als Christ ohne Scheu und Hehl zu erfüllen; mit Leuten, wie Barrère und St. Just war nicht zu spaßen, und der Umstand, daß der Name des Mannes, der, nach späterer Aussage eines gebildeten Reisenden aus dem Orient, das Arabische wie ein Emir schrieb, schon zu ansehnlicher Berühmtheit gelangt war, hätte ihm nichts geholfen: das Beil der Jacobinischen Guillotine fragte nicht nach dem Quantum von Weisheit in dem Kopfe, den es abschlug. Allein der hohe Ernst, der in Sacy's Ungehorsam gegen die revolutionäre Gewalt lag, mochte den Menschen, die damals über Leben und Tod geboten, Achtung einflößen, und der Rücksicht auf seinen ausgezeichneten Geist die nöthige Kraft verleihen. Als er später, um eine seinen Kenntnissen angemessene Wirksamkeit zu erhalten, den Eid: „Haß dem Königthum“ leisten sollte, entsagte er lieber den Vortheilen einer schönen Stellung, als seiner politischen Ueberzeugung. So stolz er aber den Mächtigen gegenüber auftrat, so bescheiden war er in andern Verhältnissen, und er verheimlichte es keineswegs, daß er manche schwierige Stelle morgenländischer Schriftsteller noch nicht verstehe, war aber dabei auf das ernsteste bemüht, das noch Unbegriffene zu erklären.

Daß der Herzog v. Broglie die Gedächtnißrede hielt, hat vielleicht Manchen überrascht, der einem Fachgelehrten diese Aufgabe im voraus zugewiesen; allein abgesehen davon, daß die Pairskammer kaum einen Mann besitzt, welcher der Wissenschaft Sacy's angehört, so wird ja in einer Panegyris keine tief gelehrte Untersuchung, nur ein schneller Hinblick auf die Arbeiten des Verstorbenen, den man lobt, nur so viel verlangt, als man durch allgemeine Bildung wissen, oder so viel höchstens, als man durch Nachfrage bei einem Professor leicht erfahren kann. Die Hauptsache bleibt hier doch immer die geschmackvolle übersichtliche Zusammenstellung des biographischen Stoffs, und dazu war wohl keiner der Fachgelehrten, die in der bejahrten Kammer sitzen, geeigneter, als der Herzog v. Broglie. Aus seinem Vortrag sey hier nur Ein Factum noch hervorgehoben – das Factum, womit der edle Pair in historischer Einfachheit beginnt, daß Sacy in Paris geboren ist – in Paris, der Wiege Molière's, Helvetius', Talleyrands, Voltaire's, der in dem Weichbilde der Stadt zur Welt kam, Berangers, Paul Louis Courriers, Horace Vernets und vieler andern bedeutenden Männer, die mir jetzt nicht beifallen. Keine Provinz Frankreichs, selbst die größte nicht, kann sich einer ähnlichen Fruchtbarkeit rühmen, und in dieser Luft von Lutetia, die aus dem angestammten Kothe stets giftige Atome zieht, und schwerlich sonstwo so südlich warm unter demselben Breitegrade vorkommen möchte, werden, wie es scheint, die begabteren Naturen, wie die heillosen Ereignisse, in dichterer Masse als anderwärts ausgebrütet. So steht Paris in jeder Beziehung unter den Städten des Reichs voran: neben seinen Denkmalen von todtem Stein, welche die Zeit verzehren kann, hat es die lebendigen Monumente, die ewig dauern, neben seinen Akademien Männer, die mehr sind als ganze Akademien.

Die Colonisation von Liberia.

Ich schrieb Ihnen vor einigen Monaten, daß ich Ihnen über die Fortschritte der Cultur an der Westseite von Afrika, namentlich insofern diese von den Amerikanern ausgeht, und über die Sklaverei und den Sklavenhandel einige nicht uninteressante Mittheilungen zu machen hätte. Es freut mich, daß ich Wort zu halten im Stande bin, und daß mich das Schicksal auf meiner Reise hieher mit Hrn. D – S – zusammentreffen ließ, welcher den Dienst eines regelmäßigen Postpaketboots zwischens New-York und Liberia – Via Sierra Leone – versieht, und am besten im Stande seyn dürfte, über die dortigen Zustände ein gesundes Urtheil zu fällen.

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[1001/0001] Augsburger Allgemeine Zeitung. Mit allerhöchsten Privilegien. Dienstag Nr. 126. 5 Mai 1840. v. Broglie über Sylvestre de Sacy. _ Paris, 28 April. In Paris werden sich allerdings Wenige um die Lobrede kümmern, die gestern der Herzog v. Broglie auf Sylvestre de Sacy hielt; der Wechsel der Toilette, welcher Herren und Damen beschäftigt und die Waarenmagazine mit Käufern füllt; die abspannende Luft der Jahreszeit, die fast Alle zu behaglicher Trägheit stimmt; die Wettrennen, mit denen die fashionable Welt tändelt; Cosima, das neue Drama der Mad. Sand, das die litterarische in Athem hält; die Frauen, die, weil in leichterer Umhüllung, um so lieblicher erscheinen, sogar die Heirath des Herzogs von Nemour – diese verschiedenen Gegenstände nehmen jetzt die in diesem Moment etwas schläfrige Aufmerksamkeit der Pariser größtentheils in Anspruch, und ich glaube kaum, daß selbst der Nachtrag der Amnestie außerhalb der Journale zu vielem Reden Anlaß geben wird. Um wie viel weniger kann man eine solche Gunst für einen Vortrag erwarten, dessen Stoff das Leben eines Gelehrten ist, und dessen Ausführung außer dem Kreise der Freunde, Verehrer und Collegen des Lobredners wie des Belobten, höchstens die geringe Anzahl derer interessirt, die sich als ästhetische Feinschmecker aufthun. An Sie in Deutschland aber, die an Allem, was nur ein bißchen gründlich gelehrt ist, lebendigen Antheil nehmen, und tüchtigen Männern der Wissenschaft, selbst wenn es Franzosen sind, ihre Sympathie nicht versagen, werd' ich ohne Anstand einige Worte darüber richten können. Als die Erinnerung an einen mächtigen Gelehrten, ist jedes würdige Wort über Sylvestre de Sacy sicher dem deutschen Geiste werth; doch nicht allein als Gelehrter verdient er unsere Achtung: er war einer der gediegensten, reinsten, in vollster Bedeutung classischen Charaktere, von denen die Geschichte berühmter Geister weiß, und wenigen Menschen nur war es vergönnt, die Blume ächter Humanität in ihrem Leben so unverwelkt zu erhalten. Das Geizen nach lautem Ruhm war nicht die sichtbare Springfeder seiner Arbeiten – über ihre geheimen Antriebe schuldet die Seele keinem irdischen Gericht Rechenschaft – aber nach dem unabänderlichen Eifer, den er während so vieler Jahre vorzugsweise denselben Studien gewidmet, und nach der Höhe zu urtheilen, auf die er seine Sendung als Gelehrter gebracht, war eine unbeugsame Liebe des erwählten Berufs der erste und stärkste Stachel seines Geistes. Neben dieser begeisterten, ausdauernden Pietät für die Wissenschaft hatte aufrichtige, ausgeübte Frömmigkeit einen Ehrenplatz in seinem Gemüth, und wenn wir Ampère und Laplace, Remusat und de Sacy, wenn wir so glänzende Gestalten an dem Herde der Religion vereinigt sehen, so können wir nimmer an ihr nahes Ende glauben. Das entstehende Christenthum hatte seine Martyrer – es waren seine Zeugen gegen eine feindselige Gesellschaft; heute, scheint es, sind die ersten Größen der Wissenschaft diese Zeugen gegen die Gleichgültigkeit und den Unglauben eines Theils der Mitwelt. In dem Gedränge der Revolution bewährte de Sacy die Tüchtigkeit seines Charakters und die Größe seines Muthes. Es war eine gefährliche Sache, in jenen Tagen des Schreckens, wo jede Kirche geschlossen und der alte Glaube geächtet war, seine Pflicht als Christ ohne Scheu und Hehl zu erfüllen; mit Leuten, wie Barrère und St. Just war nicht zu spaßen, und der Umstand, daß der Name des Mannes, der, nach späterer Aussage eines gebildeten Reisenden aus dem Orient, das Arabische wie ein Emir schrieb, schon zu ansehnlicher Berühmtheit gelangt war, hätte ihm nichts geholfen: das Beil der Jacobinischen Guillotine fragte nicht nach dem Quantum von Weisheit in dem Kopfe, den es abschlug. Allein der hohe Ernst, der in Sacy's Ungehorsam gegen die revolutionäre Gewalt lag, mochte den Menschen, die damals über Leben und Tod geboten, Achtung einflößen, und der Rücksicht auf seinen ausgezeichneten Geist die nöthige Kraft verleihen. Als er später, um eine seinen Kenntnissen angemessene Wirksamkeit zu erhalten, den Eid: „Haß dem Königthum“ leisten sollte, entsagte er lieber den Vortheilen einer schönen Stellung, als seiner politischen Ueberzeugung. So stolz er aber den Mächtigen gegenüber auftrat, so bescheiden war er in andern Verhältnissen, und er verheimlichte es keineswegs, daß er manche schwierige Stelle morgenländischer Schriftsteller noch nicht verstehe, war aber dabei auf das ernsteste bemüht, das noch Unbegriffene zu erklären. Daß der Herzog v. 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Aus seinem Vortrag sey hier nur Ein Factum noch hervorgehoben – das Factum, womit der edle Pair in historischer Einfachheit beginnt, daß Sacy in Paris geboren ist – in Paris, der Wiege Molière's, Helvetius', Talleyrands, Voltaire's, der in dem Weichbilde der Stadt zur Welt kam, Berangers, Paul Louis Courriers, Horace Vernets und vieler andern bedeutenden Männer, die mir jetzt nicht beifallen. Keine Provinz Frankreichs, selbst die größte nicht, kann sich einer ähnlichen Fruchtbarkeit rühmen, und in dieser Luft von Lutetia, die aus dem angestammten Kothe stets giftige Atome zieht, und schwerlich sonstwo so südlich warm unter demselben Breitegrade vorkommen möchte, werden, wie es scheint, die begabteren Naturen, wie die heillosen Ereignisse, in dichterer Masse als anderwärts ausgebrütet. So steht Paris in jeder Beziehung unter den Städten des Reichs voran: neben seinen Denkmalen von todtem Stein, welche die Zeit verzehren kann, hat es die lebendigen Monumente, die ewig dauern, neben seinen Akademien Männer, die mehr sind als ganze Akademien. Die Colonisation von Liberia. _ New-York, Ende März. Ich schrieb Ihnen vor einigen Monaten, daß ich Ihnen über die Fortschritte der Cultur an der Westseite von Afrika, namentlich insofern diese von den Amerikanern ausgeht, und über die Sklaverei und den Sklavenhandel einige nicht uninteressante Mittheilungen zu machen hätte. Es freut mich, daß ich Wort zu halten im Stande bin, und daß mich das Schicksal auf meiner Reise hieher mit Hrn. D – S – zusammentreffen ließ, welcher den Dienst eines regelmäßigen Postpaketboots zwischens New-York und Liberia – Via Sierra Leone – versieht, und am besten im Stande seyn dürfte, über die dortigen Zustände ein gesundes Urtheil zu fällen.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 126. Augsburg, 5. Mai 1840, S. 1001. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_126_18400505/1>, abgerufen am 25.04.2024.