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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Ehe ist ihm fremd, obgleich er die geschlechtliche Vereinigung
sucht, sobald der frühgeweckte Naturtrieb dazu anreizt. Der Bei-
spiele sind unzählige. Des Sonnenwirthles Frau, Christine Schat-
tinger, gab sich schon als zwölfjähriges Kind preis. 1) Der
Gegenstand der Wahl muß unverwüstlich in der Wollust, unver-
drossen in Verrichtung der, den Weibern allein zur Last fallenden,
häuslichen Arbeit, kräftig und ausdauernd zum Tragen von Ge-
päck und Kindern auf der Reise, schlau zum Baldowern und
geneigt und geschickt zum Handeln, d. h. Stehlen, sein. Gegen
diese Vorzüge schwindet die strenge Forderung körperlicher Schön-
heit, obgleich sie als angenehme Beigabe willkommen ist. Ent-
sprechende Forderungen stellen die Dirnen und Weiber: der kräf-
tige, beherzte, verschlagene und renommirte Freier ist der will-
kommenste. Nur äußerer Zwang führt zur Ehe, die aber keines-
wegs ein Hinderniß ist, anderweitige Verbindungen einzugehen. 2)

1) Aehnliche trübe Beispiele habe auch ich in meiner Polizeipraxis noch
ganz neuerlich erlebt. Es scheint sogar, als ob die Kindlichkeit in den ver-
dorbenen niedern Schichten nur noch als künstliche Erscheinung benutzt wird,
um hinter ihr das verworfene Laster zu verstecken. Wer sucht in verkrüppel-
ten oder unreifen Kindern die Erwerbsquellen kupplerischer Mütter!
2) Schäffer erwähnt des Gauners Sichler, der gerade zwölf Beischlä-
ferinnen zugleich hatte; so auch einer gleichzeitigen, mit scheußlichem Spitznamen
benannten Gaunerin, die zwei Ehemänner und eine Menge Beischläfer hatte.
Die Beischläferinnen werden übrigens mit Schikse, Schiksel, besonders aber
mit Pilegesch, Pilegsche bezeichnet, vom hebräischen [fremdsprachliches Material - fehlt], Plural [fremdsprachliches Material - fehlt] Bei-
schläferin und Beischläfer (worin das griechische o und e pallax und das lateinische
Femin. pellex), das jedoch in der Gaunersprache nur als Femin. gebraucht wird.
Für den Beischläfer wie für den Ehemann wird der Ausdruck Kaffer (Cha-
ver), auch wohl Bal, Jsch und Freier gebraucht. Meistens nennt die
Gaunerin ihren Beischläfer Kröner, welcher Ausdruck des Liber vagatorum
sich bisjetzt noch erhalten hat für Ehemann, wie Krönerin, Ehefrau, wahr-
scheinlich von [fremdsprachliches Material - fehlt], keren, Horn, Haupt, Machthaber, während Erlat, Er-
latin
des Liber Vagatorum, wahrscheinlich der hebräische Ausdruck für Chri-
sten,
Orel ([fremdsprachliches Material - fehlt]), Fem. Orelte, außer Brauch gekommen ist. Jm Jüdisch-
Deutsch ist für Ehemann Balischo, für Ehefrau Jsche, Baile. Von
Sug, das Ehepaar, ist Sugo, Sugas, Sugos, Ehefrau und Bensog,
Ehemann, Bethsog, Ehefrau. Vgl. Stern, "Medr. Seph..", S. 78. -- Vgl.
das Weitere beim Schärfenspielen und Eintippeln, Kap. 89 und 90.

Ehe iſt ihm fremd, obgleich er die geſchlechtliche Vereinigung
ſucht, ſobald der frühgeweckte Naturtrieb dazu anreizt. Der Bei-
ſpiele ſind unzählige. Des Sonnenwirthles Frau, Chriſtine Schat-
tinger, gab ſich ſchon als zwölfjähriges Kind preis. 1) Der
Gegenſtand der Wahl muß unverwüſtlich in der Wolluſt, unver-
droſſen in Verrichtung der, den Weibern allein zur Laſt fallenden,
häuslichen Arbeit, kräftig und ausdauernd zum Tragen von Ge-
päck und Kindern auf der Reiſe, ſchlau zum Baldowern und
geneigt und geſchickt zum Handeln, d. h. Stehlen, ſein. Gegen
dieſe Vorzüge ſchwindet die ſtrenge Forderung körperlicher Schön-
heit, obgleich ſie als angenehme Beigabe willkommen iſt. Ent-
ſprechende Forderungen ſtellen die Dirnen und Weiber: der kräf-
tige, beherzte, verſchlagene und renommirte Freier iſt der will-
kommenſte. Nur äußerer Zwang führt zur Ehe, die aber keines-
wegs ein Hinderniß iſt, anderweitige Verbindungen einzugehen. 2)

1) Aehnliche trübe Beiſpiele habe auch ich in meiner Polizeipraxis noch
ganz neuerlich erlebt. Es ſcheint ſogar, als ob die Kindlichkeit in den ver-
dorbenen niedern Schichten nur noch als künſtliche Erſcheinung benutzt wird,
um hinter ihr das verworfene Laſter zu verſtecken. Wer ſucht in verkrüppel-
ten oder unreifen Kindern die Erwerbsquellen kuppleriſcher Mütter!
2) Schäffer erwähnt des Gauners Sichler, der gerade zwölf Beiſchlä-
ferinnen zugleich hatte; ſo auch einer gleichzeitigen, mit ſcheußlichem Spitznamen
benannten Gaunerin, die zwei Ehemänner und eine Menge Beiſchläfer hatte.
Die Beiſchläferinnen werden übrigens mit Schikſe, Schikſel, beſonders aber
mit Pilegeſch, Pilegſche bezeichnet, vom hebräiſchen [fremdsprachliches Material – fehlt], Plural [fremdsprachliches Material – fehlt] Bei-
ſchläferin und Beiſchläfer (worin das griechiſche ὁ und ἡ πάλλαξ und das lateiniſche
Femin. pellex), das jedoch in der Gaunerſprache nur als Femin. gebraucht wird.
Für den Beiſchläfer wie für den Ehemann wird der Ausdruck Kaffer (Cha-
ver), auch wohl Bal, Jſch und Freier gebraucht. Meiſtens nennt die
Gaunerin ihren Beiſchläfer Kröner, welcher Ausdruck des Liber vagatorum
ſich bisjetzt noch erhalten hat für Ehemann, wie Krönerin, Ehefrau, wahr-
ſcheinlich von [fremdsprachliches Material – fehlt], keren, Horn, Haupt, Machthaber, während Erlat, Er-
latin
des Liber Vagatorum, wahrſcheinlich der hebräiſche Ausdruck für Chri-
ſten,
Orel ([fremdsprachliches Material – fehlt]), Fem. Orelte, außer Brauch gekommen iſt. Jm Jüdiſch-
Deutſch iſt für Ehemann Baliſcho, für Ehefrau Jſche, Baile. Von
Sug, das Ehepaar, iſt Sugo, Sugas, Sugos, Ehefrau und Benſog,
Ehemann, Bethſog, Ehefrau. Vgl. Stern, „Medr. Seph..“, S. 78. — Vgl.
das Weitere beim Schärfenſpielen und Eintippeln, Kap. 89 und 90.
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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum02_1858/21>, abgerufen am 18.04.2024.