Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

diesen Stoff in dem zuerst beabsichtigten geringen Umfange eines
einzigen Bandes zu bewältigen. Riesengroß wuchs der Stoff
unter den ordnenden Händen hervor: der Raum mußte vergrößert
und das Ganze in mindestens zwei Bände vertheilt werden. Und
doch ist der Verfasser durch und durch unzufrieden, daß er überall
ja nur Andeutungen geben und unzählig Vieles nicht so, wie er
es wünschte, ausarbeiten konnte. So muß er am Abschluß
seiner angestrengten Forschungen die ganze Arbeit doch nur für
den bloßen Ausdruck des dringenden Wunsches erkennen, daß das
neugeöffnete Feld recht viele gründliche berufene Forscher und Be-
arbeiter finden möge!

Wie tief nun auch der Verfasser die Schwierigkeit der Aufgabe
empfunden hatte, wie sehr er auch von dem Gefühl gedrückt war,
daß eines einzelnen Menschen Kraft nicht ausreiche zu ihrer
Lösung, so fühlte er doch mit dem bittersten Ernst den verwegenen
Hohn und Uebermuth des alten Gaunerworts: "daß die Welt
untergehen werde, wenn die Laien die Gaunersprache redeten".
Der Polizeimann mußte tagaus tagein sehen, wie das Gauner-
thum das ganze Leben durchdrungen hatte und mit seinen Po-
lypenarmen umklammert hielt; er mußte sehen, wie es keinen
Kreis, keine Gruppe im socialpolitischen Leben gab, wohin nicht
das Gaunerthum gedrungen, hineingewirkt, wo es nicht seine
Beute so sicher gefaßt hätte wie ein Raubthier, das erst mit
seinem Opfer spielt, ehe es dasselbe zerreißt und verschlingt: er
wagte es mit seiner vereinzelten schwachen Kraft, aber auch mit
allen Opfern, die der Gelehrte nur bringen konnte in lang-
jähriger treuer Arbeit! Mitten in den ernsten Sprachstudien, die
er, wenn auch einstiger Schüler eines der besten deutschen Gym-
nasien, des lübecker Katharineum, doch immer nur als Laie und
ganz auf eigene Hand, machen und mit welchen er sich vor die
Kritik der größten Linguisten der Welt, der deutschen, wagen
mußte, hat er beständig auf das Volk gesehen, auf den Volks-

dieſen Stoff in dem zuerſt beabſichtigten geringen Umfange eines
einzigen Bandes zu bewältigen. Rieſengroß wuchs der Stoff
unter den ordnenden Händen hervor: der Raum mußte vergrößert
und das Ganze in mindeſtens zwei Bände vertheilt werden. Und
doch iſt der Verfaſſer durch und durch unzufrieden, daß er überall
ja nur Andeutungen geben und unzählig Vieles nicht ſo, wie er
es wünſchte, ausarbeiten konnte. So muß er am Abſchluß
ſeiner angeſtrengten Forſchungen die ganze Arbeit doch nur für
den bloßen Ausdruck des dringenden Wunſches erkennen, daß das
neugeöffnete Feld recht viele gründliche berufene Forſcher und Be-
arbeiter finden möge!

Wie tief nun auch der Verfaſſer die Schwierigkeit der Aufgabe
empfunden hatte, wie ſehr er auch von dem Gefühl gedrückt war,
daß eines einzelnen Menſchen Kraft nicht ausreiche zu ihrer
Löſung, ſo fühlte er doch mit dem bitterſten Ernſt den verwegenen
Hohn und Uebermuth des alten Gaunerworts: „daß die Welt
untergehen werde, wenn die Laien die Gaunerſprache redeten“.
Der Polizeimann mußte tagaus tagein ſehen, wie das Gauner-
thum das ganze Leben durchdrungen hatte und mit ſeinen Po-
lypenarmen umklammert hielt; er mußte ſehen, wie es keinen
Kreis, keine Gruppe im ſocialpolitiſchen Leben gab, wohin nicht
das Gaunerthum gedrungen, hineingewirkt, wo es nicht ſeine
Beute ſo ſicher gefaßt hätte wie ein Raubthier, das erſt mit
ſeinem Opfer ſpielt, ehe es daſſelbe zerreißt und verſchlingt: er
wagte es mit ſeiner vereinzelten ſchwachen Kraft, aber auch mit
allen Opfern, die der Gelehrte nur bringen konnte in lang-
jähriger treuer Arbeit! Mitten in den ernſten Sprachſtudien, die
er, wenn auch einſtiger Schüler eines der beſten deutſchen Gym-
naſien, des lübecker Katharineum, doch immer nur als Laie und
ganz auf eigene Hand, machen und mit welchen er ſich vor die
Kritik der größten Linguiſten der Welt, der deutſchen, wagen
mußte, hat er beſtändig auf das Volk geſehen, auf den Volks-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="X"/>
die&#x017F;en Stoff in dem zuer&#x017F;t beab&#x017F;ichtigten geringen Umfange eines<lb/>
einzigen Bandes zu bewältigen. Rie&#x017F;engroß wuchs der Stoff<lb/>
unter den ordnenden Händen hervor: der Raum mußte vergrößert<lb/>
und das Ganze in minde&#x017F;tens zwei Bände vertheilt werden. Und<lb/>
doch i&#x017F;t der Verfa&#x017F;&#x017F;er durch und durch unzufrieden, daß er überall<lb/>
ja nur Andeutungen geben und unzählig Vieles nicht &#x017F;o, wie er<lb/>
es wün&#x017F;chte, ausarbeiten konnte. So muß er am Ab&#x017F;chluß<lb/>
&#x017F;einer ange&#x017F;trengten For&#x017F;chungen die ganze Arbeit doch nur für<lb/>
den bloßen Ausdruck des dringenden Wun&#x017F;ches erkennen, daß das<lb/>
neugeöffnete Feld recht viele gründliche berufene For&#x017F;cher und Be-<lb/>
arbeiter finden möge!</p><lb/>
        <p>Wie tief nun auch der Verfa&#x017F;&#x017F;er die Schwierigkeit der Aufgabe<lb/>
empfunden hatte, wie &#x017F;ehr er auch von dem Gefühl gedrückt war,<lb/>
daß eines einzelnen Men&#x017F;chen Kraft nicht ausreiche zu ihrer<lb/>&#x017F;ung, &#x017F;o fühlte er doch mit dem bitter&#x017F;ten Ern&#x017F;t den verwegenen<lb/>
Hohn und Uebermuth des alten Gaunerworts: &#x201E;daß die Welt<lb/>
untergehen werde, wenn die Laien die Gauner&#x017F;prache redeten&#x201C;.<lb/>
Der Polizeimann mußte tagaus tagein &#x017F;ehen, wie das Gauner-<lb/>
thum das ganze Leben durchdrungen hatte und mit &#x017F;einen Po-<lb/>
lypenarmen umklammert hielt; er mußte &#x017F;ehen, wie es keinen<lb/>
Kreis, keine Gruppe im &#x017F;ocialpoliti&#x017F;chen Leben gab, wohin nicht<lb/>
das Gaunerthum gedrungen, hineingewirkt, wo es nicht &#x017F;eine<lb/>
Beute &#x017F;o &#x017F;icher gefaßt hätte wie ein Raubthier, das er&#x017F;t mit<lb/>
&#x017F;einem Opfer &#x017F;pielt, ehe es da&#x017F;&#x017F;elbe zerreißt und ver&#x017F;chlingt: er<lb/>
wagte es mit &#x017F;einer vereinzelten &#x017F;chwachen Kraft, aber auch mit<lb/>
allen Opfern, die der Gelehrte nur bringen konnte in lang-<lb/>
jähriger treuer Arbeit! Mitten in den ern&#x017F;ten Sprach&#x017F;tudien, die<lb/>
er, wenn auch ein&#x017F;tiger Schüler eines der be&#x017F;ten deut&#x017F;chen Gym-<lb/>
na&#x017F;ien, des lübecker Katharineum, doch immer nur als Laie und<lb/>
ganz auf eigene Hand, machen und mit welchen er &#x017F;ich vor die<lb/>
Kritik der größten Lingui&#x017F;ten der Welt, der deut&#x017F;chen, wagen<lb/>
mußte, hat er be&#x017F;tändig auf das <hi rendition="#g">Volk</hi> ge&#x017F;ehen, auf den <hi rendition="#g">Volks-<lb/></hi></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[X/0014] dieſen Stoff in dem zuerſt beabſichtigten geringen Umfange eines einzigen Bandes zu bewältigen. Rieſengroß wuchs der Stoff unter den ordnenden Händen hervor: der Raum mußte vergrößert und das Ganze in mindeſtens zwei Bände vertheilt werden. Und doch iſt der Verfaſſer durch und durch unzufrieden, daß er überall ja nur Andeutungen geben und unzählig Vieles nicht ſo, wie er es wünſchte, ausarbeiten konnte. So muß er am Abſchluß ſeiner angeſtrengten Forſchungen die ganze Arbeit doch nur für den bloßen Ausdruck des dringenden Wunſches erkennen, daß das neugeöffnete Feld recht viele gründliche berufene Forſcher und Be- arbeiter finden möge! Wie tief nun auch der Verfaſſer die Schwierigkeit der Aufgabe empfunden hatte, wie ſehr er auch von dem Gefühl gedrückt war, daß eines einzelnen Menſchen Kraft nicht ausreiche zu ihrer Löſung, ſo fühlte er doch mit dem bitterſten Ernſt den verwegenen Hohn und Uebermuth des alten Gaunerworts: „daß die Welt untergehen werde, wenn die Laien die Gaunerſprache redeten“. Der Polizeimann mußte tagaus tagein ſehen, wie das Gauner- thum das ganze Leben durchdrungen hatte und mit ſeinen Po- lypenarmen umklammert hielt; er mußte ſehen, wie es keinen Kreis, keine Gruppe im ſocialpolitiſchen Leben gab, wohin nicht das Gaunerthum gedrungen, hineingewirkt, wo es nicht ſeine Beute ſo ſicher gefaßt hätte wie ein Raubthier, das erſt mit ſeinem Opfer ſpielt, ehe es daſſelbe zerreißt und verſchlingt: er wagte es mit ſeiner vereinzelten ſchwachen Kraft, aber auch mit allen Opfern, die der Gelehrte nur bringen konnte in lang- jähriger treuer Arbeit! Mitten in den ernſten Sprachſtudien, die er, wenn auch einſtiger Schüler eines der beſten deutſchen Gym- naſien, des lübecker Katharineum, doch immer nur als Laie und ganz auf eigene Hand, machen und mit welchen er ſich vor die Kritik der größten Linguiſten der Welt, der deutſchen, wagen mußte, hat er beſtändig auf das Volk geſehen, auf den Volks-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/14
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/14>, abgerufen am 18.04.2024.