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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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deshalb volle Aufmerksamkeit, und ihre besondere Aufzählung und
kritische Analyse würde lohnend genug sein.

Das offene, arglose Wesen des Matrosenthums bot dem Gau-
nerthum schon sehr früh Gelegenheit, alle seine Künste gegen
dasselbe spielen zu lassen. Deshalb ist denn auch die Gesetzgebung
in Hafen- und Seestädten schon sehr zeitig bemüht gewesen, das
arglose, nur zu leicht zu betrügende Seevolk durch eigene, sehr
strenge Gesetze zu schützen. Nicht nur werden Diebstähle auf und
in Schiffen als qualificirte Diebstähle sehr scharf bestraft, sondern
auch jeder Hausirhandel an, auf und in Schiffen ist streng unter-
sagt. Dennoch hat sich das Gaunerthum in die offene Weise und
Sprache des Matrosenthums tief hineinstudirt und weiß sein er-
korenes Opfer auf alle erdenkliche Art zu überlisten, wenn auch
jeder Gauner das schwere Risico sehr wohl kennt, daß der ent-
rüstete Betrogene unverdrossen manche Meile zu Fuße von einer
Hafenstadt zur andern zurücklegt, blos um mit kaltem Blute dem
Betrüger "ein blaues Auge zu geben", was ihm, zum Nachtheil
der polizeilichen Thätigkeit, bei weitem mehr Satisfaction ist als
die Bestrafung des Betrügers und voller Schadenersatz durch Ver-
mittelung der Behörde. So hat denn bei dem Eingange des Gauner-
thums auch in diese Sphäre die Gaunersprache besonders an der
norddeutschen Küste eine nicht geringe Anzahl Wörter und Redens-
arten aus der Schiffersprache in sich aufgenommen, welche dann
bei der Beweglichkeit des Gaunerthums auch tief landeinwärts ge-
tragen sind und bei ihrem Vorkommen in den entferntesten Thei-
len Deutschlands zwiefach überraschen.

Dazu findet nun aber leider das Gaunerthum, welches sich
früher kaum an Bord der Schiffe wagte, jetzt auch auf dem offe-
nen Meere das Feld seiner Thätigkeit. Wie der Materialismus
seit der Auflösung des ehrbaren Zunftwesens im sittlichen und
materiellen Elend der breiten Gewerbefreiheit seine Triumphe feiert,
so fängt denn auch das herrliche frische Matrosenleben nur allzu
entschieden und rasch an abzubrechen und droht ganz zu Grunde
zu gehen, je mehr die eigentliche wahre Schiffahrt, die Segel-
schiffahrt, von der Dampfschiffahrt verdrängt wird. Die alte Ein-

deshalb volle Aufmerkſamkeit, und ihre beſondere Aufzählung und
kritiſche Analyſe würde lohnend genug ſein.

Das offene, argloſe Weſen des Matroſenthums bot dem Gau-
nerthum ſchon ſehr früh Gelegenheit, alle ſeine Künſte gegen
daſſelbe ſpielen zu laſſen. Deshalb iſt denn auch die Geſetzgebung
in Hafen- und Seeſtädten ſchon ſehr zeitig bemüht geweſen, das
argloſe, nur zu leicht zu betrügende Seevolk durch eigene, ſehr
ſtrenge Geſetze zu ſchützen. Nicht nur werden Diebſtähle auf und
in Schiffen als qualificirte Diebſtähle ſehr ſcharf beſtraft, ſondern
auch jeder Hauſirhandel an, auf und in Schiffen iſt ſtreng unter-
ſagt. Dennoch hat ſich das Gaunerthum in die offene Weiſe und
Sprache des Matroſenthums tief hineinſtudirt und weiß ſein er-
korenes Opfer auf alle erdenkliche Art zu überliſten, wenn auch
jeder Gauner das ſchwere Riſico ſehr wohl kennt, daß der ent-
rüſtete Betrogene unverdroſſen manche Meile zu Fuße von einer
Hafenſtadt zur andern zurücklegt, blos um mit kaltem Blute dem
Betrüger „ein blaues Auge zu geben“, was ihm, zum Nachtheil
der polizeilichen Thätigkeit, bei weitem mehr Satisfaction iſt als
die Beſtrafung des Betrügers und voller Schadenerſatz durch Ver-
mittelung der Behörde. So hat denn bei dem Eingange des Gauner-
thums auch in dieſe Sphäre die Gaunerſprache beſonders an der
norddeutſchen Küſte eine nicht geringe Anzahl Wörter und Redens-
arten aus der Schifferſprache in ſich aufgenommen, welche dann
bei der Beweglichkeit des Gaunerthums auch tief landeinwärts ge-
tragen ſind und bei ihrem Vorkommen in den entfernteſten Thei-
len Deutſchlands zwiefach überraſchen.

Dazu findet nun aber leider das Gaunerthum, welches ſich
früher kaum an Bord der Schiffe wagte, jetzt auch auf dem offe-
nen Meere das Feld ſeiner Thätigkeit. Wie der Materialismus
ſeit der Auflöſung des ehrbaren Zunftweſens im ſittlichen und
materiellen Elend der breiten Gewerbefreiheit ſeine Triumphe feiert,
ſo fängt denn auch das herrliche friſche Matroſenleben nur allzu
entſchieden und raſch an abzubrechen und droht ganz zu Grunde
zu gehen, je mehr die eigentliche wahre Schiffahrt, die Segel-
ſchiffahrt, von der Dampfſchiffahrt verdrängt wird. Die alte Ein-

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[112/0146] deshalb volle Aufmerkſamkeit, und ihre beſondere Aufzählung und kritiſche Analyſe würde lohnend genug ſein. Das offene, argloſe Weſen des Matroſenthums bot dem Gau- nerthum ſchon ſehr früh Gelegenheit, alle ſeine Künſte gegen daſſelbe ſpielen zu laſſen. Deshalb iſt denn auch die Geſetzgebung in Hafen- und Seeſtädten ſchon ſehr zeitig bemüht geweſen, das argloſe, nur zu leicht zu betrügende Seevolk durch eigene, ſehr ſtrenge Geſetze zu ſchützen. Nicht nur werden Diebſtähle auf und in Schiffen als qualificirte Diebſtähle ſehr ſcharf beſtraft, ſondern auch jeder Hauſirhandel an, auf und in Schiffen iſt ſtreng unter- ſagt. Dennoch hat ſich das Gaunerthum in die offene Weiſe und Sprache des Matroſenthums tief hineinſtudirt und weiß ſein er- korenes Opfer auf alle erdenkliche Art zu überliſten, wenn auch jeder Gauner das ſchwere Riſico ſehr wohl kennt, daß der ent- rüſtete Betrogene unverdroſſen manche Meile zu Fuße von einer Hafenſtadt zur andern zurücklegt, blos um mit kaltem Blute dem Betrüger „ein blaues Auge zu geben“, was ihm, zum Nachtheil der polizeilichen Thätigkeit, bei weitem mehr Satisfaction iſt als die Beſtrafung des Betrügers und voller Schadenerſatz durch Ver- mittelung der Behörde. So hat denn bei dem Eingange des Gauner- thums auch in dieſe Sphäre die Gaunerſprache beſonders an der norddeutſchen Küſte eine nicht geringe Anzahl Wörter und Redens- arten aus der Schifferſprache in ſich aufgenommen, welche dann bei der Beweglichkeit des Gaunerthums auch tief landeinwärts ge- tragen ſind und bei ihrem Vorkommen in den entfernteſten Thei- len Deutſchlands zwiefach überraſchen. Dazu findet nun aber leider das Gaunerthum, welches ſich früher kaum an Bord der Schiffe wagte, jetzt auch auf dem offe- nen Meere das Feld ſeiner Thätigkeit. Wie der Materialismus ſeit der Auflöſung des ehrbaren Zunftweſens im ſittlichen und materiellen Elend der breiten Gewerbefreiheit ſeine Triumphe feiert, ſo fängt denn auch das herrliche friſche Matroſenleben nur allzu entſchieden und raſch an abzubrechen und droht ganz zu Grunde zu gehen, je mehr die eigentliche wahre Schiffahrt, die Segel- ſchiffahrt, von der Dampfſchiffahrt verdrängt wird. Die alte Ein-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/146>, abgerufen am 25.04.2024.