faltigsten Offenbarungen der verschiedenen Jahrhunderte zusammen- gestellt werden, welche nur in ihrer Gesammtheit die Sprache und den Geist der gewaltigen Erscheinung deutlich machen können.
Eine freudige Genugthuung hatte der Verfasser in der bei seinen Studien fortschreitend sich befestigenden Ueberzeugung, daß er mit vollem Fug die jüdischdeutsche Sprache als deutsches Eigenthum vindiciren und in der überaus reichen jüdischdeutschen Literatur unserer deutschen Nationalliteratur einen integrirenden großen Theil zuweisen konnte. Noch niemals war dies merkwür- dige zusammengeschobene Sprachgefüge untersucht worden. Die Orientalisten des 16. bis 18. Jahrhunderts in Deutschland kann- ten trotz ihrer erstaunlichen orientalischen Gelehrsamkeit ihre eigene deutsche Grammatik und Literatur nicht ausgiebig genug. Das von Juden auf deutschem Boden geschaffene merkwürdige Sprach- gefüge war aber durch das ganze deutsche Volk und dessen Leben hindurchgerankt, hatte sich diesem Leben und seiner Sprache aufs innigste angeschlossen und selbst die deutschen Sagenkreise durch- drungen, sodaß die deutschen Volksbücher in der That auch zu Volksbüchern der Juden wurden und daß z. B. der Wigalois im "König Artis und sein Hof" und manche andere deutsche Sage den poetischen Bearbeiter im deutschen Judenvolke finden konnte. Je mehr der Verfasser in die jüdischdeutsche Literatur hineindrang, desto mehr wurde er vom Erstaunen darüber ergriffen, daß dieses in der jüdischdeutschen Literatur klar und bündig vor Augen lie- gende Zeugniß vom deutschen Leben der Juden auf deutschem Boden den Orientalisten früherer Jahrhunderte so ganz entgangen sein konnte, daß sie sogar mit ihrer ungelenken Missionsliteratur den stolpernden Schritt auf das jüdischdeutsche Gebiet wie auf einen ganz exotischen Boden unternahmen, als ob der deutsche Boden dem Volke der Juden ein ganz und gar fremder, unbe- kannter sei. Aber gerade in dieser jüdischdeutschen Literatur lag das weitgreifende historische Zeugniß vom deutschen Leben des jüdischen
faltigſten Offenbarungen der verſchiedenen Jahrhunderte zuſammen- geſtellt werden, welche nur in ihrer Geſammtheit die Sprache und den Geiſt der gewaltigen Erſcheinung deutlich machen können.
Eine freudige Genugthuung hatte der Verfaſſer in der bei ſeinen Studien fortſchreitend ſich befeſtigenden Ueberzeugung, daß er mit vollem Fug die jüdiſchdeutſche Sprache als deutſches Eigenthum vindiciren und in der überaus reichen jüdiſchdeutſchen Literatur unſerer deutſchen Nationalliteratur einen integrirenden großen Theil zuweiſen konnte. Noch niemals war dies merkwür- dige zuſammengeſchobene Sprachgefüge unterſucht worden. Die Orientaliſten des 16. bis 18. Jahrhunderts in Deutſchland kann- ten trotz ihrer erſtaunlichen orientaliſchen Gelehrſamkeit ihre eigene deutſche Grammatik und Literatur nicht ausgiebig genug. Das von Juden auf deutſchem Boden geſchaffene merkwürdige Sprach- gefüge war aber durch das ganze deutſche Volk und deſſen Leben hindurchgerankt, hatte ſich dieſem Leben und ſeiner Sprache aufs innigſte angeſchloſſen und ſelbſt die deutſchen Sagenkreiſe durch- drungen, ſodaß die deutſchen Volksbücher in der That auch zu Volksbüchern der Juden wurden und daß z. B. der Wigalois im „König Artis und ſein Hof“ und manche andere deutſche Sage den poetiſchen Bearbeiter im deutſchen Judenvolke finden konnte. Je mehr der Verfaſſer in die jüdiſchdeutſche Literatur hineindrang, deſto mehr wurde er vom Erſtaunen darüber ergriffen, daß dieſes in der jüdiſchdeutſchen Literatur klar und bündig vor Augen lie- gende Zeugniß vom deutſchen Leben der Juden auf deutſchem Boden den Orientaliſten früherer Jahrhunderte ſo ganz entgangen ſein konnte, daß ſie ſogar mit ihrer ungelenken Miſſionsliteratur den ſtolpernden Schritt auf das jüdiſchdeutſche Gebiet wie auf einen ganz exotiſchen Boden unternahmen, als ob der deutſche Boden dem Volke der Juden ein ganz und gar fremder, unbe- kannter ſei. Aber gerade in dieſer jüdiſchdeutſchen Literatur lag das weitgreifende hiſtoriſche Zeugniß vom deutſchen Leben des jüdiſchen
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[XIII/0017]
faltigſten Offenbarungen der verſchiedenen Jahrhunderte zuſammen-
geſtellt werden, welche nur in ihrer Geſammtheit die Sprache und
den Geiſt der gewaltigen Erſcheinung deutlich machen können.
Eine freudige Genugthuung hatte der Verfaſſer in der bei
ſeinen Studien fortſchreitend ſich befeſtigenden Ueberzeugung, daß
er mit vollem Fug die jüdiſchdeutſche Sprache als deutſches
Eigenthum vindiciren und in der überaus reichen jüdiſchdeutſchen
Literatur unſerer deutſchen Nationalliteratur einen integrirenden
großen Theil zuweiſen konnte. Noch niemals war dies merkwür-
dige zuſammengeſchobene Sprachgefüge unterſucht worden. Die
Orientaliſten des 16. bis 18. Jahrhunderts in Deutſchland kann-
ten trotz ihrer erſtaunlichen orientaliſchen Gelehrſamkeit ihre eigene
deutſche Grammatik und Literatur nicht ausgiebig genug. Das
von Juden auf deutſchem Boden geſchaffene merkwürdige Sprach-
gefüge war aber durch das ganze deutſche Volk und deſſen Leben
hindurchgerankt, hatte ſich dieſem Leben und ſeiner Sprache aufs
innigſte angeſchloſſen und ſelbſt die deutſchen Sagenkreiſe durch-
drungen, ſodaß die deutſchen Volksbücher in der That auch zu
Volksbüchern der Juden wurden und daß z. B. der Wigalois im
„König Artis und ſein Hof“ und manche andere deutſche Sage
den poetiſchen Bearbeiter im deutſchen Judenvolke finden konnte.
Je mehr der Verfaſſer in die jüdiſchdeutſche Literatur hineindrang,
deſto mehr wurde er vom Erſtaunen darüber ergriffen, daß dieſes
in der jüdiſchdeutſchen Literatur klar und bündig vor Augen lie-
gende Zeugniß vom deutſchen Leben der Juden auf deutſchem
Boden den Orientaliſten früherer Jahrhunderte ſo ganz entgangen
ſein konnte, daß ſie ſogar mit ihrer ungelenken Miſſionsliteratur
den ſtolpernden Schritt auf das jüdiſchdeutſche Gebiet wie auf
einen ganz exotiſchen Boden unternahmen, als ob der deutſche
Boden dem Volke der Juden ein ganz und gar fremder, unbe-
kannter ſei. Aber gerade in dieſer jüdiſchdeutſchen Literatur lag das
weitgreifende hiſtoriſche Zeugniß vom deutſchen Leben des jüdiſchen
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/17>, abgerufen am 19.04.2024.
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