Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

faltigsten Offenbarungen der verschiedenen Jahrhunderte zusammen-
gestellt werden, welche nur in ihrer Gesammtheit die Sprache und
den Geist der gewaltigen Erscheinung deutlich machen können.

Eine freudige Genugthuung hatte der Verfasser in der bei
seinen Studien fortschreitend sich befestigenden Ueberzeugung, daß
er mit vollem Fug die jüdischdeutsche Sprache als deutsches
Eigenthum vindiciren und in der überaus reichen jüdischdeutschen
Literatur unserer deutschen Nationalliteratur einen integrirenden
großen Theil zuweisen konnte. Noch niemals war dies merkwür-
dige zusammengeschobene Sprachgefüge untersucht worden. Die
Orientalisten des 16. bis 18. Jahrhunderts in Deutschland kann-
ten trotz ihrer erstaunlichen orientalischen Gelehrsamkeit ihre eigene
deutsche Grammatik und Literatur nicht ausgiebig genug. Das
von Juden auf deutschem Boden geschaffene merkwürdige Sprach-
gefüge war aber durch das ganze deutsche Volk und dessen Leben
hindurchgerankt, hatte sich diesem Leben und seiner Sprache aufs
innigste angeschlossen und selbst die deutschen Sagenkreise durch-
drungen, sodaß die deutschen Volksbücher in der That auch zu
Volksbüchern der Juden wurden und daß z. B. der Wigalois im
"König Artis und sein Hof" und manche andere deutsche Sage
den poetischen Bearbeiter im deutschen Judenvolke finden konnte.
Je mehr der Verfasser in die jüdischdeutsche Literatur hineindrang,
desto mehr wurde er vom Erstaunen darüber ergriffen, daß dieses
in der jüdischdeutschen Literatur klar und bündig vor Augen lie-
gende Zeugniß vom deutschen Leben der Juden auf deutschem
Boden den Orientalisten früherer Jahrhunderte so ganz entgangen
sein konnte, daß sie sogar mit ihrer ungelenken Missionsliteratur
den stolpernden Schritt auf das jüdischdeutsche Gebiet wie auf
einen ganz exotischen Boden unternahmen, als ob der deutsche
Boden dem Volke der Juden ein ganz und gar fremder, unbe-
kannter sei. Aber gerade in dieser jüdischdeutschen Literatur lag das
weitgreifende historische Zeugniß vom deutschen Leben des jüdischen

faltigſten Offenbarungen der verſchiedenen Jahrhunderte zuſammen-
geſtellt werden, welche nur in ihrer Geſammtheit die Sprache und
den Geiſt der gewaltigen Erſcheinung deutlich machen können.

Eine freudige Genugthuung hatte der Verfaſſer in der bei
ſeinen Studien fortſchreitend ſich befeſtigenden Ueberzeugung, daß
er mit vollem Fug die jüdiſchdeutſche Sprache als deutſches
Eigenthum vindiciren und in der überaus reichen jüdiſchdeutſchen
Literatur unſerer deutſchen Nationalliteratur einen integrirenden
großen Theil zuweiſen konnte. Noch niemals war dies merkwür-
dige zuſammengeſchobene Sprachgefüge unterſucht worden. Die
Orientaliſten des 16. bis 18. Jahrhunderts in Deutſchland kann-
ten trotz ihrer erſtaunlichen orientaliſchen Gelehrſamkeit ihre eigene
deutſche Grammatik und Literatur nicht ausgiebig genug. Das
von Juden auf deutſchem Boden geſchaffene merkwürdige Sprach-
gefüge war aber durch das ganze deutſche Volk und deſſen Leben
hindurchgerankt, hatte ſich dieſem Leben und ſeiner Sprache aufs
innigſte angeſchloſſen und ſelbſt die deutſchen Sagenkreiſe durch-
drungen, ſodaß die deutſchen Volksbücher in der That auch zu
Volksbüchern der Juden wurden und daß z. B. der Wigalois im
„König Artis und ſein Hof“ und manche andere deutſche Sage
den poetiſchen Bearbeiter im deutſchen Judenvolke finden konnte.
Je mehr der Verfaſſer in die jüdiſchdeutſche Literatur hineindrang,
deſto mehr wurde er vom Erſtaunen darüber ergriffen, daß dieſes
in der jüdiſchdeutſchen Literatur klar und bündig vor Augen lie-
gende Zeugniß vom deutſchen Leben der Juden auf deutſchem
Boden den Orientaliſten früherer Jahrhunderte ſo ganz entgangen
ſein konnte, daß ſie ſogar mit ihrer ungelenken Miſſionsliteratur
den ſtolpernden Schritt auf das jüdiſchdeutſche Gebiet wie auf
einen ganz exotiſchen Boden unternahmen, als ob der deutſche
Boden dem Volke der Juden ein ganz und gar fremder, unbe-
kannter ſei. Aber gerade in dieſer jüdiſchdeutſchen Literatur lag das
weitgreifende hiſtoriſche Zeugniß vom deutſchen Leben des jüdiſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="XIII"/>
faltig&#x017F;ten Offenbarungen der ver&#x017F;chiedenen Jahrhunderte zu&#x017F;ammen-<lb/>
ge&#x017F;tellt werden, welche nur in ihrer Ge&#x017F;ammtheit die Sprache und<lb/>
den Gei&#x017F;t der gewaltigen Er&#x017F;cheinung deutlich machen können.</p><lb/>
        <p>Eine freudige Genugthuung hatte der Verfa&#x017F;&#x017F;er in der bei<lb/>
&#x017F;einen Studien fort&#x017F;chreitend &#x017F;ich befe&#x017F;tigenden Ueberzeugung, daß<lb/>
er mit vollem Fug die jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;che Sprache als <hi rendition="#g">deut&#x017F;ches</hi><lb/>
Eigenthum vindiciren und in der überaus reichen jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen<lb/>
Literatur un&#x017F;erer deut&#x017F;chen Nationalliteratur einen integrirenden<lb/>
großen Theil zuwei&#x017F;en konnte. Noch niemals war dies merkwür-<lb/>
dige zu&#x017F;ammenge&#x017F;chobene Sprachgefüge unter&#x017F;ucht worden. Die<lb/>
Orientali&#x017F;ten des 16. bis 18. Jahrhunderts in Deut&#x017F;chland kann-<lb/>
ten trotz ihrer er&#x017F;taunlichen orientali&#x017F;chen Gelehr&#x017F;amkeit ihre eigene<lb/>
deut&#x017F;che Grammatik und Literatur nicht ausgiebig genug. Das<lb/>
von Juden auf deut&#x017F;chem Boden ge&#x017F;chaffene merkwürdige Sprach-<lb/>
gefüge war aber durch das ganze deut&#x017F;che Volk und de&#x017F;&#x017F;en Leben<lb/>
hindurchgerankt, hatte &#x017F;ich die&#x017F;em Leben und &#x017F;einer Sprache aufs<lb/>
innig&#x017F;te ange&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;elb&#x017F;t die deut&#x017F;chen Sagenkrei&#x017F;e durch-<lb/>
drungen, &#x017F;odaß die deut&#x017F;chen Volksbücher in der That auch zu<lb/>
Volksbüchern der Juden wurden und daß z. B. der Wigalois im<lb/>
&#x201E;König Artis und &#x017F;ein Hof&#x201C; und manche andere deut&#x017F;che Sage<lb/>
den poeti&#x017F;chen Bearbeiter im deut&#x017F;chen Judenvolke finden konnte.<lb/>
Je mehr der Verfa&#x017F;&#x017F;er in die jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;che Literatur hineindrang,<lb/>
de&#x017F;to mehr wurde er vom Er&#x017F;taunen darüber ergriffen, daß die&#x017F;es<lb/>
in der jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen Literatur klar und bündig vor Augen lie-<lb/>
gende Zeugniß vom deut&#x017F;chen Leben der Juden auf deut&#x017F;chem<lb/>
Boden den Orientali&#x017F;ten früherer Jahrhunderte &#x017F;o ganz entgangen<lb/>
&#x017F;ein konnte, daß &#x017F;ie &#x017F;ogar mit ihrer ungelenken Mi&#x017F;&#x017F;ionsliteratur<lb/>
den &#x017F;tolpernden Schritt auf das jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;che Gebiet wie auf<lb/>
einen ganz exoti&#x017F;chen Boden unternahmen, als ob der deut&#x017F;che<lb/>
Boden dem Volke der Juden ein ganz und gar fremder, unbe-<lb/>
kannter &#x017F;ei. Aber gerade in die&#x017F;er jüdi&#x017F;chdeut&#x017F;chen Literatur lag das<lb/>
weitgreifende hi&#x017F;tori&#x017F;che Zeugniß vom deut&#x017F;chen Leben des jüdi&#x017F;chen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XIII/0017] faltigſten Offenbarungen der verſchiedenen Jahrhunderte zuſammen- geſtellt werden, welche nur in ihrer Geſammtheit die Sprache und den Geiſt der gewaltigen Erſcheinung deutlich machen können. Eine freudige Genugthuung hatte der Verfaſſer in der bei ſeinen Studien fortſchreitend ſich befeſtigenden Ueberzeugung, daß er mit vollem Fug die jüdiſchdeutſche Sprache als deutſches Eigenthum vindiciren und in der überaus reichen jüdiſchdeutſchen Literatur unſerer deutſchen Nationalliteratur einen integrirenden großen Theil zuweiſen konnte. Noch niemals war dies merkwür- dige zuſammengeſchobene Sprachgefüge unterſucht worden. Die Orientaliſten des 16. bis 18. Jahrhunderts in Deutſchland kann- ten trotz ihrer erſtaunlichen orientaliſchen Gelehrſamkeit ihre eigene deutſche Grammatik und Literatur nicht ausgiebig genug. Das von Juden auf deutſchem Boden geſchaffene merkwürdige Sprach- gefüge war aber durch das ganze deutſche Volk und deſſen Leben hindurchgerankt, hatte ſich dieſem Leben und ſeiner Sprache aufs innigſte angeſchloſſen und ſelbſt die deutſchen Sagenkreiſe durch- drungen, ſodaß die deutſchen Volksbücher in der That auch zu Volksbüchern der Juden wurden und daß z. B. der Wigalois im „König Artis und ſein Hof“ und manche andere deutſche Sage den poetiſchen Bearbeiter im deutſchen Judenvolke finden konnte. Je mehr der Verfaſſer in die jüdiſchdeutſche Literatur hineindrang, deſto mehr wurde er vom Erſtaunen darüber ergriffen, daß dieſes in der jüdiſchdeutſchen Literatur klar und bündig vor Augen lie- gende Zeugniß vom deutſchen Leben der Juden auf deutſchem Boden den Orientaliſten früherer Jahrhunderte ſo ganz entgangen ſein konnte, daß ſie ſogar mit ihrer ungelenken Miſſionsliteratur den ſtolpernden Schritt auf das jüdiſchdeutſche Gebiet wie auf einen ganz exotiſchen Boden unternahmen, als ob der deutſche Boden dem Volke der Juden ein ganz und gar fremder, unbe- kannter ſei. Aber gerade in dieſer jüdiſchdeutſchen Literatur lag das weitgreifende hiſtoriſche Zeugniß vom deutſchen Leben des jüdiſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/17
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/17>, abgerufen am 19.04.2024.