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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753.

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Das dritte Hauptstück.
worden, wiederhohle ich allhier deswegen noch einmahl, damit man
auf eine vernünftigere Art, als insgemein geschiehet, nemlich nicht
durch eine übertriebene Gewalt des Anschlages, sondern vielmehr
durch harmonische und melodische Figuren, z. E. die Raserey, den
Zorn oder andere gewaltige Affecten vorzustellen suche. Auch
in den geschwindesten Gedancken muß man hiebey jeder Note ih-
ren gehörigen Druck geben; sonsten ist der Anschlag ungleich und
undeutlich. Diese Gedancken werden gemeiniglich nach der bey
den Trillern angeführten Art geschnellet.

§. 5.

Die Lebhaftigkeit des Allegro wird gemeiniglich in
gestossenen Noten und das Zärtliche des Adagio in getragenen
und geschleiften Noten vorgestellet. Man hat also beym Vor-
trage darauf zu sehen, daß diese Art und Eigenschaft des Alle-
gro und Adagio in Obacht genommen werde, wenn auch dieses
bey den Stücken nicht angedeutet ist, und der Spieler noch nicht
hinlängliche Einsichten in den Affect eines Stückes hat. Jch setze
oben mit Fleiß gemeiniglich, weil ich wohl weiß, daß aller-
hand Arten von Noten bey allerhand Arten der Zeit-Maasse vor-
kommen können.

§. 6.

Einige Personen spielen klebericht, als wenn sie Leim
zwischen den Fingern hätten. Jhr Anschlag ist zu lang, indem
sie die Noten über die Zeit liegen lassen. Andere haben es ver-
bessern wollen, und spielen zu kurtz; als wenn die Tasten glühend
wären. Es thut aber auch schlecht. Die Mittelstrasse ist die
beste; ich rede hievon überhaupt; alle Arten des Anschlages
sind zur rechten Zeit gut.

§. 7.

Wegen Mangel des langen Tonhaltens und des voll-
kommnen Ab- und Zunehmen des Tones, welches man nicht un-
recht durch Schatten und Licht mahlerisch ausdrückt, ist es keine
geringe Aufgabe, auf unserm Jnstrumente ein Adagio singend zu

spie-

Das dritte Hauptſtuͤck.
worden, wiederhohle ich allhier deswegen noch einmahl, damit man
auf eine vernuͤnftigere Art, als insgemein geſchiehet, nemlich nicht
durch eine uͤbertriebene Gewalt des Anſchlages, ſondern vielmehr
durch harmoniſche und melodiſche Figuren, z. E. die Raſerey, den
Zorn oder andere gewaltige Affecten vorzuſtellen ſuche. Auch
in den geſchwindeſten Gedancken muß man hiebey jeder Note ih-
ren gehoͤrigen Druck geben; ſonſten iſt der Anſchlag ungleich und
undeutlich. Dieſe Gedancken werden gemeiniglich nach der bey
den Trillern angefuͤhrten Art geſchnellet.

§. 5.

Die Lebhaftigkeit des Allegro wird gemeiniglich in
geſtoſſenen Noten und das Zaͤrtliche des Adagio in getragenen
und geſchleiften Noten vorgeſtellet. Man hat alſo beym Vor-
trage darauf zu ſehen, daß dieſe Art und Eigenſchaft des Alle-
gro und Adagio in Obacht genommen werde, wenn auch dieſes
bey den Stuͤcken nicht angedeutet iſt, und der Spieler noch nicht
hinlaͤngliche Einſichten in den Affect eines Stuͤckes hat. Jch ſetze
oben mit Fleiß gemeiniglich, weil ich wohl weiß, daß aller-
hand Arten von Noten bey allerhand Arten der Zeit-Maaſſe vor-
kommen koͤnnen.

§. 6.

Einige Perſonen ſpielen klebericht, als wenn ſie Leim
zwiſchen den Fingern haͤtten. Jhr Anſchlag iſt zu lang, indem
ſie die Noten uͤber die Zeit liegen laſſen. Andere haben es ver-
beſſern wollen, und ſpielen zu kurtz; als wenn die Taſten gluͤhend
waͤren. Es thut aber auch ſchlecht. Die Mittelſtraſſe iſt die
beſte; ich rede hievon uͤberhaupt; alle Arten des Anſchlages
ſind zur rechten Zeit gut.

§. 7.

Wegen Mangel des langen Tonhaltens und des voll-
kommnen Ab- und Zunehmen des Tones, welches man nicht un-
recht durch Schatten und Licht mahleriſch ausdruͤckt, iſt es keine
geringe Aufgabe, auf unſerm Jnſtrumente ein Adagio ſingend zu

ſpie-
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[104/0112] Das dritte Hauptſtuͤck. worden, wiederhohle ich allhier deswegen noch einmahl, damit man auf eine vernuͤnftigere Art, als insgemein geſchiehet, nemlich nicht durch eine uͤbertriebene Gewalt des Anſchlages, ſondern vielmehr durch harmoniſche und melodiſche Figuren, z. E. die Raſerey, den Zorn oder andere gewaltige Affecten vorzuſtellen ſuche. Auch in den geſchwindeſten Gedancken muß man hiebey jeder Note ih- ren gehoͤrigen Druck geben; ſonſten iſt der Anſchlag ungleich und undeutlich. Dieſe Gedancken werden gemeiniglich nach der bey den Trillern angefuͤhrten Art geſchnellet. §. 5. Die Lebhaftigkeit des Allegro wird gemeiniglich in geſtoſſenen Noten und das Zaͤrtliche des Adagio in getragenen und geſchleiften Noten vorgeſtellet. Man hat alſo beym Vor- trage darauf zu ſehen, daß dieſe Art und Eigenſchaft des Alle- gro und Adagio in Obacht genommen werde, wenn auch dieſes bey den Stuͤcken nicht angedeutet iſt, und der Spieler noch nicht hinlaͤngliche Einſichten in den Affect eines Stuͤckes hat. Jch ſetze oben mit Fleiß gemeiniglich, weil ich wohl weiß, daß aller- hand Arten von Noten bey allerhand Arten der Zeit-Maaſſe vor- kommen koͤnnen. §. 6. Einige Perſonen ſpielen klebericht, als wenn ſie Leim zwiſchen den Fingern haͤtten. Jhr Anſchlag iſt zu lang, indem ſie die Noten uͤber die Zeit liegen laſſen. Andere haben es ver- beſſern wollen, und ſpielen zu kurtz; als wenn die Taſten gluͤhend waͤren. Es thut aber auch ſchlecht. Die Mittelſtraſſe iſt die beſte; ich rede hievon uͤberhaupt; alle Arten des Anſchlages ſind zur rechten Zeit gut. §. 7. Wegen Mangel des langen Tonhaltens und des voll- kommnen Ab- und Zunehmen des Tones, welches man nicht un- recht durch Schatten und Licht mahleriſch ausdruͤckt, iſt es keine geringe Aufgabe, auf unſerm Jnſtrumente ein Adagio ſingend zu ſpie-

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Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759/112>, abgerufen am 29.03.2024.