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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753.

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Das dritte Hauptstück.
diese: Man muß nicht alles verändern, weil es sonst ein neu
Stück seyn würde. Viele, besonders die affectuösen oder spre-
chenden Stellen eines Stückes lassen sich nicht wohl verändern.
Hieher gehöret auch diejenige Schreib-Art in galanten Stücken,
welche so beschaffen ist, daß man sie wegen gewisser neuen Aus-
drücke und Wendungen selten das erste mahl vollkommen einsieht.
Alle Veränderungen müssen dem Affect des Stückes gemäß seyn.
Sie müssen allezeit, wo nicht besser, doch wenigstens eben so gut,
als das Original seyn. Simple Gedancken werden zuweilen sehr
wohl bunt verändert und umgekehrt. Dieses muß mit keiner
geringen Ueberlegung geschehen, man muß hierbey beständig auf
die vorhergehenden und folgenden Gedancken sehen; man muß
eine Absicht auf das gantze Stück haben, damit die gleiche Ver-
mischung des brillanten und simplen, des feurigen und matten,
des traurigen und frölichen, des sangbaren und des dem Jnstru-
ment eignen beybehalten werde. Bey Clavier-Sachen kan zugleich
der Baß in der Veränderung anders seyn, als er war, indessen
muß die Harmonie dieselbe bleiben. Ueberhaupt muß man, ohn-
geacht der vielen Veränderungen, welche gar sehr Mode sind,
es allezeit so einrichten, daß die Grundliniamenten des Stückes,
welche den Affect desselben zu erkennen geben, dennoch hervor
leuchten.

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Das dritte Hauptſtuͤck.
dieſe: Man muß nicht alles veraͤndern, weil es ſonſt ein neu
Stuͤck ſeyn wuͤrde. Viele, beſonders die affectuoͤſen oder ſpre-
chenden Stellen eines Stuͤckes laſſen ſich nicht wohl veraͤndern.
Hieher gehoͤret auch diejenige Schreib-Art in galanten Stuͤcken,
welche ſo beſchaffen iſt, daß man ſie wegen gewiſſer neuen Aus-
druͤcke und Wendungen ſelten das erſte mahl vollkommen einſieht.
Alle Veraͤnderungen muͤſſen dem Affect des Stuͤckes gemaͤß ſeyn.
Sie muͤſſen allezeit, wo nicht beſſer, doch wenigſtens eben ſo gut,
als das Original ſeyn. Simple Gedancken werden zuweilen ſehr
wohl bunt veraͤndert und umgekehrt. Dieſes muß mit keiner
geringen Ueberlegung geſchehen, man muß hierbey beſtaͤndig auf
die vorhergehenden und folgenden Gedancken ſehen; man muß
eine Abſicht auf das gantze Stuͤck haben, damit die gleiche Ver-
miſchung des brillanten und ſimplen, des feurigen und matten,
des traurigen und froͤlichen, des ſangbaren und des dem Jnſtru-
ment eignen beybehalten werde. Bey Clavier-Sachen kan zugleich
der Baß in der Veraͤnderung anders ſeyn, als er war, indeſſen
muß die Harmonie dieſelbe bleiben. Ueberhaupt muß man, ohn-
geacht der vielen Veraͤnderungen, welche gar ſehr Mode ſind,
es allezeit ſo einrichten, daß die Grundliniamenten des Stuͤckes,
welche den Affect deſſelben zu erkennen geben, dennoch hervor
leuchten.

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[118/0126] Das dritte Hauptſtuͤck. dieſe: Man muß nicht alles veraͤndern, weil es ſonſt ein neu Stuͤck ſeyn wuͤrde. Viele, beſonders die affectuoͤſen oder ſpre- chenden Stellen eines Stuͤckes laſſen ſich nicht wohl veraͤndern. Hieher gehoͤret auch diejenige Schreib-Art in galanten Stuͤcken, welche ſo beſchaffen iſt, daß man ſie wegen gewiſſer neuen Aus- druͤcke und Wendungen ſelten das erſte mahl vollkommen einſieht. Alle Veraͤnderungen muͤſſen dem Affect des Stuͤckes gemaͤß ſeyn. Sie muͤſſen allezeit, wo nicht beſſer, doch wenigſtens eben ſo gut, als das Original ſeyn. Simple Gedancken werden zuweilen ſehr wohl bunt veraͤndert und umgekehrt. Dieſes muß mit keiner geringen Ueberlegung geſchehen, man muß hierbey beſtaͤndig auf die vorhergehenden und folgenden Gedancken ſehen; man muß eine Abſicht auf das gantze Stuͤck haben, damit die gleiche Ver- miſchung des brillanten und ſimplen, des feurigen und matten, des traurigen und froͤlichen, des ſangbaren und des dem Jnſtru- ment eignen beybehalten werde. Bey Clavier-Sachen kan zugleich der Baß in der Veraͤnderung anders ſeyn, als er war, indeſſen muß die Harmonie dieſelbe bleiben. Ueberhaupt muß man, ohn- geacht der vielen Veraͤnderungen, welche gar ſehr Mode ſind, es allezeit ſo einrichten, daß die Grundliniamenten des Stuͤckes, welche den Affect deſſelben zu erkennen geben, dennoch hervor leuchten. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759/126>, abgerufen am 19.04.2024.