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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762.

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Erstes Capitel.
des Generalbasses wird jedoch auf die bezifferten Bässe gerichtet
werden.

§. 4.

Man kann seine Schüler in Erlernung der Ziffern
nicht genug tummeln; ich bin deswegen kein Vertheidiger der zu
sehr gehäuften Ziffern; ich hasse alles das, was einem Lehrbe-
gierigen unnütze Mühe macht und die Lust benehmen kann. Es
kann jedoch niemand ohne vollkommene Wissenschaft aller Ziffern
den Generalbaß gründlich lernen und gehörig accompagniren.
So bald man sich vor keiner Ziffer mehr fürchtet, so hat man
alle mögliche Freyheit an die Feinigkeiten des Accompagnements
zu denken. Diese letztern sind Ursache, daß wir mehr Ziffern
brauchen müssen, als vordem bey der gewöhnlichen Art zu beglei-
ten nöthig war. Kann man wohl bey der Erklärung seiner
Gedanken hierüber der Ziffern entbehren?

§. 5.

Man lasse dahero seine Scholaren fleißig Stücke
begleiten, wo wegen der darinnen vorkommenden Chromatik die
Bässe hinlänglich und folglich stark beziffert sind. Ich habe in
dieser Absicht meines seeligen Vaters bezifferte Bässe mit grossem
Nutzen und ohne Lebensgefahr der Scholaren gebraucht. Auch
den Fingern sind sie nicht schädlich. Man wechsle fein oft mit
richtig bezifferten Compositionen verschiedener Meister ab. Man
lernt dadurch allerhand Arten von Bezifferung und Modulation
kennen. ;an raisonnire mit seinen Schülern, wenn sie schon
hinlängliche Begriffe haben, darüber. Die Einsichten, welche hie-
raus entstehen, sind in der Folge von grossem Nutzen, machen
aber dabey eine vollkommene Wissenschaft aller Ziffern nicht nur
unentbehrlich, sondern defördern sie vielmehr.

§. 6.

Das Generalbaßstudium könnte viel leichter und
angenehmer gemacht werden, wenn man wegen der Art zu be-
ziffern überall einig würde. Hierzu müsten gute Clavierspieler,

wel-

Erſtes Capitel.
des Generalbaſſes wird jedoch auf die bezifferten Bäſſe gerichtet
werden.

§. 4.

Man kann ſeine Schüler in Erlernung der Ziffern
nicht genug tummeln; ich bin deswegen kein Vertheidiger der zu
ſehr gehäuften Ziffern; ich haſſe alles das, was einem Lehrbe-
gierigen unnütze Mühe macht und die Luſt benehmen kann. Es
kann jedoch niemand ohne vollkommene Wiſſenſchaft aller Ziffern
den Generalbaß gründlich lernen und gehörig accompagniren.
So bald man ſich vor keiner Ziffer mehr fürchtet, ſo hat man
alle mögliche Freyheit an die Feinigkeiten des Accompagnements
zu denken. Dieſe letztern ſind Urſache, daß wir mehr Ziffern
brauchen müſſen, als vordem bey der gewöhnlichen Art zu beglei-
ten nöthig war. Kann man wohl bey der Erklärung ſeiner
Gedanken hierüber der Ziffern entbehren?

§. 5.

Man laſſe dahero ſeine Scholaren fleißig Stücke
begleiten, wo wegen der darinnen vorkommenden Chromatik die
Bäſſe hinlänglich und folglich ſtark beziffert ſind. Ich habe in
dieſer Abſicht meines ſeeligen Vaters bezifferte Bäſſe mit groſſem
Nutzen und ohne Lebensgefahr der Scholaren gebraucht. Auch
den Fingern ſind ſie nicht ſchädlich. Man wechſle fein oft mit
richtig bezifferten Compoſitionen verſchiedener Meiſter ab. Man
lernt dadurch allerhand Arten von Bezifferung und Modulation
kennen. ;an raiſonnire mit ſeinen Schülern, wenn ſie ſchon
hinlängliche Begriffe haben, darüber. Die Einſichten, welche hie-
raus entſtehen, ſind in der Folge von groſſem Nutzen, machen
aber dabey eine vollkommene Wiſſenſchaft aller Ziffern nicht nur
unentbehrlich, ſondern defördern ſie vielmehr.

§. 6.

Das Generalbaßſtudium könnte viel leichter und
angenehmer gemacht werden, wenn man wegen der Art zu be-
ziffern überall einig würde. Hierzu müſten gute Clavierſpieler,

wel-
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[12/0022] Erſtes Capitel. des Generalbaſſes wird jedoch auf die bezifferten Bäſſe gerichtet werden. §. 4. Man kann ſeine Schüler in Erlernung der Ziffern nicht genug tummeln; ich bin deswegen kein Vertheidiger der zu ſehr gehäuften Ziffern; ich haſſe alles das, was einem Lehrbe- gierigen unnütze Mühe macht und die Luſt benehmen kann. Es kann jedoch niemand ohne vollkommene Wiſſenſchaft aller Ziffern den Generalbaß gründlich lernen und gehörig accompagniren. So bald man ſich vor keiner Ziffer mehr fürchtet, ſo hat man alle mögliche Freyheit an die Feinigkeiten des Accompagnements zu denken. Dieſe letztern ſind Urſache, daß wir mehr Ziffern brauchen müſſen, als vordem bey der gewöhnlichen Art zu beglei- ten nöthig war. Kann man wohl bey der Erklärung ſeiner Gedanken hierüber der Ziffern entbehren? §. 5. Man laſſe dahero ſeine Scholaren fleißig Stücke begleiten, wo wegen der darinnen vorkommenden Chromatik die Bäſſe hinlänglich und folglich ſtark beziffert ſind. Ich habe in dieſer Abſicht meines ſeeligen Vaters bezifferte Bäſſe mit groſſem Nutzen und ohne Lebensgefahr der Scholaren gebraucht. Auch den Fingern ſind ſie nicht ſchädlich. Man wechſle fein oft mit richtig bezifferten Compoſitionen verſchiedener Meiſter ab. Man lernt dadurch allerhand Arten von Bezifferung und Modulation kennen. ;an raiſonnire mit ſeinen Schülern, wenn ſie ſchon hinlängliche Begriffe haben, darüber. Die Einſichten, welche hie- raus entſtehen, ſind in der Folge von groſſem Nutzen, machen aber dabey eine vollkommene Wiſſenſchaft aller Ziffern nicht nur unentbehrlich, ſondern defördern ſie vielmehr. §. 6. Das Generalbaßſtudium könnte viel leichter und angenehmer gemacht werden, wenn man wegen der Art zu be- ziffern überall einig würde. Hierzu müſten gute Clavierſpieler, wel-

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Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/22>, abgerufen am 28.03.2024.