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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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§. 2.
Bau des gelegten, noch nicht bebrüteten Vogeleies.

Alle Eier von Vögeln sind einander überaus ähnlich gebaut. Die Unter-
schiede beruhen nur auf Verschiedenheiten der Form, auf grösserer oder geringe-
rer Dicke der Schaale, auf verschiedenen Quantitätsverhältnissen in den einge-
schlossenen Theilen, und auf geringen Abweichungen in der chemischen Be-
schaffenheit derselben. Da nun gar keine wesentlichen Unterschiede sich finden,
die Eier der Hühner aber in jeder Hinsicht am meisten bekannt und die chemische
Beschaffenheit nur an ihnen genau untersucht ist, so wollen wir das Hühnerei als
den Repräsentanten aller Vogeleier kennen lernen.

a. Eischaa-
le, Testa.
Taf. III.
Fig. 3 a.

Wir finden zu äusserst eine ziemlich harte und spröde kalkige Eischaale
(Testa) *). Dass diese nicht aus einer gleichmässig und ununterbrochen zu-
sammenhängenden Lage von Kalkmasse besteht, ist schon daraus ersichtlich, dass
jedes Ei, wenn es eine Zeitlang liegt, allmählig etwas von seinem Gewichte ver-
liert, indem ein Theil der Flüssigkeit des Eiweisses verdünstet. Noch grösser ist
der Verlust in der Brutwärme. Man pflegt daher mit Recht die Schaale porös zu
nennen. Wenn man sich aber die Porosität so vorstellt, als ob die Schaale von
offenen Kanälen durchzogen sey, und sich dabei auf die Ansicht mit unbewaffne-
tem Auge und durch das Microscop, oder auf das Hervortreten von Luftblasen
unter der Luftpumpe beruft, so halte ich diese gewöhnlichste Vorstellung für un-
richtig. -- Zuvörderst sieht man zwar schon mit unbewaffnetem Auge äusserlich
Gruben und unter dem Microscope viele hellere Stellen in der übrigens undurch-
sichtigen Eischaale, nirgends aber Löcher, durch welche das Licht ungebrochen
durchginge **). Ferner wird der Mangel offener Durchgänge auf folgende Weise
erwiesen. Wenn man ein Stück Kalkschaale, von der man die unterliegende
Schaalenhaut vollständig entfernt hat, in verdünnte Salpetersäure legt, so bleibt,
nachdem die erdigen Theile aufgelöst sind, immer ein vollständig zusammenhän-
gendes, mit kleinen Zotten besetztes, ziemlich festes Blatt aus thierischem Stoffe
zurück, welches keine Löcher zeigt. Die Kalkmasse liegt also in einer zusam-

*) Die Eischaale wird auch Putamen und zuweilen Cortex im Lateinischen genannt.
**) Ich weiss sehr wohl, dass diese erste Bemerkung für sich allein nicht beweisend ist, denn
die Kanäle könnten so schief durch die Schaale gehen, dass sie deshalb unter dem Microscope
nicht bemerkt würden; allein die Behandlung mit Salpetersäure und am meisten die erst un-
ten (§. 4) zu besprechende Entstehungsweise der Kalkschaale lassen über die Abwesenheit
von offenen Kanälen keinen Zweifel.
§. 2.
Bau des gelegten, noch nicht bebrüteten Vogeleies.

Alle Eier von Vögeln sind einander überaus ähnlich gebaut. Die Unter-
schiede beruhen nur auf Verschiedenheiten der Form, auf gröſserer oder geringe-
rer Dicke der Schaale, auf verschiedenen Quantitätsverhältnissen in den einge-
schlossenen Theilen, und auf geringen Abweichungen in der chemischen Be-
schaffenheit derselben. Da nun gar keine wesentlichen Unterschiede sich finden,
die Eier der Hühner aber in jeder Hinsicht am meisten bekannt und die chemische
Beschaffenheit nur an ihnen genau untersucht ist, so wollen wir das Hühnerei als
den Repräsentanten aller Vogeleier kennen lernen.

a. Eischaa-
le, Testa.
Taf. III.
Fig. 3 a.

Wir finden zu äuſserst eine ziemlich harte und spröde kalkige Eischaale
(Testa) *). Daſs diese nicht aus einer gleichmäſsig und ununterbrochen zu-
sammenhängenden Lage von Kalkmasse besteht, ist schon daraus ersichtlich, daſs
jedes Ei, wenn es eine Zeitlang liegt, allmählig etwas von seinem Gewichte ver-
liert, indem ein Theil der Flüssigkeit des Eiweiſses verdünstet. Noch gröſser ist
der Verlust in der Brutwärme. Man pflegt daher mit Recht die Schaale porös zu
nennen. Wenn man sich aber die Porosität so vorstellt, als ob die Schaale von
offenen Kanälen durchzogen sey, und sich dabei auf die Ansicht mit unbewaffne-
tem Auge und durch das Microscop, oder auf das Hervortreten von Luftblasen
unter der Luftpumpe beruft, so halte ich diese gewöhnlichste Vorstellung für un-
richtig. — Zuvörderst sieht man zwar schon mit unbewaffnetem Auge äuſserlich
Gruben und unter dem Microscope viele hellere Stellen in der übrigens undurch-
sichtigen Eischaale, nirgends aber Löcher, durch welche das Licht ungebrochen
durchginge **). Ferner wird der Mangel offener Durchgänge auf folgende Weise
erwiesen. Wenn man ein Stück Kalkschaale, von der man die unterliegende
Schaalenhaut vollständig entfernt hat, in verdünnte Salpetersäure legt, so bleibt,
nachdem die erdigen Theile aufgelöst sind, immer ein vollständig zusammenhän-
gendes, mit kleinen Zotten besetztes, ziemlich festes Blatt aus thierischem Stoffe
zurück, welches keine Löcher zeigt. Die Kalkmasse liegt also in einer zusam-

*) Die Eischaale wird auch Putamen und zuweilen Cortex im Lateinischen genannt.
**) Ich weiſs sehr wohl, daſs diese erste Bemerkung für sich allein nicht beweisend ist, denn
die Kanäle könnten so schief durch die Schaale gehen, daſs sie deshalb unter dem Microscope
nicht bemerkt würden; allein die Behandlung mit Salpetersäure und am meisten die erst un-
ten (§. 4) zu besprechende Entstehungsweise der Kalkschaale lassen über die Abwesenheit
von offenen Kanälen keinen Zweifel.
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[10/0020] §. 2. Bau des gelegten, noch nicht bebrüteten Vogeleies. Alle Eier von Vögeln sind einander überaus ähnlich gebaut. Die Unter- schiede beruhen nur auf Verschiedenheiten der Form, auf gröſserer oder geringe- rer Dicke der Schaale, auf verschiedenen Quantitätsverhältnissen in den einge- schlossenen Theilen, und auf geringen Abweichungen in der chemischen Be- schaffenheit derselben. Da nun gar keine wesentlichen Unterschiede sich finden, die Eier der Hühner aber in jeder Hinsicht am meisten bekannt und die chemische Beschaffenheit nur an ihnen genau untersucht ist, so wollen wir das Hühnerei als den Repräsentanten aller Vogeleier kennen lernen. Wir finden zu äuſserst eine ziemlich harte und spröde kalkige Eischaale (Testa) *). Daſs diese nicht aus einer gleichmäſsig und ununterbrochen zu- sammenhängenden Lage von Kalkmasse besteht, ist schon daraus ersichtlich, daſs jedes Ei, wenn es eine Zeitlang liegt, allmählig etwas von seinem Gewichte ver- liert, indem ein Theil der Flüssigkeit des Eiweiſses verdünstet. Noch gröſser ist der Verlust in der Brutwärme. Man pflegt daher mit Recht die Schaale porös zu nennen. Wenn man sich aber die Porosität so vorstellt, als ob die Schaale von offenen Kanälen durchzogen sey, und sich dabei auf die Ansicht mit unbewaffne- tem Auge und durch das Microscop, oder auf das Hervortreten von Luftblasen unter der Luftpumpe beruft, so halte ich diese gewöhnlichste Vorstellung für un- richtig. — Zuvörderst sieht man zwar schon mit unbewaffnetem Auge äuſserlich Gruben und unter dem Microscope viele hellere Stellen in der übrigens undurch- sichtigen Eischaale, nirgends aber Löcher, durch welche das Licht ungebrochen durchginge **). Ferner wird der Mangel offener Durchgänge auf folgende Weise erwiesen. Wenn man ein Stück Kalkschaale, von der man die unterliegende Schaalenhaut vollständig entfernt hat, in verdünnte Salpetersäure legt, so bleibt, nachdem die erdigen Theile aufgelöst sind, immer ein vollständig zusammenhän- gendes, mit kleinen Zotten besetztes, ziemlich festes Blatt aus thierischem Stoffe zurück, welches keine Löcher zeigt. Die Kalkmasse liegt also in einer zusam- *) Die Eischaale wird auch Putamen und zuweilen Cortex im Lateinischen genannt. **) Ich weiſs sehr wohl, daſs diese erste Bemerkung für sich allein nicht beweisend ist, denn die Kanäle könnten so schief durch die Schaale gehen, daſs sie deshalb unter dem Microscope nicht bemerkt würden; allein die Behandlung mit Salpetersäure und am meisten die erst un- ten (§. 4) zu besprechende Entstehungsweise der Kalkschaale lassen über die Abwesenheit von offenen Kanälen keinen Zweifel.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/20>, abgerufen am 29.03.2024.