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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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ein grosser Theil nicht ganz frisch zu seyn pflegt. Dasselbe hat Purkinje
beobachtet.

Viel ist darüber gestritten worden, ob die Hagelschnüre hohl sind,
oder nicht. Es kann nämlich keinem Zweifel unterworfen werden, dass
während der Bebrütung die Dotterkugel an Umfang zunimmt und die Masse
des Dotters flüssiger wird, während das Eiweiss an Flüssigkeit verliert. Es
geht also wohl Flüssigkeit aus dem Dotter in das Eiweiss über. Da war es
denn einigen Beobachtern wahrscheinlich, dass die Hagelschnüre wie Saug-
adern oder ähnliche Kanäle die Flüssigkeit dem Dotter zuleiteten. Um diese
Ansicht geltend zu machen, hat man behauptet, das dem Dotter zugekehrte
Ende der Hagelschnüre münde durch eine Oeffnung der Dotterhaut in die Dotter-
kugel ein und das abgekehrte Ende löse sich in Franzen auf, die als Saugfasern
wirken. Allen diesen Angaben kann ich nicht beistimmen. Zuvörderst muss
man den Trichter der Hagelschnur von der Dotterhaut unterscheiden. Zwar ist
der Trichter oft klein, und es liegt dann auch seine Spitze nahe an der Dotter-
kugel, doch kann man die Dotterhaut immer wenigstens im Umfange einer Linie
abtrennen, und man sieht deutlich unter dem Microscope, dass die Dotterhaut hier
keine Oeffnung hat. Der Trichter ist allerdings hohl, seine Spitze geht nothwen-
dig in die Hagelschnur ein und lässt eine feine Sonde zuweilen eine Linie weit fort-
schieben *), allein bald verliert sich alle Höhlung. Ferner kann man allerdings
die Haut der Hagelschnur etwas aufdrehen, wenn man sich die grosse Mühe nicht
verdriessen lässt, das zähe, eng anliegende innerste Eiweiss schichtenweise sorg-
sam zu entfernen, aber meistens wird man kaum ein Paar Linien weit den Strang
aufdrehen, weil die Haut sehr dicht verschnürt ist und im natürlichen Zustande
keine Höhlung hat. Nur wenn die Hagelschnur kurz und in grader Linie ge-
dreht ist, kommen einzelne kleine Stellen vor, wo die Haut, aus der sie besteht,
so wenig verschnürt ist, dass im Innern eine kleine Lücke bleibt. Doch sind
diese Stellen sehr beschränkt. Eben so wenig sehe ich am abgekehrten Ende
Saugfäden. Dieses ist vielmehr unregelmässig kolbig und nur das anhängende Ei-
weiss mag den Schein von solchen Fäden angenommen haben, indem man die
eigentliche Hagelschnur aus ihm herauszog. Die Hagelschnüre sind also wohl
nicht die Kanäle, durch welche die dünnen Theile des Eiweisses in den Dotter
dringen. Vielmehr sind sie die allerschwierigsten Wege, welche sich das Eiweiss
wählen könnte; denn da die Dotterhaut in dieser Gegend sicher nicht durchbohrt

ist,
*) In den meisten Fällen lässt sich ohne Abtrennung des dritten Eiweisses auch die feinste Sonde
nicht in die Hagelschnur einführen.

ein groſser Theil nicht ganz frisch zu seyn pflegt. Dasselbe hat Purkinje
beobachtet.

Viel ist darüber gestritten worden, ob die Hagelschnüre hohl sind,
oder nicht. Es kann nämlich keinem Zweifel unterworfen werden, daſs
während der Bebrütung die Dotterkugel an Umfang zunimmt und die Masse
des Dotters flüssiger wird, während das Eiweiſs an Flüssigkeit verliert. Es
geht also wohl Flüssigkeit aus dem Dotter in das Eiweiſs über. Da war es
denn einigen Beobachtern wahrscheinlich, daſs die Hagelschnüre wie Saug-
adern oder ähnliche Kanäle die Flüssigkeit dem Dotter zuleiteten. Um diese
Ansicht geltend zu machen, hat man behauptet, das dem Dotter zugekehrte
Ende der Hagelschnüre münde durch eine Oeffnung der Dotterhaut in die Dotter-
kugel ein und das abgekehrte Ende löse sich in Franzen auf, die als Saugfasern
wirken. Allen diesen Angaben kann ich nicht beistimmen. Zuvörderst muſs
man den Trichter der Hagelschnur von der Dotterhaut unterscheiden. Zwar ist
der Trichter oft klein, und es liegt dann auch seine Spitze nahe an der Dotter-
kugel, doch kann man die Dotterhaut immer wenigstens im Umfange einer Linie
abtrennen, und man sieht deutlich unter dem Microscope, daſs die Dotterhaut hier
keine Oeffnung hat. Der Trichter ist allerdings hohl, seine Spitze geht nothwen-
dig in die Hagelschnur ein und läſst eine feine Sonde zuweilen eine Linie weit fort-
schieben *), allein bald verliert sich alle Höhlung. Ferner kann man allerdings
die Haut der Hagelschnur etwas aufdrehen, wenn man sich die groſse Mühe nicht
verdrieſsen läſst, das zähe, eng anliegende innerste Eiweiſs schichtenweise sorg-
sam zu entfernen, aber meistens wird man kaum ein Paar Linien weit den Strang
aufdrehen, weil die Haut sehr dicht verschnürt ist und im natürlichen Zustande
keine Höhlung hat. Nur wenn die Hagelschnur kurz und in grader Linie ge-
dreht ist, kommen einzelne kleine Stellen vor, wo die Haut, aus der sie besteht,
so wenig verschnürt ist, daſs im Innern eine kleine Lücke bleibt. Doch sind
diese Stellen sehr beschränkt. Eben so wenig sehe ich am abgekehrten Ende
Saugfäden. Dieses ist vielmehr unregelmäſsig kolbig und nur das anhängende Ei-
weiſs mag den Schein von solchen Fäden angenommen haben, indem man die
eigentliche Hagelschnur aus ihm herauszog. Die Hagelschnüre sind also wohl
nicht die Kanäle, durch welche die dünnen Theile des Eiweiſses in den Dotter
dringen. Vielmehr sind sie die allerschwierigsten Wege, welche sich das Eiweiſs
wählen könnte; denn da die Dotterhaut in dieser Gegend sicher nicht durchbohrt

ist,
*) In den meisten Fällen läſst sich ohne Abtrennung des dritten Eiweiſses auch die feinste Sonde
nicht in die Hagelschnur einführen.
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[16/0026] ein groſser Theil nicht ganz frisch zu seyn pflegt. Dasselbe hat Purkinje beobachtet. Viel ist darüber gestritten worden, ob die Hagelschnüre hohl sind, oder nicht. Es kann nämlich keinem Zweifel unterworfen werden, daſs während der Bebrütung die Dotterkugel an Umfang zunimmt und die Masse des Dotters flüssiger wird, während das Eiweiſs an Flüssigkeit verliert. Es geht also wohl Flüssigkeit aus dem Dotter in das Eiweiſs über. Da war es denn einigen Beobachtern wahrscheinlich, daſs die Hagelschnüre wie Saug- adern oder ähnliche Kanäle die Flüssigkeit dem Dotter zuleiteten. Um diese Ansicht geltend zu machen, hat man behauptet, das dem Dotter zugekehrte Ende der Hagelschnüre münde durch eine Oeffnung der Dotterhaut in die Dotter- kugel ein und das abgekehrte Ende löse sich in Franzen auf, die als Saugfasern wirken. Allen diesen Angaben kann ich nicht beistimmen. Zuvörderst muſs man den Trichter der Hagelschnur von der Dotterhaut unterscheiden. Zwar ist der Trichter oft klein, und es liegt dann auch seine Spitze nahe an der Dotter- kugel, doch kann man die Dotterhaut immer wenigstens im Umfange einer Linie abtrennen, und man sieht deutlich unter dem Microscope, daſs die Dotterhaut hier keine Oeffnung hat. Der Trichter ist allerdings hohl, seine Spitze geht nothwen- dig in die Hagelschnur ein und läſst eine feine Sonde zuweilen eine Linie weit fort- schieben *), allein bald verliert sich alle Höhlung. Ferner kann man allerdings die Haut der Hagelschnur etwas aufdrehen, wenn man sich die groſse Mühe nicht verdrieſsen läſst, das zähe, eng anliegende innerste Eiweiſs schichtenweise sorg- sam zu entfernen, aber meistens wird man kaum ein Paar Linien weit den Strang aufdrehen, weil die Haut sehr dicht verschnürt ist und im natürlichen Zustande keine Höhlung hat. Nur wenn die Hagelschnur kurz und in grader Linie ge- dreht ist, kommen einzelne kleine Stellen vor, wo die Haut, aus der sie besteht, so wenig verschnürt ist, daſs im Innern eine kleine Lücke bleibt. Doch sind diese Stellen sehr beschränkt. Eben so wenig sehe ich am abgekehrten Ende Saugfäden. Dieses ist vielmehr unregelmäſsig kolbig und nur das anhängende Ei- weiſs mag den Schein von solchen Fäden angenommen haben, indem man die eigentliche Hagelschnur aus ihm herauszog. Die Hagelschnüre sind also wohl nicht die Kanäle, durch welche die dünnen Theile des Eiweiſses in den Dotter dringen. Vielmehr sind sie die allerschwierigsten Wege, welche sich das Eiweiſs wählen könnte; denn da die Dotterhaut in dieser Gegend sicher nicht durchbohrt ist, *) In den meisten Fällen läſst sich ohne Abtrennung des dritten Eiweiſses auch die feinste Sonde nicht in die Hagelschnur einführen.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/26>, abgerufen am 29.03.2024.