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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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Er ist also kein Lebensact, sondern eine rein physische Verdünstung, die nur un-
terbleibt, wenn man durch einen Ueberzug von Firniss oder auf ähnliche Weise
die Verdünstung hindert. Hiermit soll aber nicht behauptet werden, dass, wenn
sich das Küchlein entwickelt, das Leben desselben auf die Verdünstung gar kei-
nen Einfluss habe, besonders in der letzten Zeit.

Das Verdünsten des Eiweisses hat eine merkwürdige und für die Entwicke-c. Erzeu-
gung von
Luft.

lung des Küchleins sehr wichtige Folge. Das Eiweiss nämlich, das an Masse ver-
liert, zieht sich zusammen. Da es am spitzen Ende fester anhängt, so zieht es
sich vom stumpfen Ende mehr ab. Ihm folgt das zunächst anliegende innere Blatt
der Schaalenhaut. Es würde also zwischen beiden Blättern am stumpfen Ende ein
leerer Raum entstehen, wenn sich hier keine Luft ansammelte. Diese zeigt sich
aber gleich nach dem Beginne der Verdünstung und zwar nur in Eiern mit harter
Schaale -- in Eiern mit unvollendeter Schaale nicht. Die letzteren fallen viel-
mehr zusammen, wenn die Verdünstung wirkt. So entsteht also der Luftraum *)
in den gewöhnlichen hartschaaligen Eiern als Folge der Verdünstung. Die Luft
könnte man als von aussen eingedrungen annehmen, wenn das stumpfe Ende der
Schaale hinlänglich weite Poren hätte. Allein die chemische Untersuchung
spricht dagegen, indem die Luft des Luftraumes beträchtlich reicher an Sauerstoff-
gas ist, als die atmosphärische Luft, denn ihr Sauerstoffgehalt wechselt von 0,25
bis 0,27 **). Es muss also die Luft aus den Theilen des Eies selbst stammen.
Entweder kann die Feuchtigkeit des Eiweisses, indem sie, durch die weichen
vom Kalke nicht ganz ausgefüllten Theile der Schaale verdünstet, die in ihr ent-
haltene Luft nicht mitnehmen, und diese sammelt sich nun zwischen beiden Blät-
tern der Schaalenhaut am stumpfen Ende an, wo wegen Zusammenziehung des
Eiweisses ein leerer Raum entsteht, oder es tritt unmittelbar aus dem nicht ver-
dünsteten Eiweisse Luft aus, weil der Druck, unter welchem das Eiweiss früher
war, sich verringert hat, indem am stumpfen Ende ein leerer Raum sich zu bil-
den anfängt. Immer muss die ausgeschiedene Luft, wenn sie früher dem Eiweiss
beigemischt war, sauerstoffreicher seyn, als die atmosphärische, da Flüssigkei-

*) Der Luftraum wird auch Luftblase genannt, eine unpassende Benennung, da der Raum we-
der in der Gestalt einer Blase gleicht, noch auch von einer eigenen Haut umschlossen ist.
**) Dieses Maass fand Hr. Doctor Dulk. Schon Bischoff hatte auf den Sauerstoffreichthum
der Luft in den Eiern aufmerksam gemacht (N. Journal für Ch. u. Ph. N. R. B. IX. S. 446)
und die Menge desselben zu 0,22 bis 0,245 angegeben. Weil diese Anzeige etwas kurz war,
bat ich Hn. Dr. Dulk die Untersuchung zu wiederholen. Das Resultat dieser Untersuchung
ist für die Entwickelungsgeschichte und die gesammte Physiologie so wichtig, dass ich es für
Pflicht halte, die von ihm mir gewordene gütige Mittheilung hier in einem Anhange voll-
ständig bekannt zu machen.

Er ist also kein Lebensact, sondern eine rein physische Verdünstung, die nur un-
terbleibt, wenn man durch einen Ueberzug von Firniſs oder auf ähnliche Weise
die Verdünstung hindert. Hiermit soll aber nicht behauptet werden, daſs, wenn
sich das Küchlein entwickelt, das Leben desselben auf die Verdünstung gar kei-
nen Einfluſs habe, besonders in der letzten Zeit.

Das Verdünsten des Eiweiſses hat eine merkwürdige und für die Entwicke-c. Erzeu-
gung von
Luft.

lung des Küchleins sehr wichtige Folge. Das Eiweiſs nämlich, das an Masse ver-
liert, zieht sich zusammen. Da es am spitzen Ende fester anhängt, so zieht es
sich vom stumpfen Ende mehr ab. Ihm folgt das zunächst anliegende innere Blatt
der Schaalenhaut. Es würde also zwischen beiden Blättern am stumpfen Ende ein
leerer Raum entstehen, wenn sich hier keine Luft ansammelte. Diese zeigt sich
aber gleich nach dem Beginne der Verdünstung und zwar nur in Eiern mit harter
Schaale — in Eiern mit unvollendeter Schaale nicht. Die letzteren fallen viel-
mehr zusammen, wenn die Verdünstung wirkt. So entsteht also der Luftraum *)
in den gewöhnlichen hartschaaligen Eiern als Folge der Verdünstung. Die Luft
könnte man als von auſsen eingedrungen annehmen, wenn das stumpfe Ende der
Schaale hinlänglich weite Poren hätte. Allein die chemische Untersuchung
spricht dagegen, indem die Luft des Luftraumes beträchtlich reicher an Sauerstoff-
gas ist, als die atmosphärische Luft, denn ihr Sauerstoffgehalt wechselt von 0,25
bis 0,27 **). Es muſs also die Luft aus den Theilen des Eies selbst stammen.
Entweder kann die Feuchtigkeit des Eiweiſses, indem sie, durch die weichen
vom Kalke nicht ganz ausgefüllten Theile der Schaale verdünstet, die in ihr ent-
haltene Luft nicht mitnehmen, und diese sammelt sich nun zwischen beiden Blät-
tern der Schaalenhaut am stumpfen Ende an, wo wegen Zusammenziehung des
Eiweiſses ein leerer Raum entsteht, oder es tritt unmittelbar aus dem nicht ver-
dünsteten Eiweiſse Luft aus, weil der Druck, unter welchem das Eiweiſs früher
war, sich verringert hat, indem am stumpfen Ende ein leerer Raum sich zu bil-
den anfängt. Immer muſs die ausgeschiedene Luft, wenn sie früher dem Eiweiſs
beigemischt war, sauerstoffreicher seyn, als die atmosphärische, da Flüssigkei-

*) Der Luftraum wird auch Luftblase genannt, eine unpassende Benennung, da der Raum we-
der in der Gestalt einer Blase gleicht, noch auch von einer eigenen Haut umschlossen ist.
**) Dieses Maaſs fand Hr. Doctor Dulk. Schon Bischoff hatte auf den Sauerstoffreichthum
der Luft in den Eiern aufmerksam gemacht (N. Journal für Ch. u. Ph. N. R. B. IX. S. 446)
und die Menge desselben zu 0,22 bis 0,245 angegeben. Weil diese Anzeige etwas kurz war,
bat ich Hn. Dr. Dulk die Untersuchung zu wiederholen. Das Resultat dieser Untersuchung
ist für die Entwickelungsgeschichte und die gesammte Physiologie so wichtig, daſs ich es für
Pflicht halte, die von ihm mir gewordene gütige Mittheilung hier in einem Anhange voll-
ständig bekannt zu machen.
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[37/0047] Er ist also kein Lebensact, sondern eine rein physische Verdünstung, die nur un- terbleibt, wenn man durch einen Ueberzug von Firniſs oder auf ähnliche Weise die Verdünstung hindert. Hiermit soll aber nicht behauptet werden, daſs, wenn sich das Küchlein entwickelt, das Leben desselben auf die Verdünstung gar kei- nen Einfluſs habe, besonders in der letzten Zeit. Das Verdünsten des Eiweiſses hat eine merkwürdige und für die Entwicke- lung des Küchleins sehr wichtige Folge. Das Eiweiſs nämlich, das an Masse ver- liert, zieht sich zusammen. Da es am spitzen Ende fester anhängt, so zieht es sich vom stumpfen Ende mehr ab. Ihm folgt das zunächst anliegende innere Blatt der Schaalenhaut. Es würde also zwischen beiden Blättern am stumpfen Ende ein leerer Raum entstehen, wenn sich hier keine Luft ansammelte. Diese zeigt sich aber gleich nach dem Beginne der Verdünstung und zwar nur in Eiern mit harter Schaale — in Eiern mit unvollendeter Schaale nicht. Die letzteren fallen viel- mehr zusammen, wenn die Verdünstung wirkt. So entsteht also der Luftraum *) in den gewöhnlichen hartschaaligen Eiern als Folge der Verdünstung. Die Luft könnte man als von auſsen eingedrungen annehmen, wenn das stumpfe Ende der Schaale hinlänglich weite Poren hätte. Allein die chemische Untersuchung spricht dagegen, indem die Luft des Luftraumes beträchtlich reicher an Sauerstoff- gas ist, als die atmosphärische Luft, denn ihr Sauerstoffgehalt wechselt von 0,25 bis 0,27 **). Es muſs also die Luft aus den Theilen des Eies selbst stammen. Entweder kann die Feuchtigkeit des Eiweiſses, indem sie, durch die weichen vom Kalke nicht ganz ausgefüllten Theile der Schaale verdünstet, die in ihr ent- haltene Luft nicht mitnehmen, und diese sammelt sich nun zwischen beiden Blät- tern der Schaalenhaut am stumpfen Ende an, wo wegen Zusammenziehung des Eiweiſses ein leerer Raum entsteht, oder es tritt unmittelbar aus dem nicht ver- dünsteten Eiweiſse Luft aus, weil der Druck, unter welchem das Eiweiſs früher war, sich verringert hat, indem am stumpfen Ende ein leerer Raum sich zu bil- den anfängt. Immer muſs die ausgeschiedene Luft, wenn sie früher dem Eiweiſs beigemischt war, sauerstoffreicher seyn, als die atmosphärische, da Flüssigkei- c. Erzeu- gung von Luft. *) Der Luftraum wird auch Luftblase genannt, eine unpassende Benennung, da der Raum we- der in der Gestalt einer Blase gleicht, noch auch von einer eigenen Haut umschlossen ist. **) Dieses Maaſs fand Hr. Doctor Dulk. Schon Bischoff hatte auf den Sauerstoffreichthum der Luft in den Eiern aufmerksam gemacht (N. Journal für Ch. u. Ph. N. R. B. IX. S. 446) und die Menge desselben zu 0,22 bis 0,245 angegeben. Weil diese Anzeige etwas kurz war, bat ich Hn. Dr. Dulk die Untersuchung zu wiederholen. Das Resultat dieser Untersuchung ist für die Entwickelungsgeschichte und die gesammte Physiologie so wichtig, daſs ich es für Pflicht halte, die von ihm mir gewordene gütige Mittheilung hier in einem Anhange voll- ständig bekannt zu machen.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/47>, abgerufen am 28.03.2024.