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Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912].

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Qualität? Jch glaube, das Proportional-Wahlrecht, das ja auch
ein allgemeines, gleiches, geheimes Wahlrecht sein kann, würde sich einer
wirklichen Gerechtigkeit schon erheblich nähern.

Jn den städtischen Verwaltungen der großen Jndustriestädte
und der Stadt-Staaten würde bei Einführung des allgemeinen, gleichen
Wahlrechts, meiner Meinung nach, noch erschwerend hinzukommen,
daß dann die Vertreter der Massen, die mit einem Einkommen von
900 --2100 Mk. hier in Bremen etwa 80 % aller Steuerzahler schon
allein ausmachen, und zusammen nur 15 % der Einkommen-Steuer
aufbringen, sicher etwa 6/8 aller Sitze innehaben würden und damit in
allen Finanzfragen, auf die gerade in den städtischen Verwaltungen
fast alles hinausläuft, die alleinige Entscheidung über die Verwendung
der 85 % Steuern, die von den übrigen 20 % Steuerzahlern aufgebracht
werden! Nun ist aber einer der am häufigsten für das Frauenstimm-
recht angeführten Gründe der, daß die Frauen bei der Verwendung der
von ihnen gezahlten Steuern mitzusagen haben wollen, sie empfinden es
als Ungerechtigkeit, daß sie die Pflicht des Steuerzahlens haben,
aber nicht das Recht des Mitbestimmens! Was wir aber für die Frauen
als Ungerechtigkeit bekämpfen und beseitigen wollen, können wir das für
die männlichen Haupt-Steuerzahler als Gerechtigkeit preisen und durch
das allgemeine, gleiche Wahlrecht für die Gemeinden heraufbeschwören
wollen? Dabei soll natürlich nicht behauptet werden, daß ein Wahlrecht
nur nach dem Besitz oder nur nach der Bildung das empfehlenswerteste
für diese Verwaltungen sei; ihre allzugroßen Schattenseiten treten bei
dem preußischen Dreiklassenwahlrecht, bei dem bekanntlich der Besitz aus-
schlaggebend ist, ja nur zu offen zutage. Wenn man objektiv etwas
beurteilen will, muß man beide Seiten der Medaille kritisch prüfen, und
da kann man sich meiner Meinung nach nicht der Ansicht verschließen,
daß auch das so vielgepriesene allgemeine, gleiche, geheime und direkte
Wahlrecht, seine großen Schattenseiten haben wird.

Theorie und Praxis, Prinzip und Wirklichkeit stehen hier, wie so
oft, im schärfsten Widerspruch zueinander. Gerechtigkeit nach einer Seite
bedeutet Ungerechtigkeit nach der andern Seite hin - eine "unbedingte"
Gerechtigkeit an und für sich gibt es eben nicht - und vorsichtiges
und kluges Abwägen wird auch hier, wie bei jeder praktischen Arbeit,
am Platze sein.

Und wie ist es denn mit der Gerechtigkeit gegen alle Frauen
durch Aufnahme des § 3 in die Satzungen? Durch die Aufnahme der
Forderung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts

Qualität? Jch glaube, das Proportional-Wahlrecht, das ja auch
ein allgemeines, gleiches, geheimes Wahlrecht sein kann, würde sich einer
wirklichen Gerechtigkeit schon erheblich nähern.

Jn den städtischen Verwaltungen der großen Jndustriestädte
und der Stadt-Staaten würde bei Einführung des allgemeinen, gleichen
Wahlrechts, meiner Meinung nach, noch erschwerend hinzukommen,
daß dann die Vertreter der Massen, die mit einem Einkommen von
900 —2100 Mk. hier in Bremen etwa 80 % aller Steuerzahler schon
allein ausmachen, und zusammen nur 15 % der Einkommen-Steuer
aufbringen, sicher etwa 6/8 aller Sitze innehaben würden und damit in
allen Finanzfragen, auf die gerade in den städtischen Verwaltungen
fast alles hinausläuft, die alleinige Entscheidung über die Verwendung
der 85 % Steuern, die von den übrigen 20 % Steuerzahlern aufgebracht
werden! Nun ist aber einer der am häufigsten für das Frauenstimm-
recht angeführten Gründe der, daß die Frauen bei der Verwendung der
von ihnen gezahlten Steuern mitzusagen haben wollen, sie empfinden es
als Ungerechtigkeit, daß sie die Pflicht des Steuerzahlens haben,
aber nicht das Recht des Mitbestimmens! Was wir aber für die Frauen
als Ungerechtigkeit bekämpfen und beseitigen wollen, können wir das für
die männlichen Haupt-Steuerzahler als Gerechtigkeit preisen und durch
das allgemeine, gleiche Wahlrecht für die Gemeinden heraufbeschwören
wollen? Dabei soll natürlich nicht behauptet werden, daß ein Wahlrecht
nur nach dem Besitz oder nur nach der Bildung das empfehlenswerteste
für diese Verwaltungen sei; ihre allzugroßen Schattenseiten treten bei
dem preußischen Dreiklassenwahlrecht, bei dem bekanntlich der Besitz aus-
schlaggebend ist, ja nur zu offen zutage. Wenn man objektiv etwas
beurteilen will, muß man beide Seiten der Medaille kritisch prüfen, und
da kann man sich meiner Meinung nach nicht der Ansicht verschließen,
daß auch das so vielgepriesene allgemeine, gleiche, geheime und direkte
Wahlrecht, seine großen Schattenseiten haben wird.

Theorie und Praxis, Prinzip und Wirklichkeit stehen hier, wie so
oft, im schärfsten Widerspruch zueinander. Gerechtigkeit nach einer Seite
bedeutet Ungerechtigkeit nach der andern Seite hin – eine „unbedingte
Gerechtigkeit an und für sich gibt es eben nicht – und vorsichtiges
und kluges Abwägen wird auch hier, wie bei jeder praktischen Arbeit,
am Platze sein.

Und wie ist es denn mit der Gerechtigkeit gegen alle Frauen
durch Aufnahme des § 3 in die Satzungen? Durch die Aufnahme der
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[11/0010] Qualität? Jch glaube, das Proportional-Wahlrecht, das ja auch ein allgemeines, gleiches, geheimes Wahlrecht sein kann, würde sich einer wirklichen Gerechtigkeit schon erheblich nähern. Jn den städtischen Verwaltungen der großen Jndustriestädte und der Stadt-Staaten würde bei Einführung des allgemeinen, gleichen Wahlrechts, meiner Meinung nach, noch erschwerend hinzukommen, daß dann die Vertreter der Massen, die mit einem Einkommen von 900 —2100 Mk. hier in Bremen etwa 80 % aller Steuerzahler schon allein ausmachen, und zusammen nur 15 % der Einkommen-Steuer aufbringen, sicher etwa 6/8 aller Sitze innehaben würden und damit in allen Finanzfragen, auf die gerade in den städtischen Verwaltungen fast alles hinausläuft, die alleinige Entscheidung über die Verwendung der 85 % Steuern, die von den übrigen 20 % Steuerzahlern aufgebracht werden! Nun ist aber einer der am häufigsten für das Frauenstimm- recht angeführten Gründe der, daß die Frauen bei der Verwendung der von ihnen gezahlten Steuern mitzusagen haben wollen, sie empfinden es als Ungerechtigkeit, daß sie die Pflicht des Steuerzahlens haben, aber nicht das Recht des Mitbestimmens! Was wir aber für die Frauen als Ungerechtigkeit bekämpfen und beseitigen wollen, können wir das für die männlichen Haupt-Steuerzahler als Gerechtigkeit preisen und durch das allgemeine, gleiche Wahlrecht für die Gemeinden heraufbeschwören wollen? Dabei soll natürlich nicht behauptet werden, daß ein Wahlrecht nur nach dem Besitz oder nur nach der Bildung das empfehlenswerteste für diese Verwaltungen sei; ihre allzugroßen Schattenseiten treten bei dem preußischen Dreiklassenwahlrecht, bei dem bekanntlich der Besitz aus- schlaggebend ist, ja nur zu offen zutage. Wenn man objektiv etwas beurteilen will, muß man beide Seiten der Medaille kritisch prüfen, und da kann man sich meiner Meinung nach nicht der Ansicht verschließen, daß auch das so vielgepriesene allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht, seine großen Schattenseiten haben wird. Theorie und Praxis, Prinzip und Wirklichkeit stehen hier, wie so oft, im schärfsten Widerspruch zueinander. Gerechtigkeit nach einer Seite bedeutet Ungerechtigkeit nach der andern Seite hin – eine „unbedingte“ Gerechtigkeit an und für sich gibt es eben nicht – und vorsichtiges und kluges Abwägen wird auch hier, wie bei jeder praktischen Arbeit, am Platze sein. Und wie ist es denn mit der Gerechtigkeit gegen alle Frauen durch Aufnahme des § 3 in die Satzungen? Durch die Aufnahme der Forderung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-05T18:44:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-05T18:44:52Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912], S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahnson_satzungen_1912/10>, abgerufen am 28.03.2024.