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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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deutschen Patrioten von 1848 für den Bismarckianismus
von 1871 war, was in Frankreich der General Cavaignac
für Napolen III: ein Vorläufer" 70).

5.

Einem deutschen Handwerksburschen, Wilhelm Weitling,
gebührt die Ehre, jenes Bündnis zwischen politischem und
religiösem Radikalismus, von dem Börne spricht, nicht nur
gesucht, sondern vertreten und in weitverzweigten Brüder-
schaften, die sich über den ganzen Westen Europas er-
streckten, als neues geistiges Ideal aufgestellt zu haben.

Die Romantiker hatten die Handwerksburschenpoesie
wieder entdeckt; Weitling, der Handwerksbursche, fand
wieder: die Idee des Urchristentums. "Es sind besonders
die Handwerksburschen", schrieb Heine in der "Romantischen
Schule"; "gar oft auf meinen Fussreisen verkehrte ich mit
diesen Leuten und bemerkte, wie sie zuweilen, angeregt von
irgend einem ungewöhnlichen Ereignisse, ein Stück Volks-
lied improvisierten oder in die freie Luft hineinpfiffen. Die
Worte fallen solchem Burschen vom Himmel herab auf die
Lippen und er braucht sie nur auszusprechen, und sie sind
dann noch poetischer als all die schönen poetischen Phrasen,
die wir aus der Tiefe unseres Herzens hervorgrübeln" 71).

Da hat man ein Bild Wilhelm Weitlings. Die Hand-
werksburschen, die Weitlings "Bund der Gerechten" ange-
hörten, zeigten einen Idealismus, ein Feuer und einen
Opferwillen, die der bürgerlichen Gesellschaft verloren ge-
gangen schienen. "Von ihrem Bildungstrieb und Wissens-
durst", schreibt Mehring, "kann man sich nicht leicht eine
zu hohe Vorstellung machen". Sie besoldeten Lehrer, von
denen sie sich in den verschiedenen Wissenszweigen unter-
richten liessen; sie gaben ihre ganzen Ersparnisse her für
den Druck wichtiger Schriften 72).

Weitling wurde geboren 1808 als preussischer Untertan

deutschen Patrioten von 1848 für den Bismarckianismus
von 1871 war, was in Frankreich der General Cavaignac
für Napolen III: ein Vorläufer“ 70).

5.

Einem deutschen Handwerksburschen, Wilhelm Weitling,
gebührt die Ehre, jenes Bündnis zwischen politischem und
religiösem Radikalismus, von dem Börne spricht, nicht nur
gesucht, sondern vertreten und in weitverzweigten Brüder-
schaften, die sich über den ganzen Westen Europas er-
streckten, als neues geistiges Ideal aufgestellt zu haben.

Die Romantiker hatten die Handwerksburschenpoesie
wieder entdeckt; Weitling, der Handwerksbursche, fand
wieder: die Idee des Urchristentums. „Es sind besonders
die Handwerksburschen“, schrieb Heine in der „Romantischen
Schule“; „gar oft auf meinen Fussreisen verkehrte ich mit
diesen Leuten und bemerkte, wie sie zuweilen, angeregt von
irgend einem ungewöhnlichen Ereignisse, ein Stück Volks-
lied improvisierten oder in die freie Luft hineinpfiffen. Die
Worte fallen solchem Burschen vom Himmel herab auf die
Lippen und er braucht sie nur auszusprechen, und sie sind
dann noch poetischer als all die schönen poetischen Phrasen,
die wir aus der Tiefe unseres Herzens hervorgrübeln“ 71).

Da hat man ein Bild Wilhelm Weitlings. Die Hand-
werksburschen, die Weitlings „Bund der Gerechten“ ange-
hörten, zeigten einen Idealismus, ein Feuer und einen
Opferwillen, die der bürgerlichen Gesellschaft verloren ge-
gangen schienen. „Von ihrem Bildungstrieb und Wissens-
durst“, schreibt Mehring, „kann man sich nicht leicht eine
zu hohe Vorstellung machen“. Sie besoldeten Lehrer, von
denen sie sich in den verschiedenen Wissenszweigen unter-
richten liessen; sie gaben ihre ganzen Ersparnisse her für
den Druck wichtiger Schriften 72).

Weitling wurde geboren 1808 als preussischer Untertan

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[155/0163] deutschen Patrioten von 1848 für den Bismarckianismus von 1871 war, was in Frankreich der General Cavaignac für Napolen III: ein Vorläufer“ ⁷⁰⁾ . 5. Einem deutschen Handwerksburschen, Wilhelm Weitling, gebührt die Ehre, jenes Bündnis zwischen politischem und religiösem Radikalismus, von dem Börne spricht, nicht nur gesucht, sondern vertreten und in weitverzweigten Brüder- schaften, die sich über den ganzen Westen Europas er- streckten, als neues geistiges Ideal aufgestellt zu haben. Die Romantiker hatten die Handwerksburschenpoesie wieder entdeckt; Weitling, der Handwerksbursche, fand wieder: die Idee des Urchristentums. „Es sind besonders die Handwerksburschen“, schrieb Heine in der „Romantischen Schule“; „gar oft auf meinen Fussreisen verkehrte ich mit diesen Leuten und bemerkte, wie sie zuweilen, angeregt von irgend einem ungewöhnlichen Ereignisse, ein Stück Volks- lied improvisierten oder in die freie Luft hineinpfiffen. Die Worte fallen solchem Burschen vom Himmel herab auf die Lippen und er braucht sie nur auszusprechen, und sie sind dann noch poetischer als all die schönen poetischen Phrasen, die wir aus der Tiefe unseres Herzens hervorgrübeln“ ⁷¹⁾ . Da hat man ein Bild Wilhelm Weitlings. Die Hand- werksburschen, die Weitlings „Bund der Gerechten“ ange- hörten, zeigten einen Idealismus, ein Feuer und einen Opferwillen, die der bürgerlichen Gesellschaft verloren ge- gangen schienen. „Von ihrem Bildungstrieb und Wissens- durst“, schreibt Mehring, „kann man sich nicht leicht eine zu hohe Vorstellung machen“. Sie besoldeten Lehrer, von denen sie sich in den verschiedenen Wissenszweigen unter- richten liessen; sie gaben ihre ganzen Ersparnisse her für den Druck wichtiger Schriften ⁷²⁾ . Weitling wurde geboren 1808 als preussischer Untertan

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/163>, abgerufen am 25.04.2024.