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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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gewundenen Steifheit nahmen sie als Herausforderung, als
eine persönliche Beleidigung. Sie verstanden es nie, sich
verführen zu lassen, Werbungen zu erwidern. Finster und
verschlossen blieben sie aufgerichtet als eine drohende Kon-
struktion. Enthusiasmus und Liebe beantworteten sie mit
Polizeimassnahmen und Rüstungsfieber. Das Momento mori
des Mittelalters und die daher rührende Gewissenspathologie
hatten es ihnen angetan. Als die geborenen Schwarzseher
wandelten sie; die schwärzesten Mönche haben sie hervor
gebracht: jenen Berthold, der das Schiesspulver erfand, und
jenen Martin, Knecht Gottes, der das frohmütige Kuschen
einführte und die Pedanterie eines darüber keineswegs völlig
beruhigten Gewissens. Nie verliebte man sich in andere
Nationen, stets fühlte man sich als Richter, Rächer und Vor-
mund. Sie misstrauten aus Prinzip, denn man kann nicht
wissen, was einem passiert; die Welt ist bösartig, ausschwei-
fend, räuberisch. Es ist angebracht, stets die Stirne zu run-
zeln, mit geladenem Revolver zu gehen, stechende Blicke
um sich zu werfen, die Brust in Positur zu halten und
mit verbissenen Nussknackerkiefern den Muskel spielen zu
lassen. Ein Barockvolk kat exochen, Kopf und Körper ein
Hirn- und ein Muskelkrampf; ein drohendes Drahtgespenst
mit Allongeperrücke, jedoch keine Menschheit. Nie traten
epochale Entspannungen ein.

2.

Was man die deutsche Mentalität nennt, hat sich be-
rüchtigt gemacht und ist trauriges Zeugnis der Prinzipien-
und Herzlosigkeit, des Mangels an Logik und Präzision, vor
allem aber an instinktiver Moral. 1914: kaum eine offizielle
Persönlichkeit, die sich nicht kompromittierte. Pastoren und
Dichter, Staatsleute und Gelehrte wetteiferten, einen mög-
lichst niedrigen Begriff von der Nation zu verbreiten. Eine
Vermengung von Interesse und Wert, von Befehl und Idee


gewundenen Steifheit nahmen sie als Herausforderung, als
eine persönliche Beleidigung. Sie verstanden es nie, sich
verführen zu lassen, Werbungen zu erwidern. Finster und
verschlossen blieben sie aufgerichtet als eine drohende Kon-
struktion. Enthusiasmus und Liebe beantworteten sie mit
Polizeimassnahmen und Rüstungsfieber. Das Momento mori
des Mittelalters und die daher rührende Gewissenspathologie
hatten es ihnen angetan. Als die geborenen Schwarzseher
wandelten sie; die schwärzesten Mönche haben sie hervor
gebracht: jenen Berthold, der das Schiesspulver erfand, und
jenen Martin, Knecht Gottes, der das frohmütige Kuschen
einführte und die Pedanterie eines darüber keineswegs völlig
beruhigten Gewissens. Nie verliebte man sich in andere
Nationen, stets fühlte man sich als Richter, Rächer und Vor-
mund. Sie misstrauten aus Prinzip, denn man kann nicht
wissen, was einem passiert; die Welt ist bösartig, ausschwei-
fend, räuberisch. Es ist angebracht, stets die Stirne zu run-
zeln, mit geladenem Revolver zu gehen, stechende Blicke
um sich zu werfen, die Brust in Positur zu halten und
mit verbissenen Nussknackerkiefern den Muskel spielen zu
lassen. Ein Barockvolk kat exochen, Kopf und Körper ein
Hirn- und ein Muskelkrampf; ein drohendes Drahtgespenst
mit Allongeperrücke, jedoch keine Menschheit. Nie traten
epochale Entspannungen ein.

2.

Was man die deutsche Mentalität nennt, hat sich be-
rüchtigt gemacht und ist trauriges Zeugnis der Prinzipien-
und Herzlosigkeit, des Mangels an Logik und Präzision, vor
allem aber an instinktiver Moral. 1914: kaum eine offizielle
Persönlichkeit, die sich nicht kompromittierte. Pastoren und
Dichter, Staatsleute und Gelehrte wetteiferten, einen mög-
lichst niedrigen Begriff von der Nation zu verbreiten. Eine
Vermengung von Interesse und Wert, von Befehl und Idee

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[2/0010] gewundenen Steifheit nahmen sie als Herausforderung, als eine persönliche Beleidigung. Sie verstanden es nie, sich verführen zu lassen, Werbungen zu erwidern. Finster und verschlossen blieben sie aufgerichtet als eine drohende Kon- struktion. Enthusiasmus und Liebe beantworteten sie mit Polizeimassnahmen und Rüstungsfieber. Das Momento mori des Mittelalters und die daher rührende Gewissenspathologie hatten es ihnen angetan. Als die geborenen Schwarzseher wandelten sie; die schwärzesten Mönche haben sie hervor gebracht: jenen Berthold, der das Schiesspulver erfand, und jenen Martin, Knecht Gottes, der das frohmütige Kuschen einführte und die Pedanterie eines darüber keineswegs völlig beruhigten Gewissens. Nie verliebte man sich in andere Nationen, stets fühlte man sich als Richter, Rächer und Vor- mund. Sie misstrauten aus Prinzip, denn man kann nicht wissen, was einem passiert; die Welt ist bösartig, ausschwei- fend, räuberisch. Es ist angebracht, stets die Stirne zu run- zeln, mit geladenem Revolver zu gehen, stechende Blicke um sich zu werfen, die Brust in Positur zu halten und mit verbissenen Nussknackerkiefern den Muskel spielen zu lassen. Ein Barockvolk kat exochen, Kopf und Körper ein Hirn- und ein Muskelkrampf; ein drohendes Drahtgespenst mit Allongeperrücke, jedoch keine Menschheit. Nie traten epochale Entspannungen ein. 2. Was man die deutsche Mentalität nennt, hat sich be- rüchtigt gemacht und ist trauriges Zeugnis der Prinzipien- und Herzlosigkeit, des Mangels an Logik und Präzision, vor allem aber an instinktiver Moral. 1914: kaum eine offizielle Persönlichkeit, die sich nicht kompromittierte. Pastoren und Dichter, Staatsleute und Gelehrte wetteiferten, einen mög- lichst niedrigen Begriff von der Nation zu verbreiten. Eine Vermengung von Interesse und Wert, von Befehl und Idee

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/10>, abgerufen am 29.03.2024.