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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die jungen
teutschen Originalgenies gemessen an Bossuet, Fenelon,
Pascal und Bayle! Von jetzt an war es geoffenbart, dass
Preussen auch ideell an der Spitze marschierte. Es bedarf
keiner Zitate. Das Pamphlet, energisch stilisiert und von
grossen Gesichtspunkten aus alfresco diktiert, bannte die
spärlichen Koryphäen der Heimatkunst und unterwarf sie
sich wie die Schlange den Vogel. Die Frau Rat war ausser
sich, und Wolfgang dachte an eine Erwiderung. Aber der
Hof von Gotha winkte ab, und der Druck unterblieb.
Herder fasste den Entschluss, sein früher erschienenes Frag-
ment "Ueber die neuere deutsche Literatur" gründlich zu
revidieren und tat es auch. Wieland schrieb im "Teut-
schen Merkur": "Seit vielen Jahren waren wir gewiss, dass
der erhabene Verfasser niemals an unserer Literatur einigen
Anteil genommen habe. Wir sehen, dass er sich in vorigen
Zeiten mit ihr beschäftigt und die besten Gesinnungen für
sie hegt, auch noch das Beste für sie zu hoffen und zu
wünschen geneigt ist". Klopstock, der sich am heftigsten
mitgenommen fühlte, machte seinem Grimm in einer ganzen
Reihe bombastischer Oden Luft 127).

Der König hatte bewiesen, dass er nicht nur in den
Bataille zu fechten verstand, sondern auch dero deutschen
Intelligenz Meister war. Der König gab klärlich kund und
zu wissen, die Zeiten seien vorbei, da man barbarisch in
Preussen die Evangelisten erschlug 128).

Man hätte seinen Anregungen folgen sollen. Sie waren
geeignet, mancherlei Abhilfe und Freiheit zu schaffen. Unter
königlichem Protektorat eine französische Uebersetzungsge-
sellschaft, wie Nowikow und Katharina sie in Russland
hatten 129), tat der Nation dringlicher not als ein Weimarer
Amateurtheater. Man hätte dem Könige vorschlagen sollen,
all jene französischen Klassiker zu übersetzen, die er empfahl.
Es wäre ein unvergängliches Werk geworden. Man tat es
nicht. Man hätte die französische Revolution besser verstanden

Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die jungen
teutschen Originalgenies gemessen an Bossuet, Fenélon,
Pascal und Bayle! Von jetzt an war es geoffenbart, dass
Preussen auch ideell an der Spitze marschierte. Es bedarf
keiner Zitate. Das Pamphlet, energisch stilisiert und von
grossen Gesichtspunkten aus alfresco diktiert, bannte die
spärlichen Koryphäen der Heimatkunst und unterwarf sie
sich wie die Schlange den Vogel. Die Frau Rat war ausser
sich, und Wolfgang dachte an eine Erwiderung. Aber der
Hof von Gotha winkte ab, und der Druck unterblieb.
Herder fasste den Entschluss, sein früher erschienenes Frag-
ment „Ueber die neuere deutsche Literatur“ gründlich zu
revidieren und tat es auch. Wieland schrieb im „Teut-
schen Merkur“: „Seit vielen Jahren waren wir gewiss, dass
der erhabene Verfasser niemals an unserer Literatur einigen
Anteil genommen habe. Wir sehen, dass er sich in vorigen
Zeiten mit ihr beschäftigt und die besten Gesinnungen für
sie hegt, auch noch das Beste für sie zu hoffen und zu
wünschen geneigt ist“. Klopstock, der sich am heftigsten
mitgenommen fühlte, machte seinem Grimm in einer ganzen
Reihe bombastischer Oden Luft 127).

Der König hatte bewiesen, dass er nicht nur in den
Bataille zu fechten verstand, sondern auch dero deutschen
Intelligenz Meister war. Der König gab klärlich kund und
zu wissen, die Zeiten seien vorbei, da man barbarisch in
Preussen die Evangelisten erschlug 128).

Man hätte seinen Anregungen folgen sollen. Sie waren
geeignet, mancherlei Abhilfe und Freiheit zu schaffen. Unter
königlichem Protektorat eine französische Uebersetzungsge-
sellschaft, wie Nowikow und Katharina sie in Russland
hatten 129), tat der Nation dringlicher not als ein Weimarer
Amateurtheater. Man hätte dem Könige vorschlagen sollen,
all jene französischen Klassiker zu übersetzen, die er empfahl.
Es wäre ein unvergängliches Werk geworden. Man tat es
nicht. Man hätte die französische Revolution besser verstanden

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[99/0107] Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die jungen teutschen Originalgenies gemessen an Bossuet, Fenélon, Pascal und Bayle! Von jetzt an war es geoffenbart, dass Preussen auch ideell an der Spitze marschierte. Es bedarf keiner Zitate. Das Pamphlet, energisch stilisiert und von grossen Gesichtspunkten aus alfresco diktiert, bannte die spärlichen Koryphäen der Heimatkunst und unterwarf sie sich wie die Schlange den Vogel. Die Frau Rat war ausser sich, und Wolfgang dachte an eine Erwiderung. Aber der Hof von Gotha winkte ab, und der Druck unterblieb. Herder fasste den Entschluss, sein früher erschienenes Frag- ment „Ueber die neuere deutsche Literatur“ gründlich zu revidieren und tat es auch. Wieland schrieb im „Teut- schen Merkur“: „Seit vielen Jahren waren wir gewiss, dass der erhabene Verfasser niemals an unserer Literatur einigen Anteil genommen habe. Wir sehen, dass er sich in vorigen Zeiten mit ihr beschäftigt und die besten Gesinnungen für sie hegt, auch noch das Beste für sie zu hoffen und zu wünschen geneigt ist“. Klopstock, der sich am heftigsten mitgenommen fühlte, machte seinem Grimm in einer ganzen Reihe bombastischer Oden Luft ¹²⁷⁾ . Der König hatte bewiesen, dass er nicht nur in den Bataille zu fechten verstand, sondern auch dero deutschen Intelligenz Meister war. Der König gab klärlich kund und zu wissen, die Zeiten seien vorbei, da man barbarisch in Preussen die Evangelisten erschlug ¹²⁸⁾ . Man hätte seinen Anregungen folgen sollen. Sie waren geeignet, mancherlei Abhilfe und Freiheit zu schaffen. Unter königlichem Protektorat eine französische Uebersetzungsge- sellschaft, wie Nowikow und Katharina sie in Russland hatten ¹²⁹⁾ , tat der Nation dringlicher not als ein Weimarer Amateurtheater. Man hätte dem Könige vorschlagen sollen, all jene französischen Klassiker zu übersetzen, die er empfahl. Es wäre ein unvergängliches Werk geworden. Man tat es nicht. Man hätte die französische Revolution besser verstanden

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/107>, abgerufen am 23.04.2024.