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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Kaiser und Papst, liess Deutschland als Vormacht der Welt
erscheinen. Das heilige römische Reich deutscher Nation
und die Heraldik gotischer Kaiser prägten dem Volk ein
Bewusstsein ein, das im Waffenklirren, im Richteramt, im
Henken, Zerschmettern und in der Gewalt einen Gottes-
dienst und die Mission sah. Kein entscheidendes nationales
Erlebnis hat diese Meinung hinweggefegt: weder die Re-
formation, noch die grosse französische Revolution. Deutsch-
land empfindet noch heute sich als den "Genius des Krie-
ges" und zugleich als "moralisches Herz" der Welt 4), und
war doch und blieb so lange grobknochiger Henker, be-
trunkener Vasall, hartmäuliger Landsknecht der Päpste. Da-
mals redeten Priester ihm ein, kleines Gehirn sei Soldaten-
tugend. Jenes egozentrische Delirium voll Arroganz und
Bramabarsierens, das in den Schriften der Treitschke und
Chamberlain auferstand -- in den Kaisern des Mittelalters
fand es sein erstes Symbol.

Die Geister, die Deutschland zu bilden versprachen,
kamen sehr spät. Italien, Spanien, Frankreich hatten längst
eine reiche Kultur. Deutschland war ungebrochen ein krüdes
Barbarenvolk, dem Trunke ergeben, verroht und verblödet
durch Kreuzzüge und endlosen Waffendienst, versklavt und
verhärtet durch Junker und Pfaffen. Shakespeares Komödien
schildern den Deutschen als einen Rüpel und Trunkenbold.
Leon Bloy zitiert für die historische deutsche Verrohung
und Korruption sogar Luther 5). Die grosse Bewegung der
Aufklärung brach hier nicht durch. Die Vox humana der
Nachbarländer fand nur den spärlichsten Nachklang. Heute
noch fehlt uns das Menschheitsgewissen. Heute noch schwan-
ken die Geister und schwankt die Nation im Widerspruch
zwischen Kulturbegriffen. Religiöse, moralische, ästhetische
und politische Nenner wurden zur Geltung gebracht, doch
keinem gelang es, die Einheit zu schaffen und alle bekämpf-
ten sich. Noch in unseren Tagen versuchte das kaiserlich-
päpstliche Universalreich neu aufzuerstehen, und nur die

Kaiser und Papst, liess Deutschland als Vormacht der Welt
erscheinen. Das heilige römische Reich deutscher Nation
und die Heraldik gotischer Kaiser prägten dem Volk ein
Bewusstsein ein, das im Waffenklirren, im Richteramt, im
Henken, Zerschmettern und in der Gewalt einen Gottes-
dienst und die Mission sah. Kein entscheidendes nationales
Erlebnis hat diese Meinung hinweggefegt: weder die Re-
formation, noch die grosse französische Revolution. Deutsch-
land empfindet noch heute sich als den „Genius des Krie-
ges“ und zugleich als „moralisches Herz“ der Welt 4), und
war doch und blieb so lange grobknochiger Henker, be-
trunkener Vasall, hartmäuliger Landsknecht der Päpste. Da-
mals redeten Priester ihm ein, kleines Gehirn sei Soldaten-
tugend. Jenes egozentrische Delirium voll Arroganz und
Bramabarsierens, das in den Schriften der Treitschke und
Chamberlain auferstand — in den Kaisern des Mittelalters
fand es sein erstes Symbol.

Die Geister, die Deutschland zu bilden versprachen,
kamen sehr spät. Italien, Spanien, Frankreich hatten längst
eine reiche Kultur. Deutschland war ungebrochen ein krüdes
Barbarenvolk, dem Trunke ergeben, verroht und verblödet
durch Kreuzzüge und endlosen Waffendienst, versklavt und
verhärtet durch Junker und Pfaffen. Shakespeares Komödien
schildern den Deutschen als einen Rüpel und Trunkenbold.
Léon Bloy zitiert für die historische deutsche Verrohung
und Korruption sogar Luther 5). Die grosse Bewegung der
Aufklärung brach hier nicht durch. Die Vox humana der
Nachbarländer fand nur den spärlichsten Nachklang. Heute
noch fehlt uns das Menschheitsgewissen. Heute noch schwan-
ken die Geister und schwankt die Nation im Widerspruch
zwischen Kulturbegriffen. Religiöse, moralische, ästhetische
und politische Nenner wurden zur Geltung gebracht, doch
keinem gelang es, die Einheit zu schaffen und alle bekämpf-
ten sich. Noch in unseren Tagen versuchte das kaiserlich-
päpstliche Universalreich neu aufzuerstehen, und nur die

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[6/0014] Kaiser und Papst, liess Deutschland als Vormacht der Welt erscheinen. Das heilige römische Reich deutscher Nation und die Heraldik gotischer Kaiser prägten dem Volk ein Bewusstsein ein, das im Waffenklirren, im Richteramt, im Henken, Zerschmettern und in der Gewalt einen Gottes- dienst und die Mission sah. Kein entscheidendes nationales Erlebnis hat diese Meinung hinweggefegt: weder die Re- formation, noch die grosse französische Revolution. Deutsch- land empfindet noch heute sich als den „Genius des Krie- ges“ und zugleich als „moralisches Herz“ der Welt ⁴⁾ , und war doch und blieb so lange grobknochiger Henker, be- trunkener Vasall, hartmäuliger Landsknecht der Päpste. Da- mals redeten Priester ihm ein, kleines Gehirn sei Soldaten- tugend. Jenes egozentrische Delirium voll Arroganz und Bramabarsierens, das in den Schriften der Treitschke und Chamberlain auferstand — in den Kaisern des Mittelalters fand es sein erstes Symbol. Die Geister, die Deutschland zu bilden versprachen, kamen sehr spät. Italien, Spanien, Frankreich hatten längst eine reiche Kultur. Deutschland war ungebrochen ein krüdes Barbarenvolk, dem Trunke ergeben, verroht und verblödet durch Kreuzzüge und endlosen Waffendienst, versklavt und verhärtet durch Junker und Pfaffen. Shakespeares Komödien schildern den Deutschen als einen Rüpel und Trunkenbold. Léon Bloy zitiert für die historische deutsche Verrohung und Korruption sogar Luther ⁵⁾ . Die grosse Bewegung der Aufklärung brach hier nicht durch. Die Vox humana der Nachbarländer fand nur den spärlichsten Nachklang. Heute noch fehlt uns das Menschheitsgewissen. Heute noch schwan- ken die Geister und schwankt die Nation im Widerspruch zwischen Kulturbegriffen. Religiöse, moralische, ästhetische und politische Nenner wurden zur Geltung gebracht, doch keinem gelang es, die Einheit zu schaffen und alle bekämpf- ten sich. Noch in unseren Tagen versuchte das kaiserlich- päpstliche Universalreich neu aufzuerstehen, und nur die

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/14>, abgerufen am 29.03.2024.