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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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baren Devotion; ohne allen Blick für den volksfeindlichen Cha-
rakter seiner Ränke, für die Gefährlichkeit seiner erheuchelten
oder verschimmelten nationalen Beteuerungen; ohne die
leiseste Skepsis seiner Gedankenarmut und säbelsicheren
Staatsräson gegenüber. Ganz und gar aber ohne jene bis
zum Exzess gehende Eindringlichkeit, die dem Gegen-
stand angemessen gewesen wäre und die von unserer,
der Rebellen Seite, auch der ausserdeutschen Mitwelt Neues
sagen konnte.

Wer kennt im Auslande Franz Mehrings "Lessinglegende",
in der sich das fridrizianische Junkertum und die ver-
tuschende Zuhaltetaktik deutscher Universitätsprofessoren in
die Geisselhiebe eines überlegenen Gelehrten teilen? Wer
glaubte bei uns zu hause auch nur an die Möglichkeit
ehrlicher Entrüstung und den Fanatismus, der Hermann
Roesemeiers krass plakatierende Junkerskizzen mit grimmiger
Ironie erfüllt? Und ist es nicht ebenso traurig wie wahr,
dass bis zum Erscheinen von Hermann Fernaus Ostelbier-
buch "Das Königtum ist der Krieg", das einen ungeschminkten
Abriss der preussischen Verfassungsgeschichte und des
Junkertums enthält, Mehrings Pamphlet gar vereinsamt
blieb?

Das ist nur für denjenigen überraschend, der die Ge-
schichte der deutschen Zensur und die Tradition der
deutschen Staatsidee nicht kennt; der die Herabstimmung
der freiheitlichen Forderungen durch ein rückständiges Par-
lament und die überwältigende Bestechlichkeit physikalischer
Kraftleistungen für deutsche Gemüter ausser acht lässt.
Mit einer Naivität und Hingabe, wovon noch 1917 Herr
Walter Rathenau verzeichnen konnte, dass man "bis an die
äusserste Grenze der Kraft jede geforderte Leistung her-
gibt", hat das Volk seinen Fürsten gedient. "Pflichtbewusst-
sein ist nicht der Ausdruck dieses Verhältnisses, noch
weniger ist es blinder Gehorsam, weil freie Neigung mit-
spielt, am nächsten ist es kindlicher Folgsamkeit verwandt" 79).

baren Devotion; ohne allen Blick für den volksfeindlichen Cha-
rakter seiner Ränke, für die Gefährlichkeit seiner erheuchelten
oder verschimmelten nationalen Beteuerungen; ohne die
leiseste Skepsis seiner Gedankenarmut und säbelsicheren
Staatsräson gegenüber. Ganz und gar aber ohne jene bis
zum Exzess gehende Eindringlichkeit, die dem Gegen-
stand angemessen gewesen wäre und die von unserer,
der Rebellen Seite, auch der ausserdeutschen Mitwelt Neues
sagen konnte.

Wer kennt im Auslande Franz Mehrings „Lessinglegende“,
in der sich das fridrizianische Junkertum und die ver-
tuschende Zuhaltetaktik deutscher Universitätsprofessoren in
die Geisselhiebe eines überlegenen Gelehrten teilen? Wer
glaubte bei uns zu hause auch nur an die Möglichkeit
ehrlicher Entrüstung und den Fanatismus, der Hermann
Roesemeiers krass plakatierende Junkerskizzen mit grimmiger
Ironie erfüllt? Und ist es nicht ebenso traurig wie wahr,
dass bis zum Erscheinen von Hermann Fernaus Ostelbier-
buch „Das Königtum ist der Krieg“, das einen ungeschminkten
Abriss der preussischen Verfassungsgeschichte und des
Junkertums enthält, Mehrings Pamphlet gar vereinsamt
blieb?

Das ist nur für denjenigen überraschend, der die Ge-
schichte der deutschen Zensur und die Tradition der
deutschen Staatsidee nicht kennt; der die Herabstimmung
der freiheitlichen Forderungen durch ein rückständiges Par-
lament und die überwältigende Bestechlichkeit physikalischer
Kraftleistungen für deutsche Gemüter ausser acht lässt.
Mit einer Naivität und Hingabe, wovon noch 1917 Herr
Walter Rathenau verzeichnen konnte, dass man „bis an die
äusserste Grenze der Kraft jede geforderte Leistung her-
gibt“, hat das Volk seinen Fürsten gedient. „Pflichtbewusst-
sein ist nicht der Ausdruck dieses Verhältnisses, noch
weniger ist es blinder Gehorsam, weil freie Neigung mit-
spielt, am nächsten ist es kindlicher Folgsamkeit verwandt“ 79).

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[204/0212] baren Devotion; ohne allen Blick für den volksfeindlichen Cha- rakter seiner Ränke, für die Gefährlichkeit seiner erheuchelten oder verschimmelten nationalen Beteuerungen; ohne die leiseste Skepsis seiner Gedankenarmut und säbelsicheren Staatsräson gegenüber. Ganz und gar aber ohne jene bis zum Exzess gehende Eindringlichkeit, die dem Gegen- stand angemessen gewesen wäre und die von unserer, der Rebellen Seite, auch der ausserdeutschen Mitwelt Neues sagen konnte. Wer kennt im Auslande Franz Mehrings „Lessinglegende“, in der sich das fridrizianische Junkertum und die ver- tuschende Zuhaltetaktik deutscher Universitätsprofessoren in die Geisselhiebe eines überlegenen Gelehrten teilen? Wer glaubte bei uns zu hause auch nur an die Möglichkeit ehrlicher Entrüstung und den Fanatismus, der Hermann Roesemeiers krass plakatierende Junkerskizzen mit grimmiger Ironie erfüllt? Und ist es nicht ebenso traurig wie wahr, dass bis zum Erscheinen von Hermann Fernaus Ostelbier- buch „Das Königtum ist der Krieg“, das einen ungeschminkten Abriss der preussischen Verfassungsgeschichte und des Junkertums enthält, Mehrings Pamphlet gar vereinsamt blieb? Das ist nur für denjenigen überraschend, der die Ge- schichte der deutschen Zensur und die Tradition der deutschen Staatsidee nicht kennt; der die Herabstimmung der freiheitlichen Forderungen durch ein rückständiges Par- lament und die überwältigende Bestechlichkeit physikalischer Kraftleistungen für deutsche Gemüter ausser acht lässt. Mit einer Naivität und Hingabe, wovon noch 1917 Herr Walter Rathenau verzeichnen konnte, dass man „bis an die äusserste Grenze der Kraft jede geforderte Leistung her- gibt“, hat das Volk seinen Fürsten gedient. „Pflichtbewusst- sein ist nicht der Ausdruck dieses Verhältnisses, noch weniger ist es blinder Gehorsam, weil freie Neigung mit- spielt, am nächsten ist es kindlicher Folgsamkeit verwandt“ ⁷⁹⁾ .

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/212>, abgerufen am 23.04.2024.