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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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dem reinsten Geiste des Abendlandes, erwuchs aller Spi-
ritualität und wiedergewonnenen Lebensinbrunst ein göttliches
Zeichen.

Luthers Protest war der Protest des "gesunden Menschen-
verstandes", dieses ach so zweifelhaften philosophischen
Arguments. Eine Intelligenzfeindlichkeit prägt sich aus in
seinem Verrat der mönchischen Sache. Ich kenne die
Regeln des damaligen Augustinerordens nicht; aber der
Kirchenvater, auf dessen Namen der Orden getauft ist,
war der Herrischsten einer im Dienste der Kirche. Er
war kein Befürworter der Gnade. Er hat das System
intolerantester Orthodoxie begründet. Die Spitzfindigkeit
der persischen Metaphysik, die schwindelnden Fragen nach
dem Ursprung des Bösen und dem Wesen der Seele, die
er vergebens zu ergründen suchte, gaben ihm, nach Lecky,
"einen Sinn für das Dunkel, das uns umgibt, das jeden
Teil seiner Lehre färbte". Als Feind des Zweifels schrak er
vor keiner noch so erbitterten Folgerung zurück; "er schien
sich zu freuen, die menschlichen Triebe in den Staub zu
treten und die Menschen zur unterwürfigen Annahme der
empörendsten Grundsätze zu gewöhnen" 22). Etwas von
diesem Geiste muss bei aller Entartung des damaligen
Mönchswesens auch im deutschen Augustinerorden weiter-
gelebt haben. Luther aber wich dem Wege strenger Observanz,
auf dem die spanischen und italienischen Mönche zu
unerhörter Geistigkeit gelangten, aus. Er warf beiseite, was
er nicht durchdringen konnte. Er überwand die Kategorie
nicht in sich selbst. Die Disziplin stiess ihn ab, weil er ihr
nicht gewachsen war 23).

Die Religion hausbackenen Bürgertums, die Religion
der "tätigen Beflissenheit", in der Luther mit profanem
Ungestüm sich billigen Ersatz schuf, hatte zur Voraus-
setzung den Opportunismus; den Billigkeitsstandpunkt seinen
natürlichen Bedürfnissen gegenüber. Seine zu Behäbigkeit
und zu Genuss geneigte räsonnable Einstellung konnte sich

dem reinsten Geiste des Abendlandes, erwuchs aller Spi-
ritualität und wiedergewonnenen Lebensinbrunst ein göttliches
Zeichen.

Luthers Protest war der Protest des „gesunden Menschen-
verstandes“, dieses ach so zweifelhaften philosophischen
Arguments. Eine Intelligenzfeindlichkeit prägt sich aus in
seinem Verrat der mönchischen Sache. Ich kenne die
Regeln des damaligen Augustinerordens nicht; aber der
Kirchenvater, auf dessen Namen der Orden getauft ist,
war der Herrischsten einer im Dienste der Kirche. Er
war kein Befürworter der Gnade. Er hat das System
intolerantester Orthodoxie begründet. Die Spitzfindigkeit
der persischen Metaphysik, die schwindelnden Fragen nach
dem Ursprung des Bösen und dem Wesen der Seele, die
er vergebens zu ergründen suchte, gaben ihm, nach Lecky,
„einen Sinn für das Dunkel, das uns umgibt, das jeden
Teil seiner Lehre färbte“. Als Feind des Zweifels schrak er
vor keiner noch so erbitterten Folgerung zurück; „er schien
sich zu freuen, die menschlichen Triebe in den Staub zu
treten und die Menschen zur unterwürfigen Annahme der
empörendsten Grundsätze zu gewöhnen“ 22). Etwas von
diesem Geiste muss bei aller Entartung des damaligen
Mönchswesens auch im deutschen Augustinerorden weiter-
gelebt haben. Luther aber wich dem Wege strenger Observanz,
auf dem die spanischen und italienischen Mönche zu
unerhörter Geistigkeit gelangten, aus. Er warf beiseite, was
er nicht durchdringen konnte. Er überwand die Kategorie
nicht in sich selbst. Die Disziplin stiess ihn ab, weil er ihr
nicht gewachsen war 23).

Die Religion hausbackenen Bürgertums, die Religion
der „tätigen Beflissenheit“, in der Luther mit profanem
Ungestüm sich billigen Ersatz schuf, hatte zur Voraus-
setzung den Opportunismus; den Billigkeitsstandpunkt seinen
natürlichen Bedürfnissen gegenüber. Seine zu Behäbigkeit
und zu Genuss geneigte räsonnable Einstellung konnte sich

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[28/0036] dem reinsten Geiste des Abendlandes, erwuchs aller Spi- ritualität und wiedergewonnenen Lebensinbrunst ein göttliches Zeichen. Luthers Protest war der Protest des „gesunden Menschen- verstandes“, dieses ach so zweifelhaften philosophischen Arguments. Eine Intelligenzfeindlichkeit prägt sich aus in seinem Verrat der mönchischen Sache. Ich kenne die Regeln des damaligen Augustinerordens nicht; aber der Kirchenvater, auf dessen Namen der Orden getauft ist, war der Herrischsten einer im Dienste der Kirche. Er war kein Befürworter der Gnade. Er hat das System intolerantester Orthodoxie begründet. Die Spitzfindigkeit der persischen Metaphysik, die schwindelnden Fragen nach dem Ursprung des Bösen und dem Wesen der Seele, die er vergebens zu ergründen suchte, gaben ihm, nach Lecky, „einen Sinn für das Dunkel, das uns umgibt, das jeden Teil seiner Lehre färbte“. Als Feind des Zweifels schrak er vor keiner noch so erbitterten Folgerung zurück; „er schien sich zu freuen, die menschlichen Triebe in den Staub zu treten und die Menschen zur unterwürfigen Annahme der empörendsten Grundsätze zu gewöhnen“ ²²⁾ . Etwas von diesem Geiste muss bei aller Entartung des damaligen Mönchswesens auch im deutschen Augustinerorden weiter- gelebt haben. Luther aber wich dem Wege strenger Observanz, auf dem die spanischen und italienischen Mönche zu unerhörter Geistigkeit gelangten, aus. Er warf beiseite, was er nicht durchdringen konnte. Er überwand die Kategorie nicht in sich selbst. Die Disziplin stiess ihn ab, weil er ihr nicht gewachsen war ²³⁾ . Die Religion hausbackenen Bürgertums, die Religion der „tätigen Beflissenheit“, in der Luther mit profanem Ungestüm sich billigen Ersatz schuf, hatte zur Voraus- setzung den Opportunismus; den Billigkeitsstandpunkt seinen natürlichen Bedürfnissen gegenüber. Seine zu Behäbigkeit und zu Genuss geneigte räsonnable Einstellung konnte sich

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/36>, abgerufen am 18.04.2024.