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Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768].

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Die Sittenlehre

Kein einziger Trieb wird so oft und so plötzlich
ein starker Affect, als der Geschlechtstrieb. Also
ist es niemals erlaubt, die in den mehresten Fäl-
len gemeinnützigen Regeln von der Bezwingung
dieses Triebes, in einzelnen Fällen deswegen zu
übertreten, weil wir die schädlichen Folgen nicht
sehen. Wer für sich selbst Ausnahme machen will,
ist in einem Affecte, der die Richtigkeit seines
Urtheils verdächtig macht.

§. 36.

Uebertritt in keiner Handlung die Ehr-
barkeit.
Wende die Augen ab von entblößten
Körpern, vornehmlich des andern Geschlechts.
Entblösse dich selbst nicht im Beyseyn andrer, ohne
die äusserste Noth. Meide nach Möglichkeit die
Annäherung an Oerter, wo das andre Geschlecht,
und selbst dein eignes, auf eine ungewöhnliche
Weise entblößt erscheint. Gemählde und Bild-
fäulen entblößter Personen haben wenigstens die
halbe Wirkung, als die wirkliche Blösse. Meide
also ihre Betrachtung, so bald sie in dir ein unru-
higes Verlangen erregt, welches du nicht erfüllen
darfst. Schlafe, wenn du es kannst, in einem
besondern Bette, und nicht in einem Zimmer mit
dem andern Geschlechte. Die Theile deines Leibes,
welche du wegen der Ehrbarkeit nicht offenbar

zeigen
Die Sittenlehre

Kein einziger Trieb wird ſo oft und ſo ploͤtzlich
ein ſtarker Affect, als der Geſchlechtstrieb. Alſo
iſt es niemals erlaubt, die in den mehreſten Faͤl-
len gemeinnuͤtzigen Regeln von der Bezwingung
dieſes Triebes, in einzelnen Faͤllen deswegen zu
uͤbertreten, weil wir die ſchaͤdlichen Folgen nicht
ſehen. Wer fuͤr ſich ſelbſt Ausnahme machen will,
iſt in einem Affecte, der die Richtigkeit ſeines
Urtheils verdaͤchtig macht.

§. 36.

Uebertritt in keiner Handlung die Ehr-
barkeit.
Wende die Augen ab von entbloͤßten
Koͤrpern, vornehmlich des andern Geſchlechts.
Entbloͤſſe dich ſelbſt nicht im Beyſeyn andrer, ohne
die aͤuſſerſte Noth. Meide nach Moͤglichkeit die
Annaͤherung an Oerter, wo das andre Geſchlecht,
und ſelbſt dein eignes, auf eine ungewoͤhnliche
Weiſe entbloͤßt erſcheint. Gemaͤhlde und Bild-
faͤulen entbloͤßter Perſonen haben wenigſtens die
halbe Wirkung, als die wirkliche Bloͤſſe. Meide
alſo ihre Betrachtung, ſo bald ſie in dir ein unru-
higes Verlangen erregt, welches du nicht erfuͤllen
darfſt. Schlafe, wenn du es kannſt, in einem
beſondern Bette, und nicht in einem Zimmer mit
dem andern Geſchlechte. Die Theile deines Leibes,
welche du wegen der Ehrbarkeit nicht offenbar

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[72/0096] Die Sittenlehre Kein einziger Trieb wird ſo oft und ſo ploͤtzlich ein ſtarker Affect, als der Geſchlechtstrieb. Alſo iſt es niemals erlaubt, die in den mehreſten Faͤl- len gemeinnuͤtzigen Regeln von der Bezwingung dieſes Triebes, in einzelnen Faͤllen deswegen zu uͤbertreten, weil wir die ſchaͤdlichen Folgen nicht ſehen. Wer fuͤr ſich ſelbſt Ausnahme machen will, iſt in einem Affecte, der die Richtigkeit ſeines Urtheils verdaͤchtig macht. §. 36. Uebertritt in keiner Handlung die Ehr- barkeit. Wende die Augen ab von entbloͤßten Koͤrpern, vornehmlich des andern Geſchlechts. Entbloͤſſe dich ſelbſt nicht im Beyſeyn andrer, ohne die aͤuſſerſte Noth. Meide nach Moͤglichkeit die Annaͤherung an Oerter, wo das andre Geſchlecht, und ſelbſt dein eignes, auf eine ungewoͤhnliche Weiſe entbloͤßt erſcheint. Gemaͤhlde und Bild- faͤulen entbloͤßter Perſonen haben wenigſtens die halbe Wirkung, als die wirkliche Bloͤſſe. Meide alſo ihre Betrachtung, ſo bald ſie in dir ein unru- higes Verlangen erregt, welches du nicht erfuͤllen darfſt. Schlafe, wenn du es kannſt, in einem beſondern Bette, und nicht in einem Zimmer mit dem andern Geſchlechte. Die Theile deines Leibes, welche du wegen der Ehrbarkeit nicht offenbar zeigen

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Zitationshilfe: Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/96>, abgerufen am 23.04.2024.