Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch für den in der Nähe bereits geschärften Blick,
muss Manches unsichtbar bleiben, wenn der Standpunkt einer
weiten Umschau fehlt. Dies zeigt sich in den in überraschender
Fülle immer neu vermehrten Entdeckungen, wie sie aus
dem in der Ethnologie angesammelten Material hervortreten,
und innerhalb des früheren den Hauptlinien nach auf den alten
Orbis terrarum beschränkten Horizont, schon deshalb nicht
gesehen sein konnten, weil eben ausserhalb des Gesichtskreises
fallend, -- Neues überall, und doch wieder nichts Neues, da
vielmehr die Ethnologie im Gegentheil das Gleiche durchweg
in Gleichungen bestätigt. Aus neuen Gleichungen freilich
werden neu veränderte Resultate herauszurechnen sein.

Manche der bisher als grundlegend geltenden Prinzipien
in der Religions-1) oder Rechtsgeschichte werden eine durch-
greifende Umgestaltung zu erfahren haben, seitdem in den
aus allen Theilen des Globus zusammenströmenden Betrach-
tungen Gelegenheit gegeben ist, die verschiedenen Entwick-
lungsstufen in mannigfachsten Wandlungen unter und gegen
einander nach relativen Gültigkeitswerthen abzuschätzen und
zu bestimmen.

Es stehen hier vielerlei Reformen bevor, die auch in
das practische Leben vielleicht, tief werden eingreifen müssen,
wenn die naturgemäss geschichtliche Entwicklung der gesell-
schaftlichen Zustände betreffend. Die dafür leitenden Maximen
sind auf der eigentlichen Grundlage unserer Gelehrtenbildung,
in der classischen Alterthumskunde festgestellt, und in keine
sorgsamere Hände hätte die Hut der socialen Palladien gelegt
werden können. Dass indess im Fach-Collegium selbst über
Verschiedenheiten Verschiedenheit der Meinungen herrscht,
kann auch dem Profanen nicht verborgen bleiben, und, im
Gefühl eigener Unfähigkeit zum selbstständigen Urtheil, wird
dann die Auswahl schwer, wenn gleichberechtigte Autoritäten
gegen einander abzuwiegen. Für die Allgemeinheiten funda-
mentaler Sätze ist in der Hauptsache Uebereinstimmung
herstellbar, aber nicht immer solche zugleich mit den neu

Auch für den in der Nähe bereits geschärften Blick,
muss Manches unsichtbar bleiben, wenn der Standpunkt einer
weiten Umschau fehlt. Dies zeigt sich in den in überraschender
Fülle immer neu vermehrten Entdeckungen, wie sie aus
dem in der Ethnologie angesammelten Material hervortreten,
und innerhalb des früheren den Hauptlinien nach auf den alten
Orbis terrarum beschränkten Horizont, schon deshalb nicht
gesehen sein konnten, weil eben ausserhalb des Gesichtskreises
fallend, — Neues überall, und doch wieder nichts Neues, da
vielmehr die Ethnologie im Gegentheil das Gleiche durchweg
in Gleichungen bestätigt. Aus neuen Gleichungen freilich
werden neu veränderte Resultate herauszurechnen sein.

Manche der bisher als grundlegend geltenden Prinzipien
in der Religions-1) oder Rechtsgeschichte werden eine durch-
greifende Umgestaltung zu erfahren haben, seitdem in den
aus allen Theilen des Globus zusammenströmenden Betrach-
tungen Gelegenheit gegeben ist, die verschiedenen Entwick-
lungsstufen in mannigfachsten Wandlungen unter und gegen
einander nach relativen Gültigkeitswerthen abzuschätzen und
zu bestimmen.

Es stehen hier vielerlei Reformen bevor, die auch in
das practische Leben vielleicht, tief werden eingreifen müssen,
wenn die naturgemäss geschichtliche Entwicklung der gesell-
schaftlichen Zustände betreffend. Die dafür leitenden Maximen
sind auf der eigentlichen Grundlage unserer Gelehrtenbildung,
in der classischen Alterthumskunde festgestellt, und in keine
sorgsamere Hände hätte die Hut der socialen Palladien gelegt
werden können. Dass indess im Fach-Collegium selbst über
Verschiedenheiten Verschiedenheit der Meinungen herrscht,
kann auch dem Profanen nicht verborgen bleiben, und, im
Gefühl eigener Unfähigkeit zum selbstständigen Urtheil, wird
dann die Auswahl schwer, wenn gleichberechtigte Autoritäten
gegen einander abzuwiegen. Für die Allgemeinheiten funda-
mentaler Sätze ist in der Hauptsache Uebereinstimmung
herstellbar, aber nicht immer solche zugleich mit den neu

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0010" n="IV"/>
        <p>Auch für den in der Nähe bereits geschärften Blick,<lb/>
muss Manches unsichtbar bleiben, wenn der Standpunkt einer<lb/>
weiten Umschau fehlt. Dies zeigt sich in den in überraschender<lb/>
Fülle immer neu vermehrten Entdeckungen, wie sie aus<lb/>
dem in der Ethnologie angesammelten Material hervortreten,<lb/>
und innerhalb des früheren den Hauptlinien nach auf den alten<lb/>
Orbis terrarum beschränkten Horizont, schon deshalb nicht<lb/>
gesehen sein konnten, weil eben ausserhalb des Gesichtskreises<lb/>
fallend, &#x2014; Neues überall, und doch wieder nichts Neues, da<lb/>
vielmehr die Ethnologie im Gegentheil das Gleiche durchweg<lb/>
in Gleichungen bestätigt. Aus neuen Gleichungen freilich<lb/>
werden neu veränderte Resultate herauszurechnen sein.</p><lb/>
        <p>Manche der bisher als grundlegend geltenden Prinzipien<lb/>
in der Religions-<note xml:id="note-n-1" next="#note-1" place="end" n="1)"/> oder Rechtsgeschichte werden eine durch-<lb/>
greifende Umgestaltung zu erfahren haben, seitdem in den<lb/>
aus allen Theilen des Globus zusammenströmenden Betrach-<lb/>
tungen Gelegenheit gegeben ist, die verschiedenen Entwick-<lb/>
lungsstufen in mannigfachsten Wandlungen unter und gegen<lb/>
einander nach relativen Gültigkeitswerthen abzuschätzen und<lb/>
zu bestimmen.</p><lb/>
        <p>Es stehen hier vielerlei Reformen bevor, die auch in<lb/>
das practische Leben vielleicht, tief werden eingreifen müssen,<lb/>
wenn die naturgemäss geschichtliche Entwicklung der gesell-<lb/>
schaftlichen Zustände betreffend. Die dafür leitenden Maximen<lb/>
sind auf der eigentlichen Grundlage unserer Gelehrtenbildung,<lb/>
in der classischen Alterthumskunde festgestellt, und in keine<lb/>
sorgsamere Hände hätte die Hut der socialen Palladien gelegt<lb/>
werden können. Dass indess im Fach-Collegium selbst über<lb/>
Verschiedenheiten Verschiedenheit der Meinungen herrscht,<lb/>
kann auch dem Profanen nicht verborgen bleiben, und, im<lb/>
Gefühl eigener Unfähigkeit zum selbstständigen Urtheil, wird<lb/>
dann die Auswahl schwer, wenn gleichberechtigte Autoritäten<lb/>
gegen einander abzuwiegen. Für die Allgemeinheiten funda-<lb/>
mentaler Sätze ist in der Hauptsache Uebereinstimmung<lb/>
herstellbar, aber nicht immer solche zugleich mit den neu<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[IV/0010] Auch für den in der Nähe bereits geschärften Blick, muss Manches unsichtbar bleiben, wenn der Standpunkt einer weiten Umschau fehlt. Dies zeigt sich in den in überraschender Fülle immer neu vermehrten Entdeckungen, wie sie aus dem in der Ethnologie angesammelten Material hervortreten, und innerhalb des früheren den Hauptlinien nach auf den alten Orbis terrarum beschränkten Horizont, schon deshalb nicht gesehen sein konnten, weil eben ausserhalb des Gesichtskreises fallend, — Neues überall, und doch wieder nichts Neues, da vielmehr die Ethnologie im Gegentheil das Gleiche durchweg in Gleichungen bestätigt. Aus neuen Gleichungen freilich werden neu veränderte Resultate herauszurechnen sein. Manche der bisher als grundlegend geltenden Prinzipien in der Religions- ¹⁾ oder Rechtsgeschichte werden eine durch- greifende Umgestaltung zu erfahren haben, seitdem in den aus allen Theilen des Globus zusammenströmenden Betrach- tungen Gelegenheit gegeben ist, die verschiedenen Entwick- lungsstufen in mannigfachsten Wandlungen unter und gegen einander nach relativen Gültigkeitswerthen abzuschätzen und zu bestimmen. Es stehen hier vielerlei Reformen bevor, die auch in das practische Leben vielleicht, tief werden eingreifen müssen, wenn die naturgemäss geschichtliche Entwicklung der gesell- schaftlichen Zustände betreffend. Die dafür leitenden Maximen sind auf der eigentlichen Grundlage unserer Gelehrtenbildung, in der classischen Alterthumskunde festgestellt, und in keine sorgsamere Hände hätte die Hut der socialen Palladien gelegt werden können. Dass indess im Fach-Collegium selbst über Verschiedenheiten Verschiedenheit der Meinungen herrscht, kann auch dem Profanen nicht verborgen bleiben, und, im Gefühl eigener Unfähigkeit zum selbstständigen Urtheil, wird dann die Auswahl schwer, wenn gleichberechtigte Autoritäten gegen einander abzuwiegen. Für die Allgemeinheiten funda- mentaler Sätze ist in der Hauptsache Uebereinstimmung herstellbar, aber nicht immer solche zugleich mit den neu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/10
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/10>, abgerufen am 20.04.2024.