Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Eckhaus mit dem finsteren Hausflur und die genick¬
brecherische Treppe hinauf gestürmt -- und dort oben
in dem büchertraulichen Gelehrtenstübchen habe ich un¬
vergeßlich reiche Stunden verlebt und bin von Ludwig
Tieck belehrt, berathen, gelobt und gescholten worden,
ganz wie eine gute Tochter vom guten Vater. Die
milde Hofräthin, die ihre schmerzhafte Krankheit, die
Wassersucht, still und ergebungsvoll trug, die Töchter,
die geist- und gemüthvolle Dorothea, der wir so manche
treffliche Uebersetzung Shakespeare's verdanken, und die
heitere Agnes, waren mütterlich und schwesterlich lieb
und gut zu mir und selbst die Gräfin Finkenstein, die
langjährige Freundin der Familie und der sorgende Haus¬
geist, schüttete das Füllhorn ihrer Gunst reich über mich
aus, so lange -- ihres vergötterten Freundes Tieck
Gnadensonne freundlich über mir lachte.

Ich fehlte bei keiner Vorlesung im Eckhause des
Altmarktes, und selbst die Mutter brachte mir das
Opfer, wenigstens einmal wöchentlich eine Sophaecke vor
dem historischen Tischchen mit den beiden Wachslichten
einzunehmen. Oefter erlaubten ihr das die Nerven nicht.
Tieck zeichnete mich bei den Vorlesungen und an den
geselligen Abenden in seinem Hause und in seiner
Stellung als Dramaturg an der Hofbühne freundlich
aus und die Dresdener sagten: "Der alte Dramaturg
hat einen neuen Liebling gefunden; er will zeigen, daß
Julie Rettich auf der Bühne und in seinem Herzen
vollständig ersetzt ist und daß ihn ihr Abgang nach

Eckhaus mit dem finſteren Hausflur und die genick¬
brecheriſche Treppe hinauf geſtürmt — und dort oben
in dem büchertraulichen Gelehrtenſtübchen habe ich un¬
vergeßlich reiche Stunden verlebt und bin von Ludwig
Tieck belehrt, berathen, gelobt und geſcholten worden,
ganz wie eine gute Tochter vom guten Vater. Die
milde Hofräthin, die ihre ſchmerzhafte Krankheit, die
Waſſerſucht, ſtill und ergebungsvoll trug, die Töchter,
die geiſt- und gemüthvolle Dorothea, der wir ſo manche
treffliche Ueberſetzung Shakeſpeare's verdanken, und die
heitere Agnes, waren mütterlich und ſchweſterlich lieb
und gut zu mir und ſelbſt die Gräfin Finkenſtein, die
langjährige Freundin der Familie und der ſorgende Haus¬
geiſt, ſchüttete das Füllhorn ihrer Gunſt reich über mich
aus, ſo lange — ihres vergötterten Freundes Tieck
Gnadenſonne freundlich über mir lachte.

Ich fehlte bei keiner Vorleſung im Eckhauſe des
Altmarktes, und ſelbſt die Mutter brachte mir das
Opfer, wenigſtens einmal wöchentlich eine Sophaecke vor
dem hiſtoriſchen Tiſchchen mit den beiden Wachslichten
einzunehmen. Oefter erlaubten ihr das die Nerven nicht.
Tieck zeichnete mich bei den Vorleſungen und an den
geſelligen Abenden in ſeinem Hauſe und in ſeiner
Stellung als Dramaturg an der Hofbühne freundlich
aus und die Dresdener ſagten: »Der alte Dramaturg
hat einen neuen Liebling gefunden; er will zeigen, daß
Julie Rettich auf der Bühne und in ſeinem Herzen
vollſtändig erſetzt iſt und daß ihn ihr Abgang nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0411" n="383"/>
Eckhaus mit dem fin&#x017F;teren Hausflur und die genick¬<lb/>
brecheri&#x017F;che Treppe hinauf ge&#x017F;türmt &#x2014; und dort oben<lb/>
in dem büchertraulichen Gelehrten&#x017F;tübchen habe ich un¬<lb/>
vergeßlich reiche Stunden verlebt und bin von Ludwig<lb/>
Tieck belehrt, berathen, gelobt und ge&#x017F;cholten worden,<lb/>
ganz wie eine gute Tochter vom guten Vater. Die<lb/>
milde Hofräthin, die ihre &#x017F;chmerzhafte Krankheit, die<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ucht, &#x017F;till und ergebungsvoll trug, die Töchter,<lb/>
die gei&#x017F;t- und gemüthvolle Dorothea, der wir &#x017F;o manche<lb/>
treffliche Ueber&#x017F;etzung Shake&#x017F;peare's verdanken, und die<lb/>
heitere Agnes, waren mütterlich und &#x017F;chwe&#x017F;terlich lieb<lb/>
und gut zu mir und &#x017F;elb&#x017F;t die Gräfin Finken&#x017F;tein, die<lb/>
langjährige Freundin der Familie und der &#x017F;orgende Haus¬<lb/>
gei&#x017F;t, &#x017F;chüttete das Füllhorn ihrer Gun&#x017F;t reich über mich<lb/>
aus, &#x017F;o lange &#x2014; ihres vergötterten Freundes Tieck<lb/>
Gnaden&#x017F;onne freundlich über mir lachte.</p><lb/>
        <p>Ich fehlte bei keiner Vorle&#x017F;ung im Eckhau&#x017F;e des<lb/>
Altmarktes, und &#x017F;elb&#x017F;t die Mutter brachte mir das<lb/>
Opfer, wenig&#x017F;tens einmal wöchentlich eine Sophaecke vor<lb/>
dem hi&#x017F;tori&#x017F;chen Ti&#x017F;chchen mit den beiden Wachslichten<lb/>
einzunehmen. Oefter erlaubten ihr das die Nerven nicht.<lb/>
Tieck zeichnete mich bei den Vorle&#x017F;ungen und an den<lb/>
ge&#x017F;elligen Abenden in &#x017F;einem Hau&#x017F;e und in &#x017F;einer<lb/>
Stellung als Dramaturg an der Hofbühne freundlich<lb/>
aus und die Dresdener &#x017F;agten: »Der alte Dramaturg<lb/>
hat einen neuen Liebling gefunden; er will zeigen, daß<lb/>
Julie Rettich auf der Bühne und in &#x017F;einem Herzen<lb/>
voll&#x017F;tändig er&#x017F;etzt i&#x017F;t und daß ihn ihr Abgang nach<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0411] Eckhaus mit dem finſteren Hausflur und die genick¬ brecheriſche Treppe hinauf geſtürmt — und dort oben in dem büchertraulichen Gelehrtenſtübchen habe ich un¬ vergeßlich reiche Stunden verlebt und bin von Ludwig Tieck belehrt, berathen, gelobt und geſcholten worden, ganz wie eine gute Tochter vom guten Vater. Die milde Hofräthin, die ihre ſchmerzhafte Krankheit, die Waſſerſucht, ſtill und ergebungsvoll trug, die Töchter, die geiſt- und gemüthvolle Dorothea, der wir ſo manche treffliche Ueberſetzung Shakeſpeare's verdanken, und die heitere Agnes, waren mütterlich und ſchweſterlich lieb und gut zu mir und ſelbſt die Gräfin Finkenſtein, die langjährige Freundin der Familie und der ſorgende Haus¬ geiſt, ſchüttete das Füllhorn ihrer Gunſt reich über mich aus, ſo lange — ihres vergötterten Freundes Tieck Gnadenſonne freundlich über mir lachte. Ich fehlte bei keiner Vorleſung im Eckhauſe des Altmarktes, und ſelbſt die Mutter brachte mir das Opfer, wenigſtens einmal wöchentlich eine Sophaecke vor dem hiſtoriſchen Tiſchchen mit den beiden Wachslichten einzunehmen. Oefter erlaubten ihr das die Nerven nicht. Tieck zeichnete mich bei den Vorleſungen und an den geſelligen Abenden in ſeinem Hauſe und in ſeiner Stellung als Dramaturg an der Hofbühne freundlich aus und die Dresdener ſagten: »Der alte Dramaturg hat einen neuen Liebling gefunden; er will zeigen, daß Julie Rettich auf der Bühne und in ſeinem Herzen vollſtändig erſetzt iſt und daß ihn ihr Abgang nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/411
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/411>, abgerufen am 16.04.2024.