Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweite Abtheilung.
Kunstgewerbslehre.
Einleitung.
§. 268.

Unter Kunstgewerbslehre (Gewerkslehre, Technolo-
gie) versteht man die systematische Darstellung der Grundsätze und
Regeln, wonach die der Natur abgewonnenen Rohstoffe durch Ver-
edelung und Verarbeitung so zugerichtet werden, daß sie für die
Zwecke der Menschen brauchbarer sind, als im Urzustande. Es
gehört also in ihr Bereich nicht blos die eigentliche Verarbeitung
roher Stoffe zur Bildung neuer Producte, sondern auch die Aus-
besserung und Wiederherstellung derselben. Es ist nicht blos ihre
Aufgabe, die verschiedenen Verfahrungsweisen zu erzählen, sondern
vielmehr auch alle die einzelnen Gewerkszweige durch Zurückführung
auf mathematische und naturwissenschaftliche Prinzipien zu begrün-
den. In dieser lezteren Art und mit diesem lezteren Zwecke ist sie
erst in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts hervorgetreten,
und namentlich hat sich Joh. Beckmann um sie damals sehr
große Verdienste erworben. Dagegen bestand sie vor dieser Zeit
mehr nur in den einzelnen kunst- und gewerbsmäßig betriebenen
technischen Zweigen ohne eigentlichen inneren wissenschaftlichen Zu-
sammenhang und selbst im Einzelnen ohne wissenschaftlich tiefe
Begründung1). Ihr Gegenstand ist von solcher Ausdehnung und
Manchfaltigkeit, daß selbst nur eine strenge Uebersicht desselben eine
bis jetzt unerreichbare Aufgabe war, und er wird sich auch noch
immerfort erweitern, je mehr sich die Hilfslehren der Technologie,
-- nämlich die Mathematik, Mechanik, Physik, Chemie
und Naturgeschichte, -- und der Gewerbseifer mit dem Wohl-
stande der Völker ausdehnen. Es gehört ihr Alles an, was zwi-
schen der kunstlosesten Verarbeitungsthätigkeit und der höchsten
bildenden Kunst seinen Platz findet. Als wissenschaftlicher Erkennt-
nißzweig schließt sie jedoch die Gewerke, zu deren Kenntniß keine
wissenschaftliche Kenntniß nöthig ist und blos Uebung gehört, aus
und beschäftigt sich dagegen nur mit den anderen. Obschon ihre
Literatur, als umfassende Technologie, keineswegs übermäßig groß
ist2), so sind die Schriften und Belehrungen über die einzelnen
Gewerksthätigkeiten und Gewerkszweige von ganz ungeheurer Aus-
dehnung, so daß viele Erfindungen ganz unzugänglich wären, wenn
es nicht technologische Zeitschriften3) gäbe, welche als die

Zweite Abtheilung.
Kunſtgewerbslehre.
Einleitung.
§. 268.

Unter Kunſtgewerbslehre (Gewerkslehre, Technolo-
gie) verſteht man die ſyſtematiſche Darſtellung der Grundſätze und
Regeln, wonach die der Natur abgewonnenen Rohſtoffe durch Ver-
edelung und Verarbeitung ſo zugerichtet werden, daß ſie für die
Zwecke der Menſchen brauchbarer ſind, als im Urzuſtande. Es
gehört alſo in ihr Bereich nicht blos die eigentliche Verarbeitung
roher Stoffe zur Bildung neuer Producte, ſondern auch die Aus-
beſſerung und Wiederherſtellung derſelben. Es iſt nicht blos ihre
Aufgabe, die verſchiedenen Verfahrungsweiſen zu erzählen, ſondern
vielmehr auch alle die einzelnen Gewerkszweige durch Zurückführung
auf mathematiſche und naturwiſſenſchaftliche Prinzipien zu begrün-
den. In dieſer lezteren Art und mit dieſem lezteren Zwecke iſt ſie
erſt in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts hervorgetreten,
und namentlich hat ſich Joh. Beckmann um ſie damals ſehr
große Verdienſte erworben. Dagegen beſtand ſie vor dieſer Zeit
mehr nur in den einzelnen kunſt- und gewerbsmäßig betriebenen
techniſchen Zweigen ohne eigentlichen inneren wiſſenſchaftlichen Zu-
ſammenhang und ſelbſt im Einzelnen ohne wiſſenſchaftlich tiefe
Begründung1). Ihr Gegenſtand iſt von ſolcher Ausdehnung und
Manchfaltigkeit, daß ſelbſt nur eine ſtrenge Ueberſicht deſſelben eine
bis jetzt unerreichbare Aufgabe war, und er wird ſich auch noch
immerfort erweitern, je mehr ſich die Hilfslehren der Technologie,
— nämlich die Mathematik, Mechanik, Phyſik, Chemie
und Naturgeſchichte, — und der Gewerbseifer mit dem Wohl-
ſtande der Völker ausdehnen. Es gehört ihr Alles an, was zwi-
ſchen der kunſtloſeſten Verarbeitungsthätigkeit und der höchſten
bildenden Kunſt ſeinen Platz findet. Als wiſſenſchaftlicher Erkennt-
nißzweig ſchließt ſie jedoch die Gewerke, zu deren Kenntniß keine
wiſſenſchaftliche Kenntniß nöthig iſt und blos Uebung gehört, aus
und beſchäftigt ſich dagegen nur mit den anderen. Obſchon ihre
Literatur, als umfaſſende Technologie, keineswegs übermäßig groß
iſt2), ſo ſind die Schriften und Belehrungen über die einzelnen
Gewerksthätigkeiten und Gewerkszweige von ganz ungeheurer Aus-
dehnung, ſo daß viele Erfindungen ganz unzugänglich wären, wenn
es nicht technologiſche Zeitſchriften3) gäbe, welche als die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0352" n="330"/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.<lb/><hi rendition="#g">Kun&#x017F;tgewerbslehre</hi>.</hi> </head><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</hi> </head><lb/>
                <div n="6">
                  <head> <hi rendition="#c">§. 268.</hi> </head><lb/>
                  <p>Unter <hi rendition="#g">Kun&#x017F;tgewerbslehre</hi> (<hi rendition="#g">Gewerkslehre</hi>, <hi rendition="#g">Technolo</hi>-<lb/><hi rendition="#g">gie</hi>) ver&#x017F;teht man die &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Dar&#x017F;tellung der Grund&#x017F;ätze und<lb/>
Regeln, wonach die der Natur abgewonnenen Roh&#x017F;toffe durch Ver-<lb/>
edelung und Verarbeitung &#x017F;o zugerichtet werden, daß &#x017F;ie für die<lb/>
Zwecke der Men&#x017F;chen brauchbarer &#x017F;ind, als im Urzu&#x017F;tande. Es<lb/>
gehört al&#x017F;o in ihr Bereich nicht blos die eigentliche Verarbeitung<lb/>
roher Stoffe zur Bildung neuer Producte, &#x017F;ondern auch die Aus-<lb/>
be&#x017F;&#x017F;erung und Wiederher&#x017F;tellung der&#x017F;elben. Es i&#x017F;t nicht blos ihre<lb/>
Aufgabe, die ver&#x017F;chiedenen Verfahrungswei&#x017F;en zu erzählen, &#x017F;ondern<lb/>
vielmehr auch alle die einzelnen Gewerkszweige durch Zurückführung<lb/>
auf mathemati&#x017F;che und naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Prinzipien zu begrün-<lb/>
den. In die&#x017F;er lezteren Art und mit die&#x017F;em lezteren Zwecke i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
er&#x017F;t in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts hervorgetreten,<lb/>
und namentlich hat &#x017F;ich <hi rendition="#g">Joh</hi>. <hi rendition="#g">Beckmann</hi> um &#x017F;ie damals &#x017F;ehr<lb/>
große Verdien&#x017F;te erworben. Dagegen be&#x017F;tand &#x017F;ie vor die&#x017F;er Zeit<lb/>
mehr nur in den einzelnen kun&#x017F;t- und gewerbsmäßig betriebenen<lb/>
techni&#x017F;chen Zweigen ohne eigentlichen inneren wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Zu-<lb/>
&#x017F;ammenhang und &#x017F;elb&#x017F;t im Einzelnen ohne wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich tiefe<lb/>
Begründung<hi rendition="#sup">1</hi>). Ihr Gegen&#x017F;tand i&#x017F;t von &#x017F;olcher Ausdehnung und<lb/>
Manchfaltigkeit, daß &#x017F;elb&#x017F;t nur eine &#x017F;trenge Ueber&#x017F;icht de&#x017F;&#x017F;elben eine<lb/>
bis jetzt unerreichbare Aufgabe war, und er wird &#x017F;ich auch noch<lb/>
immerfort erweitern, je mehr &#x017F;ich die Hilfslehren der Technologie,<lb/>
&#x2014; nämlich die <hi rendition="#g">Mathematik</hi>, <hi rendition="#g">Mechanik</hi>, <hi rendition="#g">Phy&#x017F;ik</hi>, <hi rendition="#g">Chemie</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">Naturge&#x017F;chichte</hi>, &#x2014; und der Gewerbseifer mit dem Wohl-<lb/>
&#x017F;tande der Völker ausdehnen. Es gehört ihr Alles an, was zwi-<lb/>
&#x017F;chen der kun&#x017F;tlo&#x017F;e&#x017F;ten Verarbeitungsthätigkeit und der höch&#x017F;ten<lb/>
bildenden Kun&#x017F;t &#x017F;einen Platz findet. Als wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Erkennt-<lb/>
nißzweig &#x017F;chließt &#x017F;ie jedoch die Gewerke, zu deren Kenntniß keine<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Kenntniß nöthig i&#x017F;t und blos Uebung gehört, aus<lb/>
und be&#x017F;chäftigt &#x017F;ich dagegen nur mit den anderen. Ob&#x017F;chon ihre<lb/>
Literatur, als umfa&#x017F;&#x017F;ende Technologie, keineswegs übermäßig groß<lb/>
i&#x017F;t<hi rendition="#sup">2</hi>), &#x017F;o &#x017F;ind die Schriften und Belehrungen über die einzelnen<lb/>
Gewerksthätigkeiten und Gewerkszweige von ganz ungeheurer Aus-<lb/>
dehnung, &#x017F;o daß viele Erfindungen ganz unzugänglich wären, wenn<lb/>
es nicht technologi&#x017F;che Zeit&#x017F;chriften<hi rendition="#sup">3</hi>) gäbe, welche als die<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0352] Zweite Abtheilung. Kunſtgewerbslehre. Einleitung. §. 268. Unter Kunſtgewerbslehre (Gewerkslehre, Technolo- gie) verſteht man die ſyſtematiſche Darſtellung der Grundſätze und Regeln, wonach die der Natur abgewonnenen Rohſtoffe durch Ver- edelung und Verarbeitung ſo zugerichtet werden, daß ſie für die Zwecke der Menſchen brauchbarer ſind, als im Urzuſtande. Es gehört alſo in ihr Bereich nicht blos die eigentliche Verarbeitung roher Stoffe zur Bildung neuer Producte, ſondern auch die Aus- beſſerung und Wiederherſtellung derſelben. Es iſt nicht blos ihre Aufgabe, die verſchiedenen Verfahrungsweiſen zu erzählen, ſondern vielmehr auch alle die einzelnen Gewerkszweige durch Zurückführung auf mathematiſche und naturwiſſenſchaftliche Prinzipien zu begrün- den. In dieſer lezteren Art und mit dieſem lezteren Zwecke iſt ſie erſt in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts hervorgetreten, und namentlich hat ſich Joh. Beckmann um ſie damals ſehr große Verdienſte erworben. Dagegen beſtand ſie vor dieſer Zeit mehr nur in den einzelnen kunſt- und gewerbsmäßig betriebenen techniſchen Zweigen ohne eigentlichen inneren wiſſenſchaftlichen Zu- ſammenhang und ſelbſt im Einzelnen ohne wiſſenſchaftlich tiefe Begründung1). Ihr Gegenſtand iſt von ſolcher Ausdehnung und Manchfaltigkeit, daß ſelbſt nur eine ſtrenge Ueberſicht deſſelben eine bis jetzt unerreichbare Aufgabe war, und er wird ſich auch noch immerfort erweitern, je mehr ſich die Hilfslehren der Technologie, — nämlich die Mathematik, Mechanik, Phyſik, Chemie und Naturgeſchichte, — und der Gewerbseifer mit dem Wohl- ſtande der Völker ausdehnen. Es gehört ihr Alles an, was zwi- ſchen der kunſtloſeſten Verarbeitungsthätigkeit und der höchſten bildenden Kunſt ſeinen Platz findet. Als wiſſenſchaftlicher Erkennt- nißzweig ſchließt ſie jedoch die Gewerke, zu deren Kenntniß keine wiſſenſchaftliche Kenntniß nöthig iſt und blos Uebung gehört, aus und beſchäftigt ſich dagegen nur mit den anderen. Obſchon ihre Literatur, als umfaſſende Technologie, keineswegs übermäßig groß iſt2), ſo ſind die Schriften und Belehrungen über die einzelnen Gewerksthätigkeiten und Gewerkszweige von ganz ungeheurer Aus- dehnung, ſo daß viele Erfindungen ganz unzugänglich wären, wenn es nicht technologiſche Zeitſchriften3) gäbe, welche als die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/352
Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/352>, abgerufen am 18.04.2024.