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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

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II. Vom Wasserhandel oder von der Schifffahrt.
§. 355.
1) Allgemeine Schiffsverhältnisse.

Die Kanäle, Flüsse, Ströme, Seen und die See bilden zu-
sammen auf der ganzen Erde ein System von Communications-
wegen für die ganze Menschheit, worauf der Transport am schnell-
sten, leichtesten und wohlfeilsten geschieht. Der Seehandel insbe-
sondere war anfänglich nichts als Küstenhandel (Cabotage),
welcher auch heut zu Tage noch getrieben wird1). Die Schifffahrt hat
eine Menge eigenthümlicher Verhältnisse. Die Schiffseigenthümer
heißen Rheder oder Mitrheder; ihr Verhältniß gegen einander
(Mit- oder Mederhederei) rührt davon her, daß Jeder Antheil
am Schiffe (seine Schiffsparte) hat2). Wenn sie ihr Schiff
verpachten (verheuern), so heißt das Geschäft Verheuerung
(Nolissement, Affretement), die Rheder aber Verheurer und
die Pachter Befrachter. Der Befehlshaber des Schiffs, wenn
es zur See geht, heißt Patron oder Capitain3). Die Leute,
welche mit zu Schiffe gehen, um im Namen des Befrachters am
fremden Platze die Waaren zu verkaufen, heißen Cargo (Carga-
dores, Cargadeurs)
und wer als der Erste unter ihnen bestellt
ist, Supercargo4). Das verheuerte Schiff muß, wenn es zur
Seefahrt benutzt werden soll, folgende verschiedene Urkunden mit
sich führen: den Bielbrief, vom Schiffsbauer über den gehörigen
Bau des Schiffes ausgestellt; den Mählbrief, den Contract zwi-
schen dem Bauer und Rheder über die Qualität und den Bau des
Schiffes; den Meßbrief, obrigkeitliche Urkunde über die vor-
genommene Messung und den Tonnengehalt des Schiffes5); die
Musterrolle, ein Verzeichniß der Schiffsmannschaft (Beman-
nung) mit obrigkeitlicher Beglaubigung; die Certepartie
(Chartepartie), die Vertragsurkunde über die Verheuerung; die
Connossamente (Connaissements), die Frachtbriefe über die
geladenen Waaren; das Manifest, ein Hauptverzeichniß aller im
Schiffe enthaltenen Waaren; den Paß des Schiffes, und das
Tagebuch (Journal) des Steuermanns zur Aufzeichnung der
Schiffsvorfälle während der Fahrt.

1) Büsch Darstellung. I. 282.
2) Sie theilen auch Gewinnst und Verlust. Mittermaier deutsches Privat-
recht. §. 488.
3) Sein Verhältniß zum Rheder ist als ein Dienstmiethvertrag angesehen.
Mittermaier deutsches Privatrecht. §. 489. 490.
4) Leuchs System. II. S. 822.
5) Eine Tonne = 1/2 Last = 2000 Pfd. Die Grenze des gestatteten tiefsten
Eintauchens eines Schiffes heißt Wassertracht.

II. Vom Waſſerhandel oder von der Schifffahrt.
§. 355.
1) Allgemeine Schiffsverhältniſſe.

Die Kanäle, Flüſſe, Ströme, Seen und die See bilden zu-
ſammen auf der ganzen Erde ein Syſtem von Communications-
wegen für die ganze Menſchheit, worauf der Transport am ſchnell-
ſten, leichteſten und wohlfeilſten geſchieht. Der Seehandel insbe-
ſondere war anfänglich nichts als Küſtenhandel (Cabotage),
welcher auch heut zu Tage noch getrieben wird1). Die Schifffahrt hat
eine Menge eigenthümlicher Verhältniſſe. Die Schiffseigenthümer
heißen Rheder oder Mitrheder; ihr Verhältniß gegen einander
(Mit- oder Mederhederei) rührt davon her, daß Jeder Antheil
am Schiffe (ſeine Schiffsparte) hat2). Wenn ſie ihr Schiff
verpachten (verheuern), ſo heißt das Geſchäft Verheuerung
(Nolissement, Affrétement), die Rheder aber Verheurer und
die Pachter Befrachter. Der Befehlshaber des Schiffs, wenn
es zur See geht, heißt Patron oder Capitain3). Die Leute,
welche mit zu Schiffe gehen, um im Namen des Befrachters am
fremden Platze die Waaren zu verkaufen, heißen Cargo (Carga-
dores, Cargadeurs)
und wer als der Erſte unter ihnen beſtellt
iſt, Supercargo4). Das verheuerte Schiff muß, wenn es zur
Seefahrt benutzt werden ſoll, folgende verſchiedene Urkunden mit
ſich führen: den Bielbrief, vom Schiffsbauer über den gehörigen
Bau des Schiffes ausgeſtellt; den Mählbrief, den Contract zwi-
ſchen dem Bauer und Rheder über die Qualität und den Bau des
Schiffes; den Meßbrief, obrigkeitliche Urkunde über die vor-
genommene Meſſung und den Tonnengehalt des Schiffes5); die
Muſterrolle, ein Verzeichniß der Schiffsmannſchaft (Beman-
nung) mit obrigkeitlicher Beglaubigung; die Certepartie
(Chartepartie), die Vertragsurkunde über die Verheuerung; die
Connoſſamente (Connaissements), die Frachtbriefe über die
geladenen Waaren; das Manifeſt, ein Hauptverzeichniß aller im
Schiffe enthaltenen Waaren; den Paß des Schiffes, und das
Tagebuch (Journal) des Steuermanns zur Aufzeichnung der
Schiffsvorfälle während der Fahrt.

1) Büſch Darſtellung. I. 282.
2) Sie theilen auch Gewinnſt und Verluſt. Mittermaier deutſches Privat-
recht. §. 488.
3) Sein Verhältniß zum Rheder iſt als ein Dienſtmiethvertrag angeſehen.
Mittermaier deutſches Privatrecht. §. 489. 490.
4) Leuchs Syſtem. II. S. 822.
5) Eine Tonne = ½ Laſt = 2000 Pfd. Die Grenze des geſtatteten tiefſten
Eintauchens eines Schiffes heißt Waſſertracht.

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[484/0506] II. Vom Waſſerhandel oder von der Schifffahrt. §. 355. 1) Allgemeine Schiffsverhältniſſe. Die Kanäle, Flüſſe, Ströme, Seen und die See bilden zu- ſammen auf der ganzen Erde ein Syſtem von Communications- wegen für die ganze Menſchheit, worauf der Transport am ſchnell- ſten, leichteſten und wohlfeilſten geſchieht. Der Seehandel insbe- ſondere war anfänglich nichts als Küſtenhandel (Cabotage), welcher auch heut zu Tage noch getrieben wird1). Die Schifffahrt hat eine Menge eigenthümlicher Verhältniſſe. Die Schiffseigenthümer heißen Rheder oder Mitrheder; ihr Verhältniß gegen einander (Mit- oder Mederhederei) rührt davon her, daß Jeder Antheil am Schiffe (ſeine Schiffsparte) hat2). Wenn ſie ihr Schiff verpachten (verheuern), ſo heißt das Geſchäft Verheuerung (Nolissement, Affrétement), die Rheder aber Verheurer und die Pachter Befrachter. Der Befehlshaber des Schiffs, wenn es zur See geht, heißt Patron oder Capitain3). Die Leute, welche mit zu Schiffe gehen, um im Namen des Befrachters am fremden Platze die Waaren zu verkaufen, heißen Cargo (Carga- dores, Cargadeurs) und wer als der Erſte unter ihnen beſtellt iſt, Supercargo4). Das verheuerte Schiff muß, wenn es zur Seefahrt benutzt werden ſoll, folgende verſchiedene Urkunden mit ſich führen: den Bielbrief, vom Schiffsbauer über den gehörigen Bau des Schiffes ausgeſtellt; den Mählbrief, den Contract zwi- ſchen dem Bauer und Rheder über die Qualität und den Bau des Schiffes; den Meßbrief, obrigkeitliche Urkunde über die vor- genommene Meſſung und den Tonnengehalt des Schiffes5); die Muſterrolle, ein Verzeichniß der Schiffsmannſchaft (Beman- nung) mit obrigkeitlicher Beglaubigung; die Certepartie (Chartepartie), die Vertragsurkunde über die Verheuerung; die Connoſſamente (Connaissements), die Frachtbriefe über die geladenen Waaren; das Manifeſt, ein Hauptverzeichniß aller im Schiffe enthaltenen Waaren; den Paß des Schiffes, und das Tagebuch (Journal) des Steuermanns zur Aufzeichnung der Schiffsvorfälle während der Fahrt. ¹⁾ Büſch Darſtellung. I. 282. ²⁾ Sie theilen auch Gewinnſt und Verluſt. Mittermaier deutſches Privat- recht. §. 488. ³⁾ Sein Verhältniß zum Rheder iſt als ein Dienſtmiethvertrag angeſehen. Mittermaier deutſches Privatrecht. §. 489. 490. ⁴⁾ Leuchs Syſtem. II. S. 822. ⁵⁾ Eine Tonne = ½ Laſt = 2000 Pfd. Die Grenze des geſtatteten tiefſten Eintauchens eines Schiffes heißt Waſſertracht.

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Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/506>, abgerufen am 29.03.2024.