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Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835.

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politeuma des Staates, dieses aber sei nichts anderes als die politeia. Die Archen
waren aber Verwaltungsbehörden im weiteren Sinne (A. Baumstark I. c. p. 26.),
folglich ihr Geschäft die Staatsverwaltung. 7) Auf keinen Fall könnte der Mangel
der Trennung beider Begriffe die Ansicht rechtfertigen, daß politeia nur Staats-
verfassung heiße. Nach unserer Ansicht ist also das griechische politeia mit der
spätern Polizei sehr nahe verwandt, und man kann den Einführern dieses Wortes
nur vorwerfen, daß sie den Gattungsbegriff für jenen der Art gesetzt haben, -- ein
Fehler, der in jener Zeit mehr als verzeihlich, ja unvermeidlich war.
§. 24.
Fortsetzung. Kammerkollegien.

Zu einer solchen Masse von verschiedenen Geschäften war die
Staatsverwaltung in jener Zeit angewachsen1). Doch aber hatte
man sie in den Behörden, blos das Domänenwesen ausgenommen,
noch nicht in Justiz- und reine Kammerbehörden geschieden. In
Burgund bestand a. 1385 zu Lille unter Herzog Philipp d. Küh-
nen eine Collegialbehörde für Justiz- und Finanzverwaltung zu-
sammen. Allein Johann der Unerschrockene trennte sie schon
a. 1409 in zwei Behörden, und verlegte die Justizbehörde nach
Gent, während er das Finanzkollegium zu Lille ließ2).
Dies fand seinen Grund in der Häufung und Verschiedenartigkeit
der Geschäfte. Die Vergleichung beider Geschäfte zeigte leicht,
a) daß die Rechtspflege auf positive Normen und Gewohnheiten
gestützt ist, während sich die Kammerbehörden dieselben erst nach
Maaßgabe der Zweckmäßigkeit bilden mußten; b) daß der Justiz-
beamte ohne weitere Rücksichten die vorhandene Norm auf einen
herausgestellten Fall anzuwenden hatte, während die Kammerbe-
hörde es mit den verschiedensten menschlichen und bürgerlich prak-
schen Verhältnissen, denen eine Maaßregel entsprechen mußte, zu
thun hatte; c) daß die Justizbehörde nicht, wie jene, auf die Er-
findung neuer Mittel zu längst bekannten Zwecken, auf die Wan-
delbarkeit aller Verhältnisse und auf die in den Händen der
Unterthanen liegenden, sich bald vermehrenden, bald verringernden
Besitzthümer Rücksicht zu nehmen brauchte; und d) daß kurz über-
haupt die Justizbehörde einen gegebenen Fall unter ein Gesetz sub-
sumirt, während die Kammerbehörde mehr ihre Maaßregeln unter
gegebene Fälle subsumirt, um das Zweckmäßigste zu treffen3). Als
Maximilian I. Burgund ererbt hatte, so führte er, ohne Zwei-
fel, weil er mit obiger Trennung bekannt wurde, im J. 1498 zu
Insbruck und im J. 1501 zu Wien Hofkammern ein. Diese Ein-
richtung fand allgemeine Nachahmung, namentlich in Sachsen,
Brandenburg, Baiern, Schweden und Dänemark4). Jedoch wa-
ren diese Kammerkollegien nur die Oberbehörden. Der Behörden-
organismus in der Domänenverwaltung war folgender: Ueber

πολιτευμα des Staates, dieſes aber ſei nichts anderes als die πολιτεια. Die Archen
waren aber Verwaltungsbehörden im weiteren Sinne (A. Baumstark I. c. p. 26.),
folglich ihr Geſchäft die Staatsverwaltung. 7) Auf keinen Fall könnte der Mangel
der Trennung beider Begriffe die Anſicht rechtfertigen, daß πολιτεια nur Staats-
verfaſſung heiße. Nach unſerer Anſicht iſt alſo das griechiſche πολιτεια mit der
ſpätern Polizei ſehr nahe verwandt, und man kann den Einführern dieſes Wortes
nur vorwerfen, daß ſie den Gattungsbegriff für jenen der Art geſetzt haben, — ein
Fehler, der in jener Zeit mehr als verzeihlich, ja unvermeidlich war.
§. 24.
Fortſetzung. Kammerkollegien.

Zu einer ſolchen Maſſe von verſchiedenen Geſchäften war die
Staatsverwaltung in jener Zeit angewachſen1). Doch aber hatte
man ſie in den Behörden, blos das Domänenweſen ausgenommen,
noch nicht in Juſtiz- und reine Kammerbehörden geſchieden. In
Burgund beſtand a. 1385 zu Lille unter Herzog Philipp d. Küh-
nen eine Collegialbehörde für Juſtiz- und Finanzverwaltung zu-
ſammen. Allein Johann der Unerſchrockene trennte ſie ſchon
a. 1409 in zwei Behörden, und verlegte die Juſtizbehörde nach
Gent, während er das Finanzkollegium zu Lille ließ2).
Dies fand ſeinen Grund in der Häufung und Verſchiedenartigkeit
der Geſchäfte. Die Vergleichung beider Geſchäfte zeigte leicht,
a) daß die Rechtspflege auf poſitive Normen und Gewohnheiten
geſtützt iſt, während ſich die Kammerbehörden dieſelben erſt nach
Maaßgabe der Zweckmäßigkeit bilden mußten; b) daß der Juſtiz-
beamte ohne weitere Rückſichten die vorhandene Norm auf einen
herausgeſtellten Fall anzuwenden hatte, während die Kammerbe-
hörde es mit den verſchiedenſten menſchlichen und bürgerlich prak-
ſchen Verhältniſſen, denen eine Maaßregel entſprechen mußte, zu
thun hatte; c) daß die Juſtizbehörde nicht, wie jene, auf die Er-
findung neuer Mittel zu längſt bekannten Zwecken, auf die Wan-
delbarkeit aller Verhältniſſe und auf die in den Händen der
Unterthanen liegenden, ſich bald vermehrenden, bald verringernden
Beſitzthümer Rückſicht zu nehmen brauchte; und d) daß kurz über-
haupt die Juſtizbehörde einen gegebenen Fall unter ein Geſetz ſub-
ſumirt, während die Kammerbehörde mehr ihre Maaßregeln unter
gegebene Fälle ſubſumirt, um das Zweckmäßigſte zu treffen3). Als
Maximilian I. Burgund ererbt hatte, ſo führte er, ohne Zwei-
fel, weil er mit obiger Trennung bekannt wurde, im J. 1498 zu
Insbruck und im J. 1501 zu Wien Hofkammern ein. Dieſe Ein-
richtung fand allgemeine Nachahmung, namentlich in Sachſen,
Brandenburg, Baiern, Schweden und Dänemark4). Jedoch wa-
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[29/0051] ⁷⁾ πολιτευμα des Staates, dieſes aber ſei nichts anderes als die πολιτεια. Die Archen waren aber Verwaltungsbehörden im weiteren Sinne (A. Baumstark I. c. p. 26.), folglich ihr Geſchäft die Staatsverwaltung. 7) Auf keinen Fall könnte der Mangel der Trennung beider Begriffe die Anſicht rechtfertigen, daß πολιτεια nur Staats- verfaſſung heiße. Nach unſerer Anſicht iſt alſo das griechiſche πολιτεια mit der ſpätern Polizei ſehr nahe verwandt, und man kann den Einführern dieſes Wortes nur vorwerfen, daß ſie den Gattungsbegriff für jenen der Art geſetzt haben, — ein Fehler, der in jener Zeit mehr als verzeihlich, ja unvermeidlich war. §. 24. Fortſetzung. Kammerkollegien. Zu einer ſolchen Maſſe von verſchiedenen Geſchäften war die Staatsverwaltung in jener Zeit angewachſen1). Doch aber hatte man ſie in den Behörden, blos das Domänenweſen ausgenommen, noch nicht in Juſtiz- und reine Kammerbehörden geſchieden. In Burgund beſtand a. 1385 zu Lille unter Herzog Philipp d. Küh- nen eine Collegialbehörde für Juſtiz- und Finanzverwaltung zu- ſammen. Allein Johann der Unerſchrockene trennte ſie ſchon a. 1409 in zwei Behörden, und verlegte die Juſtizbehörde nach Gent, während er das Finanzkollegium zu Lille ließ2). Dies fand ſeinen Grund in der Häufung und Verſchiedenartigkeit der Geſchäfte. Die Vergleichung beider Geſchäfte zeigte leicht, a) daß die Rechtspflege auf poſitive Normen und Gewohnheiten geſtützt iſt, während ſich die Kammerbehörden dieſelben erſt nach Maaßgabe der Zweckmäßigkeit bilden mußten; b) daß der Juſtiz- beamte ohne weitere Rückſichten die vorhandene Norm auf einen herausgeſtellten Fall anzuwenden hatte, während die Kammerbe- hörde es mit den verſchiedenſten menſchlichen und bürgerlich prak- ſchen Verhältniſſen, denen eine Maaßregel entſprechen mußte, zu thun hatte; c) daß die Juſtizbehörde nicht, wie jene, auf die Er- findung neuer Mittel zu längſt bekannten Zwecken, auf die Wan- delbarkeit aller Verhältniſſe und auf die in den Händen der Unterthanen liegenden, ſich bald vermehrenden, bald verringernden Beſitzthümer Rückſicht zu nehmen brauchte; und d) daß kurz über- haupt die Juſtizbehörde einen gegebenen Fall unter ein Geſetz ſub- ſumirt, während die Kammerbehörde mehr ihre Maaßregeln unter gegebene Fälle ſubſumirt, um das Zweckmäßigſte zu treffen3). Als Maximilian I. Burgund ererbt hatte, ſo führte er, ohne Zwei- fel, weil er mit obiger Trennung bekannt wurde, im J. 1498 zu Insbruck und im J. 1501 zu Wien Hofkammern ein. Dieſe Ein- richtung fand allgemeine Nachahmung, namentlich in Sachſen, Brandenburg, Baiern, Schweden und Dänemark4). Jedoch wa- ren dieſe Kammerkollegien nur die Oberbehörden. Der Behörden- organismus in der Domänenverwaltung war folgender: Ueber

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Zitationshilfe: Baumstark, Eduard: Kameralistische Encyclopädie. Heidelberg u. a., 1835, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumstark_encyclopaedie_1835/51>, abgerufen am 25.04.2024.