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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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künftig zu Spaziergängen diene; eine Bretterwand von 8 bis 10 Schuh Höhe wurde neu angelegt, um der Außenwelt den Einblick in das schöne Geheimniß dieses friedlichen Stilllebens zu wehren.

Dieser Garten nun war die stille Insel, auf welcher in schöner Jahreszeit Ludwig und Sophie sich täglich ergingen. Klösterlich abgeschlossen gegen die Außenwelt, ganz sich selbst lebend, sich selbst genügend, genossen sie die einfache Schönheit dieser ländlichen Einsamkeit. Eine Geißblattlaube, von einem Fliederbaum überschattet, bot das trauliche Ruheplätzchen, wo sich plaudern und lesen, arbeiten und ruhen ließ. Frieden murmelte der Rodach leisere Welle, Frieden flüsterten der Weiden silbergraue Blätterzungen, Frieden tönten der Aeolsharfe schwellendschwebende Accorde vom hohen Hause in den Garten nieder, Frieden sangen die lieblichen Kehlen munterer Vögel, Grasmücken, Weidenzeisige, Grünlinge und Bachstelzen. Sophie blieb das schöne Wesen ihrer Kindheit und Jugend, von stillem Ernst, dessen Siegel das Leben ihr aufdrückte, gleichsam geweiht. Selten nur kamen Nachrichten von ihrer Mutter, diese Dame reiste noch in hohen Jahren umher, sie war nicht traurig darüber, ihr Geheimniß so fern, so treu bewahrt zu wissen, Niemand lebte mehr, der ihr eine Verlegenheit hätte bereiten können, außer Ludwig und Sophie, und zu diesen fand Jene nie den Weg. Und so war es gut, denn alle Theile waren zufriedengestellt. Was in Sophiens Innerem vorging, ob sie sich hinaussehnte in die Welt, ob sie sich als eine Gefangene fühlte, ob sie heimlich einer ungenossenen Jugend nachweinte? Nur Ludwig war der Vertraute ihrer Seele, keinem andern Herzen konnte ihr reiches und schönes Gemüth sich je erschließen, doch war ihr, jenes stillen Ernstes ungeachtet, ein kindlich heiterer Sinn geblieben und ein tiefes Empfinden.



künftig zu Spaziergängen diene; eine Bretterwand von 8 bis 10 Schuh Höhe wurde neu angelegt, um der Außenwelt den Einblick in das schöne Geheimniß dieses friedlichen Stilllebens zu wehren.

Dieser Garten nun war die stille Insel, auf welcher in schöner Jahreszeit Ludwig und Sophie sich täglich ergingen. Klösterlich abgeschlossen gegen die Außenwelt, ganz sich selbst lebend, sich selbst genügend, genossen sie die einfache Schönheit dieser ländlichen Einsamkeit. Eine Geißblattlaube, von einem Fliederbaum überschattet, bot das trauliche Ruheplätzchen, wo sich plaudern und lesen, arbeiten und ruhen ließ. Frieden murmelte der Rodach leisere Welle, Frieden flüsterten der Weiden silbergraue Blätterzungen, Frieden tönten der Aeolsharfe schwellendschwebende Accorde vom hohen Hause in den Garten nieder, Frieden sangen die lieblichen Kehlen munterer Vögel, Grasmücken, Weidenzeisige, Grünlinge und Bachstelzen. Sophie blieb das schöne Wesen ihrer Kindheit und Jugend, von stillem Ernst, dessen Siegel das Leben ihr aufdrückte, gleichsam geweiht. Selten nur kamen Nachrichten von ihrer Mutter, diese Dame reiste noch in hohen Jahren umher, sie war nicht traurig darüber, ihr Geheimniß so fern, so treu bewahrt zu wissen, Niemand lebte mehr, der ihr eine Verlegenheit hätte bereiten können, außer Ludwig und Sophie, und zu diesen fand Jene nie den Weg. Und so war es gut, denn alle Theile waren zufriedengestellt. Was in Sophiens Innerem vorging, ob sie sich hinaussehnte in die Welt, ob sie sich als eine Gefangene fühlte, ob sie heimlich einer ungenossenen Jugend nachweinte? Nur Ludwig war der Vertraute ihrer Seele, keinem andern Herzen konnte ihr reiches und schönes Gemüth sich je erschließen, doch war ihr, jenes stillen Ernstes ungeachtet, ein kindlich heiterer Sinn geblieben und ein tiefes Empfinden.



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[442/0446] künftig zu Spaziergängen diene; eine Bretterwand von 8 bis 10 Schuh Höhe wurde neu angelegt, um der Außenwelt den Einblick in das schöne Geheimniß dieses friedlichen Stilllebens zu wehren. Dieser Garten nun war die stille Insel, auf welcher in schöner Jahreszeit Ludwig und Sophie sich täglich ergingen. Klösterlich abgeschlossen gegen die Außenwelt, ganz sich selbst lebend, sich selbst genügend, genossen sie die einfache Schönheit dieser ländlichen Einsamkeit. Eine Geißblattlaube, von einem Fliederbaum überschattet, bot das trauliche Ruheplätzchen, wo sich plaudern und lesen, arbeiten und ruhen ließ. Frieden murmelte der Rodach leisere Welle, Frieden flüsterten der Weiden silbergraue Blätterzungen, Frieden tönten der Aeolsharfe schwellendschwebende Accorde vom hohen Hause in den Garten nieder, Frieden sangen die lieblichen Kehlen munterer Vögel, Grasmücken, Weidenzeisige, Grünlinge und Bachstelzen. Sophie blieb das schöne Wesen ihrer Kindheit und Jugend, von stillem Ernst, dessen Siegel das Leben ihr aufdrückte, gleichsam geweiht. Selten nur kamen Nachrichten von ihrer Mutter, diese Dame reiste noch in hohen Jahren umher, sie war nicht traurig darüber, ihr Geheimniß so fern, so treu bewahrt zu wissen, Niemand lebte mehr, der ihr eine Verlegenheit hätte bereiten können, außer Ludwig und Sophie, und zu diesen fand Jene nie den Weg. Und so war es gut, denn alle Theile waren zufriedengestellt. Was in Sophiens Innerem vorging, ob sie sich hinaussehnte in die Welt, ob sie sich als eine Gefangene fühlte, ob sie heimlich einer ungenossenen Jugend nachweinte? Nur Ludwig war der Vertraute ihrer Seele, keinem andern Herzen konnte ihr reiches und schönes Gemüth sich je erschließen, doch war ihr, jenes stillen Ernstes ungeachtet, ein kindlich heiterer Sinn geblieben und ein tiefes Empfinden.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/446>, abgerufen am 28.03.2024.