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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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hielt. Ich war nicht fähig, mit ruhigem und kaltem Blute zu überlegen bei der Mißhandlung, die mir widerfahren war, und nie hätte sich mir ein anderer Ausweg zur Flucht geboten. Indessen, wie sehr Leonardus mich liebt, wie sehr mein Wunsch wäre, ihm anzugehören, so darf es ja nicht sein, da ich noch nicht von meinem Manne geschieden bin, und wieder darf es nicht sein, daß ich mich als Last an des edlen Freundes Fersen hänge, daß ich zwischen ihn und seines Vaters Zufriedenheit, zwischen ihn und das Glück seiner Zukunft an der Hand einer reichen Braut, welcher er verlobt wurde, mich dränge. Ich könnte nur störenden Unfrieden hervorrufen, und dafür möge der allmächtige Gott mich bewahren, denn ich weiß, was Unfriede ist und was er wiegt im Leben der Familien; er ist wie ein fressendes Krebsgeschwür, dem nicht Messer, nicht Salbe des Wundarztes völlig Einhalt zu thun vermag.

Ludwig hörte mit herzlicher Theilnahme diese Worte des schönen, noch so jungen und schon so unglücklichen Weibes an; aber er bei seiner eigenen Jugend und Unerfahrenheit, welchen Rath hätte er zu geben vermocht? Er sann einige Augenblicke nach und sprach dann: Ihr Verhältniß, verehrte Freundin, ist allerdings ein sehr eigenthümliches; es wird Alles darauf ankommen, ob des Freundes Liebe zu Ihnen von solcher Stärke ist, daß er alle derselben sich entgegendämmende Schwierigkeiten überwindet, ohne selbst an eigenem Lebens- und Zukunftsglück ein Opfer zu bringen. Es ist nur edel und würdig von Ihnen, daß Sie ein solches Opfer nicht erwarten und fordern, und Sie würden auch nicht glücklich sein können, falls es dennoch dargebracht würde.

Gewiß nicht, mein edler Freund, Sie fühlen wie ich! rief Anges, bot Ludwig ihre Hand und sah ihm mit reinem durch Thränen verklärtem Lächeln schwesterlich liebevoll in die Augen, ganz Hingebung, ganz Vertrauen. Darum preise ich mein Geschick, daß der Himmel Sie uns zuführte, und ich will Ihnen meine Gedanken offen mittheilen. Gelingt es Leonardus, die zu fürchtenden Schwierigkeiten zu überwinden, so wird er auch Rath finden, jene Schritte zu thun, welche nöthig sind, die Scheidung von meinem Manne zu bewirken; gelingt es ihm nicht, so muß ich von ihm scheiden, denn ich will nicht in einem Verhältniß leben, über das die gute Sitte den Stab bricht.

hielt. Ich war nicht fähig, mit ruhigem und kaltem Blute zu überlegen bei der Mißhandlung, die mir widerfahren war, und nie hätte sich mir ein anderer Ausweg zur Flucht geboten. Indessen, wie sehr Leonardus mich liebt, wie sehr mein Wunsch wäre, ihm anzugehören, so darf es ja nicht sein, da ich noch nicht von meinem Manne geschieden bin, und wieder darf es nicht sein, daß ich mich als Last an des edlen Freundes Fersen hänge, daß ich zwischen ihn und seines Vaters Zufriedenheit, zwischen ihn und das Glück seiner Zukunft an der Hand einer reichen Braut, welcher er verlobt wurde, mich dränge. Ich könnte nur störenden Unfrieden hervorrufen, und dafür möge der allmächtige Gott mich bewahren, denn ich weiß, was Unfriede ist und was er wiegt im Leben der Familien; er ist wie ein fressendes Krebsgeschwür, dem nicht Messer, nicht Salbe des Wundarztes völlig Einhalt zu thun vermag.

Ludwig hörte mit herzlicher Theilnahme diese Worte des schönen, noch so jungen und schon so unglücklichen Weibes an; aber er bei seiner eigenen Jugend und Unerfahrenheit, welchen Rath hätte er zu geben vermocht? Er sann einige Augenblicke nach und sprach dann: Ihr Verhältniß, verehrte Freundin, ist allerdings ein sehr eigenthümliches; es wird Alles darauf ankommen, ob des Freundes Liebe zu Ihnen von solcher Stärke ist, daß er alle derselben sich entgegendämmende Schwierigkeiten überwindet, ohne selbst an eigenem Lebens- und Zukunftsglück ein Opfer zu bringen. Es ist nur edel und würdig von Ihnen, daß Sie ein solches Opfer nicht erwarten und fordern, und Sie würden auch nicht glücklich sein können, falls es dennoch dargebracht würde.

Gewiß nicht, mein edler Freund, Sie fühlen wie ich! rief Angés, bot Ludwig ihre Hand und sah ihm mit reinem durch Thränen verklärtem Lächeln schwesterlich liebevoll in die Augen, ganz Hingebung, ganz Vertrauen. Darum preise ich mein Geschick, daß der Himmel Sie uns zuführte, und ich will Ihnen meine Gedanken offen mittheilen. Gelingt es Leonardus, die zu fürchtenden Schwierigkeiten zu überwinden, so wird er auch Rath finden, jene Schritte zu thun, welche nöthig sind, die Scheidung von meinem Manne zu bewirken; gelingt es ihm nicht, so muß ich von ihm scheiden, denn ich will nicht in einem Verhältniß leben, über das die gute Sitte den Stab bricht.

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hielt. Ich war nicht fähig, mit ruhigem und kaltem Blute zu überlegen bei der Mißhandlung, die mir widerfahren war, und nie hätte sich mir ein anderer Ausweg zur Flucht geboten. Indessen, wie sehr Leonardus mich liebt, wie sehr mein Wunsch wäre, ihm anzugehören, so darf es ja nicht sein, da ich noch nicht von meinem Manne geschieden bin, und wieder darf es nicht sein, daß ich mich als Last an des edlen Freundes Fersen hänge, daß ich zwischen ihn und seines Vaters Zufriedenheit, zwischen ihn und das Glück seiner Zukunft an der Hand einer reichen Braut, welcher er verlobt wurde, mich dränge. Ich könnte nur störenden Unfrieden hervorrufen, und dafür möge der allmächtige Gott mich bewahren, denn ich weiß, was Unfriede ist und was er wiegt im Leben der Familien; er ist wie ein fressendes Krebsgeschwür, dem nicht Messer, nicht Salbe des Wundarztes völlig Einhalt zu thun vermag.</p>
          <p>Ludwig hörte mit herzlicher Theilnahme diese Worte des schönen, noch so jungen und schon so unglücklichen Weibes an; aber er bei seiner eigenen Jugend und Unerfahrenheit, welchen Rath hätte er zu geben vermocht? Er sann einige Augenblicke nach und sprach dann: Ihr Verhältniß, verehrte Freundin, ist allerdings ein sehr eigenthümliches; es wird Alles darauf ankommen, ob des Freundes Liebe zu Ihnen von solcher Stärke ist, daß er alle derselben sich entgegendämmende Schwierigkeiten überwindet, ohne selbst an eigenem Lebens- und Zukunftsglück ein Opfer zu bringen. Es ist nur edel und würdig von Ihnen, daß Sie ein solches Opfer nicht erwarten und fordern, und Sie würden auch nicht glücklich sein können, falls es dennoch dargebracht würde.</p>
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[97/0101] hielt. Ich war nicht fähig, mit ruhigem und kaltem Blute zu überlegen bei der Mißhandlung, die mir widerfahren war, und nie hätte sich mir ein anderer Ausweg zur Flucht geboten. Indessen, wie sehr Leonardus mich liebt, wie sehr mein Wunsch wäre, ihm anzugehören, so darf es ja nicht sein, da ich noch nicht von meinem Manne geschieden bin, und wieder darf es nicht sein, daß ich mich als Last an des edlen Freundes Fersen hänge, daß ich zwischen ihn und seines Vaters Zufriedenheit, zwischen ihn und das Glück seiner Zukunft an der Hand einer reichen Braut, welcher er verlobt wurde, mich dränge. Ich könnte nur störenden Unfrieden hervorrufen, und dafür möge der allmächtige Gott mich bewahren, denn ich weiß, was Unfriede ist und was er wiegt im Leben der Familien; er ist wie ein fressendes Krebsgeschwür, dem nicht Messer, nicht Salbe des Wundarztes völlig Einhalt zu thun vermag. Ludwig hörte mit herzlicher Theilnahme diese Worte des schönen, noch so jungen und schon so unglücklichen Weibes an; aber er bei seiner eigenen Jugend und Unerfahrenheit, welchen Rath hätte er zu geben vermocht? Er sann einige Augenblicke nach und sprach dann: Ihr Verhältniß, verehrte Freundin, ist allerdings ein sehr eigenthümliches; es wird Alles darauf ankommen, ob des Freundes Liebe zu Ihnen von solcher Stärke ist, daß er alle derselben sich entgegendämmende Schwierigkeiten überwindet, ohne selbst an eigenem Lebens- und Zukunftsglück ein Opfer zu bringen. Es ist nur edel und würdig von Ihnen, daß Sie ein solches Opfer nicht erwarten und fordern, und Sie würden auch nicht glücklich sein können, falls es dennoch dargebracht würde. Gewiß nicht, mein edler Freund, Sie fühlen wie ich! rief Angés, bot Ludwig ihre Hand und sah ihm mit reinem durch Thränen verklärtem Lächeln schwesterlich liebevoll in die Augen, ganz Hingebung, ganz Vertrauen. Darum preise ich mein Geschick, daß der Himmel Sie uns zuführte, und ich will Ihnen meine Gedanken offen mittheilen. Gelingt es Leonardus, die zu fürchtenden Schwierigkeiten zu überwinden, so wird er auch Rath finden, jene Schritte zu thun, welche nöthig sind, die Scheidung von meinem Manne zu bewirken; gelingt es ihm nicht, so muß ich von ihm scheiden, denn ich will nicht in einem Verhältniß leben, über das die gute Sitte den Stab bricht.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/101>, abgerufen am 19.04.2024.