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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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mehr, ihr ganzes Sein, Denken und Empfinden lag in ihren Augen, und mit diesen Augen sah sie, wie Leonardus, von seiner Mutter geführt, ganz ehrbar zu seiner Verlobten schritt, und wie die Mutter Sibylla's Hand in seine Hand legte, und da ward es so dunkel vor ihren Augen, so nachtschwarz trotz der dreihundert Wachskerzen, die in den Zimmern auf Kronleuchtern, Kandelabern und Gueridons brannten, daß sie gar nichts mehr sah; lautlos sank sie in sich zusammen.

Ein heller Ruf- und Angstschrei des Kindes schnitt wie ein Blitzstrahl erschreckend durch die Versammlung und schnitt zugleich den Sermon des Capellans ihm vom Munde ab. Alles war erschrocken, am meisten Leonardus, er sank neben der ohnmächtigen Anges in die Kniee und rief außer sich, Alles um sich und sich selbst vergessend:

Anges! Meine geliebte Anges! Komme zu dir! Erwache! -- Der Erbprinz bemühte sich, die kleine Sophie zu beruhigen, er umfaßte liebkosend das schöne Kind; zufällig streifte er dabei den kurzen linken Aermel des Kleidchens in die Höhe, da glühten ihm karminroth von der feinen Haut die Buchstaben entgegen: S. C. B. Er hob mit einem lauten jauchzenden Ausruf die Kleine hoch empor und rief: O Freude! Freude! Freude!

Aller Blicke lenkten sich auf ihn. Anges schlug die Augen auf, und sah das Kind von dem Prinzen emporgehoben, sein Ausruf hatte sie aus ihrer Ohnmacht schneller geweckt, als die stärkenden Essenzen. Eure Hoheit -- wurden fragende Stimmen laut: Was ist's mit dem Kinde? Und Jener rief mit schöner Wallung des Gefühles: Dieses Kind -- ist mein --



mehr, ihr ganzes Sein, Denken und Empfinden lag in ihren Augen, und mit diesen Augen sah sie, wie Leonardus, von seiner Mutter geführt, ganz ehrbar zu seiner Verlobten schritt, und wie die Mutter Sibylla’s Hand in seine Hand legte, und da ward es so dunkel vor ihren Augen, so nachtschwarz trotz der dreihundert Wachskerzen, die in den Zimmern auf Kronleuchtern, Kandelabern und Gueridons brannten, daß sie gar nichts mehr sah; lautlos sank sie in sich zusammen.

Ein heller Ruf- und Angstschrei des Kindes schnitt wie ein Blitzstrahl erschreckend durch die Versammlung und schnitt zugleich den Sermon des Capellans ihm vom Munde ab. Alles war erschrocken, am meisten Leonardus, er sank neben der ohnmächtigen Angés in die Kniee und rief außer sich, Alles um sich und sich selbst vergessend:

Angés! Meine geliebte Angés! Komme zu dir! Erwache! — Der Erbprinz bemühte sich, die kleine Sophie zu beruhigen, er umfaßte liebkosend das schöne Kind; zufällig streifte er dabei den kurzen linken Aermel des Kleidchens in die Höhe, da glühten ihm karminroth von der feinen Haut die Buchstaben entgegen: S. C. B. Er hob mit einem lauten jauchzenden Ausruf die Kleine hoch empor und rief: O Freude! Freude! Freude!

Aller Blicke lenkten sich auf ihn. Angés schlug die Augen auf, und sah das Kind von dem Prinzen emporgehoben, sein Ausruf hatte sie aus ihrer Ohnmacht schneller geweckt, als die stärkenden Essenzen. Eure Hoheit — wurden fragende Stimmen laut: Was ist’s mit dem Kinde? Und Jener rief mit schöner Wallung des Gefühles: Dieses Kind — ist mein —



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[125/0129] mehr, ihr ganzes Sein, Denken und Empfinden lag in ihren Augen, und mit diesen Augen sah sie, wie Leonardus, von seiner Mutter geführt, ganz ehrbar zu seiner Verlobten schritt, und wie die Mutter Sibylla’s Hand in seine Hand legte, und da ward es so dunkel vor ihren Augen, so nachtschwarz trotz der dreihundert Wachskerzen, die in den Zimmern auf Kronleuchtern, Kandelabern und Gueridons brannten, daß sie gar nichts mehr sah; lautlos sank sie in sich zusammen. Ein heller Ruf- und Angstschrei des Kindes schnitt wie ein Blitzstrahl erschreckend durch die Versammlung und schnitt zugleich den Sermon des Capellans ihm vom Munde ab. Alles war erschrocken, am meisten Leonardus, er sank neben der ohnmächtigen Angés in die Kniee und rief außer sich, Alles um sich und sich selbst vergessend: Angés! Meine geliebte Angés! Komme zu dir! Erwache! — Der Erbprinz bemühte sich, die kleine Sophie zu beruhigen, er umfaßte liebkosend das schöne Kind; zufällig streifte er dabei den kurzen linken Aermel des Kleidchens in die Höhe, da glühten ihm karminroth von der feinen Haut die Buchstaben entgegen: S. C. B. Er hob mit einem lauten jauchzenden Ausruf die Kleine hoch empor und rief: O Freude! Freude! Freude! Aller Blicke lenkten sich auf ihn. Angés schlug die Augen auf, und sah das Kind von dem Prinzen emporgehoben, sein Ausruf hatte sie aus ihrer Ohnmacht schneller geweckt, als die stärkenden Essenzen. Eure Hoheit — wurden fragende Stimmen laut: Was ist’s mit dem Kinde? Und Jener rief mit schöner Wallung des Gefühles: Dieses Kind — ist mein —

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/129>, abgerufen am 28.03.2024.