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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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der französischen Sprache ist es fremd, nun aber war das deutsche Sie Sophien nicht minder fremd und unbegreiflich, und das Ihr klang ihr im Deutschen so seltsam, daß sie bei sich beschloß, in dem Briefe, der ihre erste Uebung im deutschen Styl werden sollte, das Du zu brauchen, selbst auf die Gefahr hin, daß es so kindlich klinge, als wenn ein Kind sein erstes Gebet stammelt.

So entstand jener noch vorhandene und in Hildburghausen wohlbekannte Brief, der so manche falsche Auslegung fand, der so Viele glauben machte, er sei, weil nicht nach den Regeln der großen deutschen Sprachschulmeister Campe, Adelung und Heinsius stylisirt und geschrieben, nur ein Zeugniß von Mangel an Bildung oder von ganz untergeordneter Stellung jener Persönlichkeit, die das Räthsel ihrer Existenz mit so dichten Schleierhüllen umwob.

Und dabei bleibt es immer noch eine große Frage, ob jener Brief nicht Abschrift einer fremden, der Orthographie unkundigen Hand war. -- Du! klang es in Sophiens Seele zu Ludwig, wie es längst in der seinen geklungen; Du! hallte diesen trauten Klang das jungfräulich erbebende Herz nach, da es sich gedrungen fühlte, dem edlen Mann mehr zu sein als Pflegbefohlene, mehr als Tochter.

Als der Graf an diesem 22. September früh nach seiner Gewohnheit das Lager verlassen und aus seinem Schlafkabinet in sein Wohnzimmer trat, lag auf einem geschmückten Tisch ein frischer Kranz, und neben diesem eine schöne Stickerei, ein Sophakissen im Geschmacke jener Zeit, erhabene Blumen von geschorener Seide. Diese Blumen waren Lilien, drei an der Zahl, auf einem himmelblauen Felde, und neben diesen drei zarten Lilien, welche mit täuschender Kunst die Natur nachahmten, stand von Silberlahn gefertigt, ein Anker. Zwischen diesem Kunstwerk und dem Kranze lag ein Brief, ohne Aufschrift, gesiegelt mit einem Petschaft, dessen Abdruck in einem kleinen ovalen Schildchen unter einer Königskrone drei Wappenlilien zeigte.

Bewegt nahte Ludwig diesen freundlichen Gaben einer so unendlich theuern Hand; sein Geburtstag, an den sie ihn sogleich erinnerten, war ihm wichtig geworden, seit er Leonardus kennen gelernt hatte. Er brachte still seinen Dahingeschiedenen ein Todtenopfer. Dahin, dahin waren sie Alle, nur er sonnte sich noch am lieblichen Strahle des Daseins. Aus dem Leben waren sie geflohen, hatten ihn treulos

der französischen Sprache ist es fremd, nun aber war das deutsche Sie Sophien nicht minder fremd und unbegreiflich, und das Ihr klang ihr im Deutschen so seltsam, daß sie bei sich beschloß, in dem Briefe, der ihre erste Uebung im deutschen Styl werden sollte, das Du zu brauchen, selbst auf die Gefahr hin, daß es so kindlich klinge, als wenn ein Kind sein erstes Gebet stammelt.

So entstand jener noch vorhandene und in Hildburghausen wohlbekannte Brief, der so manche falsche Auslegung fand, der so Viele glauben machte, er sei, weil nicht nach den Regeln der großen deutschen Sprachschulmeister Campe, Adelung und Heinsius stylisirt und geschrieben, nur ein Zeugniß von Mangel an Bildung oder von ganz untergeordneter Stellung jener Persönlichkeit, die das Räthsel ihrer Existenz mit so dichten Schleierhüllen umwob.

Und dabei bleibt es immer noch eine große Frage, ob jener Brief nicht Abschrift einer fremden, der Orthographie unkundigen Hand war. — Du! klang es in Sophiens Seele zu Ludwig, wie es längst in der seinen geklungen; Du! hallte diesen trauten Klang das jungfräulich erbebende Herz nach, da es sich gedrungen fühlte, dem edlen Mann mehr zu sein als Pflegbefohlene, mehr als Tochter.

Als der Graf an diesem 22. September früh nach seiner Gewohnheit das Lager verlassen und aus seinem Schlafkabinet in sein Wohnzimmer trat, lag auf einem geschmückten Tisch ein frischer Kranz, und neben diesem eine schöne Stickerei, ein Sophakissen im Geschmacke jener Zeit, erhabene Blumen von geschorener Seide. Diese Blumen waren Lilien, drei an der Zahl, auf einem himmelblauen Felde, und neben diesen drei zarten Lilien, welche mit täuschender Kunst die Natur nachahmten, stand von Silberlahn gefertigt, ein Anker. Zwischen diesem Kunstwerk und dem Kranze lag ein Brief, ohne Aufschrift, gesiegelt mit einem Petschaft, dessen Abdruck in einem kleinen ovalen Schildchen unter einer Königskrone drei Wappenlilien zeigte.

Bewegt nahte Ludwig diesen freundlichen Gaben einer so unendlich theuern Hand; sein Geburtstag, an den sie ihn sogleich erinnerten, war ihm wichtig geworden, seit er Leonardus kennen gelernt hatte. Er brachte still seinen Dahingeschiedenen ein Todtenopfer. Dahin, dahin waren sie Alle, nur er sonnte sich noch am lieblichen Strahle des Daseins. Aus dem Leben waren sie geflohen, hatten ihn treulos

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der französischen Sprache ist es fremd, nun aber war das deutsche Sie Sophien nicht minder fremd und unbegreiflich, und das Ihr klang ihr im Deutschen so seltsam, daß sie bei sich beschloß, in dem Briefe, der ihre erste Uebung im deutschen Styl werden sollte, das Du zu brauchen, selbst auf die Gefahr hin, daß es so kindlich klinge, als wenn ein Kind sein erstes Gebet stammelt.</p>
          <p>So entstand jener noch vorhandene und in Hildburghausen wohlbekannte Brief, der so manche falsche Auslegung fand, der so Viele glauben machte, er sei, weil nicht nach den Regeln der großen deutschen Sprachschulmeister Campe, Adelung und Heinsius stylisirt und geschrieben, nur ein Zeugniß von Mangel an Bildung oder von ganz untergeordneter Stellung jener Persönlichkeit, die das Räthsel ihrer Existenz mit so dichten Schleierhüllen umwob.</p>
          <p>Und dabei bleibt es immer noch eine große Frage, ob jener Brief nicht Abschrift einer fremden, der Orthographie unkundigen Hand war. &#x2014; Du! klang es in Sophiens Seele zu Ludwig, wie es längst in der seinen geklungen; Du! hallte diesen trauten Klang das jungfräulich erbebende Herz nach, da es sich gedrungen fühlte, dem edlen Mann mehr zu sein als Pflegbefohlene, mehr als Tochter.</p>
          <p>Als der Graf an diesem 22. September früh nach seiner Gewohnheit das Lager verlassen und aus seinem Schlafkabinet in sein Wohnzimmer trat, lag auf einem geschmückten Tisch ein frischer Kranz, und neben diesem eine schöne Stickerei, ein Sophakissen im Geschmacke jener Zeit, erhabene Blumen von geschorener Seide. Diese Blumen waren Lilien, drei an der Zahl, auf einem himmelblauen Felde, und neben diesen drei zarten Lilien, welche mit täuschender Kunst die Natur nachahmten, stand von Silberlahn gefertigt, ein Anker. Zwischen diesem Kunstwerk und dem Kranze lag ein Brief, ohne Aufschrift, gesiegelt mit einem Petschaft, dessen Abdruck in einem kleinen ovalen Schildchen unter einer Königskrone drei Wappenlilien zeigte.</p>
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[419/0423] der französischen Sprache ist es fremd, nun aber war das deutsche Sie Sophien nicht minder fremd und unbegreiflich, und das Ihr klang ihr im Deutschen so seltsam, daß sie bei sich beschloß, in dem Briefe, der ihre erste Uebung im deutschen Styl werden sollte, das Du zu brauchen, selbst auf die Gefahr hin, daß es so kindlich klinge, als wenn ein Kind sein erstes Gebet stammelt. So entstand jener noch vorhandene und in Hildburghausen wohlbekannte Brief, der so manche falsche Auslegung fand, der so Viele glauben machte, er sei, weil nicht nach den Regeln der großen deutschen Sprachschulmeister Campe, Adelung und Heinsius stylisirt und geschrieben, nur ein Zeugniß von Mangel an Bildung oder von ganz untergeordneter Stellung jener Persönlichkeit, die das Räthsel ihrer Existenz mit so dichten Schleierhüllen umwob. Und dabei bleibt es immer noch eine große Frage, ob jener Brief nicht Abschrift einer fremden, der Orthographie unkundigen Hand war. — Du! klang es in Sophiens Seele zu Ludwig, wie es längst in der seinen geklungen; Du! hallte diesen trauten Klang das jungfräulich erbebende Herz nach, da es sich gedrungen fühlte, dem edlen Mann mehr zu sein als Pflegbefohlene, mehr als Tochter. Als der Graf an diesem 22. September früh nach seiner Gewohnheit das Lager verlassen und aus seinem Schlafkabinet in sein Wohnzimmer trat, lag auf einem geschmückten Tisch ein frischer Kranz, und neben diesem eine schöne Stickerei, ein Sophakissen im Geschmacke jener Zeit, erhabene Blumen von geschorener Seide. Diese Blumen waren Lilien, drei an der Zahl, auf einem himmelblauen Felde, und neben diesen drei zarten Lilien, welche mit täuschender Kunst die Natur nachahmten, stand von Silberlahn gefertigt, ein Anker. Zwischen diesem Kunstwerk und dem Kranze lag ein Brief, ohne Aufschrift, gesiegelt mit einem Petschaft, dessen Abdruck in einem kleinen ovalen Schildchen unter einer Königskrone drei Wappenlilien zeigte. Bewegt nahte Ludwig diesen freundlichen Gaben einer so unendlich theuern Hand; sein Geburtstag, an den sie ihn sogleich erinnerten, war ihm wichtig geworden, seit er Leonardus kennen gelernt hatte. Er brachte still seinen Dahingeschiedenen ein Todtenopfer. Dahin, dahin waren sie Alle, nur er sonnte sich noch am lieblichen Strahle des Daseins. Aus dem Leben waren sie geflohen, hatten ihn treulos

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/423>, abgerufen am 29.03.2024.