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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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das kleine Flüßchen, welches sich in einiger Entfernung theilt, um theils nordwärts als Made, auf längerem Wege beim Rustringer oder Knipenser Siel, theils auf kürzerem ohne weitere Benennung beim Marien-Siel in den Jahdebusen zu rinnen. Ludwig konnte genau die verhängnißvolle Stelle an der Made erkennen, einige alte Weiden machten sie ihm kennbar, wo ihm am gestrigen Nachmittag so unerwartetes und unverhofftes Glück begegnet war. Ein Glück, welches nur ein Traum war -- ach ein kurzer, schöner und schmerzlicher Traum.

Lebhaft traten an diesem Orte, auf dieser Thurmzinne, Bilder der Vergangenheit vor die Seele des Jünglings: der Großmutter ehrwürdige Gestalt hatte in stillen Stunden in ihrem Arbeitszimmer, wenn er bei ihr saß und für sie thätig war, ihm diese Vergangenheit entrollt in überreicher Fülle, und doch barg sich noch so manches Geheimniß unter den Farbentönen; manche dieser Bilder waren blos oberflächlich übermalt mit dem trockenen Tone der alltäglichen Geschichte, wie die Lehrbücher sie enthalten; das reiche farbenglühende Gemälde darunter konnte ja dem Knaben noch nicht aufgedeckt werden. So war es der Fall mit diesem einstigen Schlosse, mit diesem Thurme. Der letzte Abkömmling in weiblicher Linie von Theodorich dem Glücklichen, Grafen zu Oldenburg, jene Maria, hatte als Erbtheil die reiche Herrschaft Jever besessen. Sie erreichte ein hohes Alter, ohne sich zu vermählen, und erbaute an dieser Stelle das herrliche Schloß, nachdem sie im Jahre 1532 von Kaiser Carl V. als Herzog von Brabant und Burgund die Herrschaft in Lehn genommen. Eigen und wunderbar war ihr Walten; sie war eine Mutter des Landes und allgeliebt, und noch heute lebt ihr Wirken und ihr Name im Lande dankbar gesegnet fort und der Marienthurm selbst wird noch in hohen Ehren gehalten; der von ihr angelegte Siel führt noch ihren Namen.

Viele ihrer Verwandten hofften, alle mit gleicher Berechtigung, auf ihr Erbe, aber starr, wie die alte Reichsgräfin, gab es Maria dem, dem sie die Fülle ihrer gnadenreichen Gunst zugelenkt, Johann dem Sechzehnten, Grafen zu Oldenburg, indem sie ihm ausschließlich die Herrschaft vererbte.

Vergleiche zwischen dem Einst und dem Jetzt lagen dem über die Vergangenheit sinnenden Ludwig nahe genug. Kaum hatte die alte Ahnherrin

das kleine Flüßchen, welches sich in einiger Entfernung theilt, um theils nordwärts als Made, auf längerem Wege beim Rustringer oder Knipenser Siel, theils auf kürzerem ohne weitere Benennung beim Marien-Siel in den Jahdebusen zu rinnen. Ludwig konnte genau die verhängnißvolle Stelle an der Made erkennen, einige alte Weiden machten sie ihm kennbar, wo ihm am gestrigen Nachmittag so unerwartetes und unverhofftes Glück begegnet war. Ein Glück, welches nur ein Traum war — ach ein kurzer, schöner und schmerzlicher Traum.

Lebhaft traten an diesem Orte, auf dieser Thurmzinne, Bilder der Vergangenheit vor die Seele des Jünglings: der Großmutter ehrwürdige Gestalt hatte in stillen Stunden in ihrem Arbeitszimmer, wenn er bei ihr saß und für sie thätig war, ihm diese Vergangenheit entrollt in überreicher Fülle, und doch barg sich noch so manches Geheimniß unter den Farbentönen; manche dieser Bilder waren blos oberflächlich übermalt mit dem trockenen Tone der alltäglichen Geschichte, wie die Lehrbücher sie enthalten; das reiche farbenglühende Gemälde darunter konnte ja dem Knaben noch nicht aufgedeckt werden. So war es der Fall mit diesem einstigen Schlosse, mit diesem Thurme. Der letzte Abkömmling in weiblicher Linie von Theodorich dem Glücklichen, Grafen zu Oldenburg, jene Maria, hatte als Erbtheil die reiche Herrschaft Jever besessen. Sie erreichte ein hohes Alter, ohne sich zu vermählen, und erbaute an dieser Stelle das herrliche Schloß, nachdem sie im Jahre 1532 von Kaiser Carl V. als Herzog von Brabant und Burgund die Herrschaft in Lehn genommen. Eigen und wunderbar war ihr Walten; sie war eine Mutter des Landes und allgeliebt, und noch heute lebt ihr Wirken und ihr Name im Lande dankbar gesegnet fort und der Marienthurm selbst wird noch in hohen Ehren gehalten; der von ihr angelegte Siel führt noch ihren Namen.

Viele ihrer Verwandten hofften, alle mit gleicher Berechtigung, auf ihr Erbe, aber starr, wie die alte Reichsgräfin, gab es Maria dem, dem sie die Fülle ihrer gnadenreichen Gunst zugelenkt, Johann dem Sechzehnten, Grafen zu Oldenburg, indem sie ihm ausschließlich die Herrschaft vererbte.

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[69/0073] das kleine Flüßchen, welches sich in einiger Entfernung theilt, um theils nordwärts als Made, auf längerem Wege beim Rustringer oder Knipenser Siel, theils auf kürzerem ohne weitere Benennung beim Marien-Siel in den Jahdebusen zu rinnen. Ludwig konnte genau die verhängnißvolle Stelle an der Made erkennen, einige alte Weiden machten sie ihm kennbar, wo ihm am gestrigen Nachmittag so unerwartetes und unverhofftes Glück begegnet war. Ein Glück, welches nur ein Traum war — ach ein kurzer, schöner und schmerzlicher Traum. Lebhaft traten an diesem Orte, auf dieser Thurmzinne, Bilder der Vergangenheit vor die Seele des Jünglings: der Großmutter ehrwürdige Gestalt hatte in stillen Stunden in ihrem Arbeitszimmer, wenn er bei ihr saß und für sie thätig war, ihm diese Vergangenheit entrollt in überreicher Fülle, und doch barg sich noch so manches Geheimniß unter den Farbentönen; manche dieser Bilder waren blos oberflächlich übermalt mit dem trockenen Tone der alltäglichen Geschichte, wie die Lehrbücher sie enthalten; das reiche farbenglühende Gemälde darunter konnte ja dem Knaben noch nicht aufgedeckt werden. So war es der Fall mit diesem einstigen Schlosse, mit diesem Thurme. Der letzte Abkömmling in weiblicher Linie von Theodorich dem Glücklichen, Grafen zu Oldenburg, jene Maria, hatte als Erbtheil die reiche Herrschaft Jever besessen. Sie erreichte ein hohes Alter, ohne sich zu vermählen, und erbaute an dieser Stelle das herrliche Schloß, nachdem sie im Jahre 1532 von Kaiser Carl V. als Herzog von Brabant und Burgund die Herrschaft in Lehn genommen. Eigen und wunderbar war ihr Walten; sie war eine Mutter des Landes und allgeliebt, und noch heute lebt ihr Wirken und ihr Name im Lande dankbar gesegnet fort und der Marienthurm selbst wird noch in hohen Ehren gehalten; der von ihr angelegte Siel führt noch ihren Namen. Viele ihrer Verwandten hofften, alle mit gleicher Berechtigung, auf ihr Erbe, aber starr, wie die alte Reichsgräfin, gab es Maria dem, dem sie die Fülle ihrer gnadenreichen Gunst zugelenkt, Johann dem Sechzehnten, Grafen zu Oldenburg, indem sie ihm ausschließlich die Herrschaft vererbte. Vergleiche zwischen dem Einst und dem Jetzt lagen dem über die Vergangenheit sinnenden Ludwig nahe genug. Kaum hatte die alte Ahnherrin

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/73>, abgerufen am 28.03.2024.