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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Drahtzieher.
In alten Zeiten hatte man den Draht, dessen sich schon die ältesten
bekannten Völker bedienten, einfach auf den Amboss mit Handhämmern
geschmiedet. Sehr dünner Draht, wie namentlich auch der feine Gold-
draht, wurde in der frühesten Zeit aus Blechen geschnitten und ge-
ründet. So heisst es z. B. II. Mosis 39, 2: "Er schlug das Gold und
schnitt es in Fäden, dass man es künstlich wirken konnte unter Seide".
Als Vulkan das künstliche Netz um Ares und Aphrodite zu schlingen
gedachte, ging er zu seiner Esse, nahm Amboss und Hammer und
schmiedete das Netz fein wie Spinnweb 1). Ebenso wendete man im
9. und 10. Jahrhundert das Schmieden des Drahtes an und man nannte
die betreffenden Arbeiter stets Drahtschmiede, während man sie später
nach der Erfindung der Ziehscheibe Drahtzieher oder Drahtmüller
nannte.

Die künstlichen Drahtzüge, die mit Hilfe eines Wasserrades be-
trieben wurden, kamen erst im 14. Jahrhundert auf. Die Erfindung
der Ziehscheibe war diesen komplizierten Drahtmühlen längst voraus-
gegangen. Noch im vorigen Jahrhundert wurde in einigen Gegenden
Deutschlands, Frankreichs und Schwedens Eisendraht ohne Maschinen
und Wasserkraft bloss mit der Hand gezogen, und da man hierzu stets
das weiche Osmundeisen suchte, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass
diese Art Drahtzieherei ihre Heimat und Ursprung in den Gegenden
hat, wo das Osmundeisen am frühesten zur Drahtfabrikation verwendet
wurde, nämlich in Westfalen, wo ja in Iserlohn "die uralte und ehr-
würdige Panzerzunft" zu Hause war.

Die Bauern, denn diese betrieben dies Handwerk nebenher, hatten
keine anderen Werkzeuge als eine Ziehscheibe mit konischen Zieh-
öffnungen von gemeinem Stahl, eine Zange, einen kleinen Hammer
und eine ordinäre Feile. Um die Mitte des Körpers war ein Gürtel
von starkem Leder geschlungen, an dem die gezahnte Zange befestigt
war, deren Schenkel in einem an den Gürtel festgehakten Ring ein-
geschlossen sind. Der Arbeiter sass auf einer Art von Schaukel oder
auf einem Brett, dessen eines Ende an einer in der Wand befestigten
Öse beweglich war und in der Mitte an einer, unter dem Dache be-
festigten Kette hing.

Wenn der Drahtzain mit Hammer und Feile gehörig zugespitzt
und durch ein Loch der auf einer festen Bank stehenden Ziehscheibe
durchgesteckt ist, fasst der Zieher das durchgesteckte, spitzige Ende
mit der Zange, stemmt die Füsse gegen die Bank und wirft den Körper

1) Homer, Odyss. VIII, 273 bis 278.

Drahtzieher.
In alten Zeiten hatte man den Draht, dessen sich schon die ältesten
bekannten Völker bedienten, einfach auf den Amboſs mit Handhämmern
geschmiedet. Sehr dünner Draht, wie namentlich auch der feine Gold-
draht, wurde in der frühesten Zeit aus Blechen geschnitten und ge-
ründet. So heiſst es z. B. II. Mosis 39, 2: „Er schlug das Gold und
schnitt es in Fäden, daſs man es künstlich wirken konnte unter Seide“.
Als Vulkan das künstliche Netz um Ares und Aphrodite zu schlingen
gedachte, ging er zu seiner Esse, nahm Amboſs und Hammer und
schmiedete das Netz fein wie Spinnweb 1). Ebenso wendete man im
9. und 10. Jahrhundert das Schmieden des Drahtes an und man nannte
die betreffenden Arbeiter stets Drahtschmiede, während man sie später
nach der Erfindung der Ziehscheibe Drahtzieher oder Drahtmüller
nannte.

Die künstlichen Drahtzüge, die mit Hilfe eines Wasserrades be-
trieben wurden, kamen erst im 14. Jahrhundert auf. Die Erfindung
der Ziehscheibe war diesen komplizierten Drahtmühlen längst voraus-
gegangen. Noch im vorigen Jahrhundert wurde in einigen Gegenden
Deutschlands, Frankreichs und Schwedens Eisendraht ohne Maschinen
und Wasserkraft bloſs mit der Hand gezogen, und da man hierzu stets
das weiche Osmundeisen suchte, so ist es nicht unwahrscheinlich, daſs
diese Art Drahtzieherei ihre Heimat und Ursprung in den Gegenden
hat, wo das Osmundeisen am frühesten zur Drahtfabrikation verwendet
wurde, nämlich in Westfalen, wo ja in Iserlohn „die uralte und ehr-
würdige Panzerzunft“ zu Hause war.

Die Bauern, denn diese betrieben dies Handwerk nebenher, hatten
keine anderen Werkzeuge als eine Ziehscheibe mit konischen Zieh-
öffnungen von gemeinem Stahl, eine Zange, einen kleinen Hammer
und eine ordinäre Feile. Um die Mitte des Körpers war ein Gürtel
von starkem Leder geschlungen, an dem die gezahnte Zange befestigt
war, deren Schenkel in einem an den Gürtel festgehakten Ring ein-
geschlossen sind. Der Arbeiter saſs auf einer Art von Schaukel oder
auf einem Brett, dessen eines Ende an einer in der Wand befestigten
Öse beweglich war und in der Mitte an einer, unter dem Dache be-
festigten Kette hing.

Wenn der Drahtzain mit Hammer und Feile gehörig zugespitzt
und durch ein Loch der auf einer festen Bank stehenden Ziehscheibe
durchgesteckt ist, faſst der Zieher das durchgesteckte, spitzige Ende
mit der Zange, stemmt die Füſse gegen die Bank und wirft den Körper

1) Homer, Odyss. VIII, 273 bis 278.
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[888/0910] Drahtzieher. In alten Zeiten hatte man den Draht, dessen sich schon die ältesten bekannten Völker bedienten, einfach auf den Amboſs mit Handhämmern geschmiedet. Sehr dünner Draht, wie namentlich auch der feine Gold- draht, wurde in der frühesten Zeit aus Blechen geschnitten und ge- ründet. So heiſst es z. B. II. Mosis 39, 2: „Er schlug das Gold und schnitt es in Fäden, daſs man es künstlich wirken konnte unter Seide“. Als Vulkan das künstliche Netz um Ares und Aphrodite zu schlingen gedachte, ging er zu seiner Esse, nahm Amboſs und Hammer und schmiedete das Netz fein wie Spinnweb 1). Ebenso wendete man im 9. und 10. Jahrhundert das Schmieden des Drahtes an und man nannte die betreffenden Arbeiter stets Drahtschmiede, während man sie später nach der Erfindung der Ziehscheibe Drahtzieher oder Drahtmüller nannte. Die künstlichen Drahtzüge, die mit Hilfe eines Wasserrades be- trieben wurden, kamen erst im 14. Jahrhundert auf. Die Erfindung der Ziehscheibe war diesen komplizierten Drahtmühlen längst voraus- gegangen. Noch im vorigen Jahrhundert wurde in einigen Gegenden Deutschlands, Frankreichs und Schwedens Eisendraht ohne Maschinen und Wasserkraft bloſs mit der Hand gezogen, und da man hierzu stets das weiche Osmundeisen suchte, so ist es nicht unwahrscheinlich, daſs diese Art Drahtzieherei ihre Heimat und Ursprung in den Gegenden hat, wo das Osmundeisen am frühesten zur Drahtfabrikation verwendet wurde, nämlich in Westfalen, wo ja in Iserlohn „die uralte und ehr- würdige Panzerzunft“ zu Hause war. Die Bauern, denn diese betrieben dies Handwerk nebenher, hatten keine anderen Werkzeuge als eine Ziehscheibe mit konischen Zieh- öffnungen von gemeinem Stahl, eine Zange, einen kleinen Hammer und eine ordinäre Feile. Um die Mitte des Körpers war ein Gürtel von starkem Leder geschlungen, an dem die gezahnte Zange befestigt war, deren Schenkel in einem an den Gürtel festgehakten Ring ein- geschlossen sind. Der Arbeiter saſs auf einer Art von Schaukel oder auf einem Brett, dessen eines Ende an einer in der Wand befestigten Öse beweglich war und in der Mitte an einer, unter dem Dache be- festigten Kette hing. Wenn der Drahtzain mit Hammer und Feile gehörig zugespitzt und durch ein Loch der auf einer festen Bank stehenden Ziehscheibe durchgesteckt ist, faſst der Zieher das durchgesteckte, spitzige Ende mit der Zange, stemmt die Füſse gegen die Bank und wirft den Körper 1) Homer, Odyss. VIII, 273 bis 278.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 888. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/910>, abgerufen am 29.03.2024.