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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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DIE
EISENHÜTTENKUNDE
IM
SECHSZEHNTEN JAHRHUNDERT.


Einleitung.

Eine neue Zeit begann um das Jahr 1500. Eine gewaltige Be-
wegung hatte alle Geister in Europa ergriffen. Es vollzog sich ein
Gärungsprozess, in dem das Alte in nichts zu verschwinden schien
vor dem Neuen.

Auf allen Gebieten machte sich ein revolutionäres Streben fühl-
bar. Der künstliche Bau der scholastischen Weltweisheit, auf theo-
logischer Grundlage errichtet, stürzte in Trümmern vor dem frischen
Hauch des Humanismus und vor der überzeugenden Kraft der Natur-
wissenschaft. Himmel und Erde schienen sich zu verändern. Der
alte Himmel war nicht mehr das über den Erdkreis gespannte Ge-
wölbe, an dem Sonne, Mond und Sterne sich in täglichem Laufe um
die ruhende Erdscheibe bewegten; der neue Himmel erweiterte sich
zum unendlichen Raume, in dem Welten ihre gesetzmässigen Bahnen
wanderten und deren Mittelpunkt -- schon ahnte man dies und bald
bewies es der gelehrte Kanonikus von Frauenburg, Nikolaus Koper-
nikus
-- die Erde nicht war. Auch die alte Erde war nicht mehr
dieselbe. Hatte doch der kühne Genuese Christoph Kolumbus
im festen Glauben, dass die Erde nicht die Scheibe sei, auf deren
abgekehrter Seite sich die Hölle befinde, wie sie sein grosser Lands-
mann Dante in der "göttlichen Komödie" so ergreifend geschildert
hatte, sondern dass sie Kugelgestalt habe, es gewagt, seinem Glauben
und seinem Kompass vertrauend, nach Westen in den unbekannten,
unendlichen Ozean hinauszusteuern mit dem kühnen Entschluss, die
Erdkugel zu umfahren, um einen kürzeren Weg nach dem Goldlande
Indien zu finden. Glänzender Erfolg hatte sein kühnes Unternehmen

Beck, Geschichte des Eisens. 1
DIE
EISENHÜTTENKUNDE
IM
SECHSZEHNTEN JAHRHUNDERT.


Einleitung.

Eine neue Zeit begann um das Jahr 1500. Eine gewaltige Be-
wegung hatte alle Geister in Europa ergriffen. Es vollzog sich ein
Gärungsprozeſs, in dem das Alte in nichts zu verschwinden schien
vor dem Neuen.

Auf allen Gebieten machte sich ein revolutionäres Streben fühl-
bar. Der künstliche Bau der scholastischen Weltweisheit, auf theo-
logischer Grundlage errichtet, stürzte in Trümmern vor dem frischen
Hauch des Humanismus und vor der überzeugenden Kraft der Natur-
wissenschaft. Himmel und Erde schienen sich zu verändern. Der
alte Himmel war nicht mehr das über den Erdkreis gespannte Ge-
wölbe, an dem Sonne, Mond und Sterne sich in täglichem Laufe um
die ruhende Erdscheibe bewegten; der neue Himmel erweiterte sich
zum unendlichen Raume, in dem Welten ihre gesetzmäſsigen Bahnen
wanderten und deren Mittelpunkt — schon ahnte man dies und bald
bewies es der gelehrte Kanonikus von Frauenburg, Nikolaus Koper-
nikus
— die Erde nicht war. Auch die alte Erde war nicht mehr
dieselbe. Hatte doch der kühne Genuese Christoph Kolumbus
im festen Glauben, daſs die Erde nicht die Scheibe sei, auf deren
abgekehrter Seite sich die Hölle befinde, wie sie sein groſser Lands-
mann Dante in der „göttlichen Komödie“ so ergreifend geschildert
hatte, sondern daſs sie Kugelgestalt habe, es gewagt, seinem Glauben
und seinem Kompaſs vertrauend, nach Westen in den unbekannten,
unendlichen Ozean hinauszusteuern mit dem kühnen Entschluſs, die
Erdkugel zu umfahren, um einen kürzeren Weg nach dem Goldlande
Indien zu finden. Glänzender Erfolg hatte sein kühnes Unternehmen

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/21>, abgerufen am 28.03.2024.