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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Physik und Mechanik im 17. Jahrhundert.
deren Fortbewegung er auf eine Umdrehung der Sonne schloss. Durch
diese Beobachtungen wurde er immer mehr von der Richtigkeit des
von der Kirche verdammten kopernikanischen Sonnensystems über-
zeugt und trat für dasselbe ein. Dadurch zog er sich die Feindschaft
des fanatischen Klerus, der ihn von da ab mit unversöhnlichem Hass
verfolgte und sein Leben verbitterte, zu. Um sich vor dem Flammentod
durch die Inquisition, vor die er geladen war, zu retten, widerrief er zwar
seine astronomischen Lehren, arbeitete aber unverdrossen an den-
selben weiter und trug immer neue Bausteine zu diesem Fundament-
bau der modernen Astronomie zusammen. Wenn das berühmte
"E pur si muove!", das er nach dem von ihm erzwungenen Schwur,
dass die Erde still stehe und sich nicht um die Sonne drehe, ge-
murmelt haben soll, wohl nur Legende ist, so ist sie doch eine der
aus dem Instinkt des Volksgeistes herausgebildeten Legenden, welche
das Verhältnis der Naturwahrheiten zu dem Zwang theologischer
Unduldsamkeit mit einem Schlagwort ausdrücken.

Mit Galilei gleichzeitig lebte, wirkte und duldete in Deutsch-
land Johann Kepler, der das kopernikanische Weltsystem ver-
besserte und mathematisch begründete. Auch er wurde von der
katholischen Geistlichkeit deshalb verfolgt und hatte überdies die
Schrecken des dreissigjährigen Krieges bis zur Hefe durchzukosten.

Was Galilei und andere auf dem Gebiete der Physik praktisch
ausgeübt, das fasste um dieselbe Zeit der Engländer Bacon von
Verulam
in die Form eines philosophischen Prinzips, welches er in
seinem "Organon" ausführte. Nach ihm sind Experiment, Beobachtung
und Erfahrung die einzigen Wege zur Wahrheit.

Wieder ein Italiener, Toricelli, war es, welcher die Lehre vom
Luftdruck begründete. Bis dahin hatte man die Erscheinungen des
Luftdrucks durch den horror vacui erklärt. Toricelli wies durch
das von ihm entdeckte Quecksilberbarometer (toricellische Röhre)
nach, dass die Luft ein Gewicht habe und die Lufthülle der Erde
auf diese und alle darauf befindlichen Körper einen gewissen Druck
ausübe. Die Folge dieser Erkenntnis war die Erfindung der Luft-
pumpe durch Otto von Guericke, Bürgermeister von Magdeburg,
welcher durch seine aus zwei Hälften zusammengesetzte Kugel, die,
nachdem sie luftleer gemacht war, zweimal sechzehn Pferde nicht
auseinander ziehen konnten, den glänzenden Beweis für den Druck
der atmosphärischen Luft lieferte. Mariotte erweiterte die Er-
kenntnis des Luftdrucks durch sein Gesetz über das Verhältnis des
Druckes zur Dichtigkeit.


Physik und Mechanik im 17. Jahrhundert.
deren Fortbewegung er auf eine Umdrehung der Sonne schloſs. Durch
diese Beobachtungen wurde er immer mehr von der Richtigkeit des
von der Kirche verdammten kopernikanischen Sonnensystems über-
zeugt und trat für dasſelbe ein. Dadurch zog er sich die Feindschaft
des fanatischen Klerus, der ihn von da ab mit unversöhnlichem Haſs
verfolgte und sein Leben verbitterte, zu. Um sich vor dem Flammentod
durch die Inquisition, vor die er geladen war, zu retten, widerrief er zwar
seine astronomischen Lehren, arbeitete aber unverdrossen an den-
selben weiter und trug immer neue Bausteine zu diesem Fundament-
bau der modernen Astronomie zusammen. Wenn das berühmte
„E pur si muove!“, das er nach dem von ihm erzwungenen Schwur,
daſs die Erde still stehe und sich nicht um die Sonne drehe, ge-
murmelt haben soll, wohl nur Legende ist, so ist sie doch eine der
aus dem Instinkt des Volksgeistes herausgebildeten Legenden, welche
das Verhältnis der Naturwahrheiten zu dem Zwang theologischer
Unduldsamkeit mit einem Schlagwort ausdrücken.

Mit Galilei gleichzeitig lebte, wirkte und duldete in Deutsch-
land Johann Kepler, der das kopernikanische Weltsystem ver-
besserte und mathematisch begründete. Auch er wurde von der
katholischen Geistlichkeit deshalb verfolgt und hatte überdies die
Schrecken des dreiſsigjährigen Krieges bis zur Hefe durchzukosten.

Was Galilei und andere auf dem Gebiete der Physik praktisch
ausgeübt, das faſste um dieselbe Zeit der Engländer Bacon von
Verulam
in die Form eines philosophischen Prinzips, welches er in
seinem „Organon“ ausführte. Nach ihm sind Experiment, Beobachtung
und Erfahrung die einzigen Wege zur Wahrheit.

Wieder ein Italiener, Toricelli, war es, welcher die Lehre vom
Luftdruck begründete. Bis dahin hatte man die Erscheinungen des
Luftdrucks durch den horror vacui erklärt. Toricelli wies durch
das von ihm entdeckte Quecksilberbarometer (toricellische Röhre)
nach, daſs die Luft ein Gewicht habe und die Lufthülle der Erde
auf diese und alle darauf befindlichen Körper einen gewissen Druck
ausübe. Die Folge dieser Erkenntnis war die Erfindung der Luft-
pumpe durch Otto von Guericke, Bürgermeister von Magdeburg,
welcher durch seine aus zwei Hälften zusammengesetzte Kugel, die,
nachdem sie luftleer gemacht war, zweimal sechzehn Pferde nicht
auseinander ziehen konnten, den glänzenden Beweis für den Druck
der atmosphärischen Luft lieferte. Mariotte erweiterte die Er-
kenntnis des Luftdrucks durch sein Gesetz über das Verhältnis des
Druckes zur Dichtigkeit.


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[916/0938] Physik und Mechanik im 17. Jahrhundert. deren Fortbewegung er auf eine Umdrehung der Sonne schloſs. Durch diese Beobachtungen wurde er immer mehr von der Richtigkeit des von der Kirche verdammten kopernikanischen Sonnensystems über- zeugt und trat für dasſelbe ein. Dadurch zog er sich die Feindschaft des fanatischen Klerus, der ihn von da ab mit unversöhnlichem Haſs verfolgte und sein Leben verbitterte, zu. Um sich vor dem Flammentod durch die Inquisition, vor die er geladen war, zu retten, widerrief er zwar seine astronomischen Lehren, arbeitete aber unverdrossen an den- selben weiter und trug immer neue Bausteine zu diesem Fundament- bau der modernen Astronomie zusammen. Wenn das berühmte „E pur si muove!“, das er nach dem von ihm erzwungenen Schwur, daſs die Erde still stehe und sich nicht um die Sonne drehe, ge- murmelt haben soll, wohl nur Legende ist, so ist sie doch eine der aus dem Instinkt des Volksgeistes herausgebildeten Legenden, welche das Verhältnis der Naturwahrheiten zu dem Zwang theologischer Unduldsamkeit mit einem Schlagwort ausdrücken. Mit Galilei gleichzeitig lebte, wirkte und duldete in Deutsch- land Johann Kepler, der das kopernikanische Weltsystem ver- besserte und mathematisch begründete. Auch er wurde von der katholischen Geistlichkeit deshalb verfolgt und hatte überdies die Schrecken des dreiſsigjährigen Krieges bis zur Hefe durchzukosten. Was Galilei und andere auf dem Gebiete der Physik praktisch ausgeübt, das faſste um dieselbe Zeit der Engländer Bacon von Verulam in die Form eines philosophischen Prinzips, welches er in seinem „Organon“ ausführte. Nach ihm sind Experiment, Beobachtung und Erfahrung die einzigen Wege zur Wahrheit. Wieder ein Italiener, Toricelli, war es, welcher die Lehre vom Luftdruck begründete. Bis dahin hatte man die Erscheinungen des Luftdrucks durch den horror vacui erklärt. Toricelli wies durch das von ihm entdeckte Quecksilberbarometer (toricellische Röhre) nach, daſs die Luft ein Gewicht habe und die Lufthülle der Erde auf diese und alle darauf befindlichen Körper einen gewissen Druck ausübe. Die Folge dieser Erkenntnis war die Erfindung der Luft- pumpe durch Otto von Guericke, Bürgermeister von Magdeburg, welcher durch seine aus zwei Hälften zusammengesetzte Kugel, die, nachdem sie luftleer gemacht war, zweimal sechzehn Pferde nicht auseinander ziehen konnten, den glänzenden Beweis für den Druck der atmosphärischen Luft lieferte. Mariotte erweiterte die Er- kenntnis des Luftdrucks durch sein Gesetz über das Verhältnis des Druckes zur Dichtigkeit.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 916. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/938>, abgerufen am 25.04.2024.