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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897.

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Einleitung.
Metalles ein unbegrenzter. Jede technische Verbesserung in der Her-
stellung desselben, die eine Steigerung der Produktion und eine Ver-
billigung des Eisens zur Folge hat, bewirkt auch eine Steigerung des
Verbrauchs. Die technischen Fortschritte steigern also ebenso den
Verbrauch wie der vermehrte Verbrauch die Fortschritte steigert.
Daher kommt es, dass wir in den einfachen Verhältnissen früherer
Jahrhunderte und wie sie noch in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts vorliegen, das Wachstum der Industrie kaum wahrnehmen,
während dieses Wachstum um so rascher zunimmt, je komplizierter
unsere Industrie wird, je mehr wir uns der Gegenwart nähern.
Dasselbe stellt sich fast wie eine geometrische Progression dar;
jedenfalls erscheint sie uns im letzten Viertel des vorigen Jahr-
hunderts bereits riesengross im Vergleich mit der ersten Hälfte des-
selben.

Die Fortschritte vollzogen sich auf theoretischem und auf prak-
tischem Gebiete. Auf ersterem übernahm zuerst Frankreich die Füh-
rung, und zwar durch den genialen Reaumur, den philosophischen
Metallurgen. Ihm verdankt die Eisenhüttenkunde ihre eigentliche
Begründung, durch ihn erlangte sie erst die Gleichberechtigung, ja
die bevorzugte Stelle in der Metallurgie.

Durch sorgfältige Versuche, in wissenschaftlichem Geiste erdacht,
ausgeführt und erklärt, versuchte Reaumur zuerst Klarheit über die
verschiedenen Zustände des Eisens und deren chemische und physi-
kalische Unterschiede zu verbreiten. Auf derselben Grundlage baute
er seine Erfindungen der Cementstahlbereitung und des schmiedbaren
Gusses auf. Denn als seine Erfindungen dürfen wir diese Prozesse wohl
bezeichnen, wenn auch schon früher daraufbezügliche Versuche gemacht
worden waren, welche aber einen durchaus empirischen Charakter an
sich trugen und in den Schleier des Geheimnisses gehüllt wurden.
Diesen hob Reaumur und beleuchtete in seiner lichtvollen Weise das
Wesen dieser Prozesse, die er dadurch jedem verständlich und zu
einem Gemeingut machte. Dass der praktische Erfolg nicht der er-
hoffte war, dass gerade in Frankreich diese beiden Fabrikationen
nicht den erwarteten Fortgang nahmen, dass Reaumurs eigene Unter-
nehmungen im Grossen verunglückten, beweist nichts gegen den
grossen Werth der theoretischen Grundlage, welche Reaumur ge-
schaffen hat. Aber auch die praktischen Erfolge blieben im Laufe
der Zeit nicht aus, nur zog nicht Frankreich, sondern England den
Nutzen davon. Die Cementstahlfabrikation erlangte schon in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine grosse Bedeutung in England

Einleitung.
Metalles ein unbegrenzter. Jede technische Verbesserung in der Her-
stellung desselben, die eine Steigerung der Produktion und eine Ver-
billigung des Eisens zur Folge hat, bewirkt auch eine Steigerung des
Verbrauchs. Die technischen Fortschritte steigern also ebenso den
Verbrauch wie der vermehrte Verbrauch die Fortschritte steigert.
Daher kommt es, dass wir in den einfachen Verhältnissen früherer
Jahrhunderte und wie sie noch in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts vorliegen, das Wachstum der Industrie kaum wahrnehmen,
während dieses Wachstum um so rascher zunimmt, je komplizierter
unsere Industrie wird, je mehr wir uns der Gegenwart nähern.
Dasselbe stellt sich fast wie eine geometrische Progression dar;
jedenfalls erscheint sie uns im letzten Viertel des vorigen Jahr-
hunderts bereits riesengroſs im Vergleich mit der ersten Hälfte des-
selben.

Die Fortschritte vollzogen sich auf theoretischem und auf prak-
tischem Gebiete. Auf ersterem übernahm zuerst Frankreich die Füh-
rung, und zwar durch den genialen Reaumur, den philosophischen
Metallurgen. Ihm verdankt die Eisenhüttenkunde ihre eigentliche
Begründung, durch ihn erlangte sie erst die Gleichberechtigung, ja
die bevorzugte Stelle in der Metallurgie.

Durch sorgfältige Versuche, in wissenschaftlichem Geiste erdacht,
ausgeführt und erklärt, versuchte Reaumur zuerst Klarheit über die
verschiedenen Zustände des Eisens und deren chemische und physi-
kalische Unterschiede zu verbreiten. Auf derselben Grundlage baute
er seine Erfindungen der Cementstahlbereitung und des schmiedbaren
Gusses auf. Denn als seine Erfindungen dürfen wir diese Prozesse wohl
bezeichnen, wenn auch schon früher daraufbezügliche Versuche gemacht
worden waren, welche aber einen durchaus empirischen Charakter an
sich trugen und in den Schleier des Geheimnisses gehüllt wurden.
Diesen hob Reaumur und beleuchtete in seiner lichtvollen Weise das
Wesen dieser Prozesse, die er dadurch jedem verständlich und zu
einem Gemeingut machte. Daſs der praktische Erfolg nicht der er-
hoffte war, daſs gerade in Frankreich diese beiden Fabrikationen
nicht den erwarteten Fortgang nahmen, daſs Reaumurs eigene Unter-
nehmungen im Groſsen verunglückten, beweist nichts gegen den
groſsen Werth der theoretischen Grundlage, welche Reaumur ge-
schaffen hat. Aber auch die praktischen Erfolge blieben im Laufe
der Zeit nicht aus, nur zog nicht Frankreich, sondern England den
Nutzen davon. Die Cementstahlfabrikation erlangte schon in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine groſse Bedeutung in England

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[6/0020] Einleitung. Metalles ein unbegrenzter. Jede technische Verbesserung in der Her- stellung desselben, die eine Steigerung der Produktion und eine Ver- billigung des Eisens zur Folge hat, bewirkt auch eine Steigerung des Verbrauchs. Die technischen Fortschritte steigern also ebenso den Verbrauch wie der vermehrte Verbrauch die Fortschritte steigert. Daher kommt es, dass wir in den einfachen Verhältnissen früherer Jahrhunderte und wie sie noch in der ersten Hälfte des 18. Jahr- hunderts vorliegen, das Wachstum der Industrie kaum wahrnehmen, während dieses Wachstum um so rascher zunimmt, je komplizierter unsere Industrie wird, je mehr wir uns der Gegenwart nähern. Dasselbe stellt sich fast wie eine geometrische Progression dar; jedenfalls erscheint sie uns im letzten Viertel des vorigen Jahr- hunderts bereits riesengroſs im Vergleich mit der ersten Hälfte des- selben. Die Fortschritte vollzogen sich auf theoretischem und auf prak- tischem Gebiete. Auf ersterem übernahm zuerst Frankreich die Füh- rung, und zwar durch den genialen Reaumur, den philosophischen Metallurgen. Ihm verdankt die Eisenhüttenkunde ihre eigentliche Begründung, durch ihn erlangte sie erst die Gleichberechtigung, ja die bevorzugte Stelle in der Metallurgie. Durch sorgfältige Versuche, in wissenschaftlichem Geiste erdacht, ausgeführt und erklärt, versuchte Reaumur zuerst Klarheit über die verschiedenen Zustände des Eisens und deren chemische und physi- kalische Unterschiede zu verbreiten. Auf derselben Grundlage baute er seine Erfindungen der Cementstahlbereitung und des schmiedbaren Gusses auf. Denn als seine Erfindungen dürfen wir diese Prozesse wohl bezeichnen, wenn auch schon früher daraufbezügliche Versuche gemacht worden waren, welche aber einen durchaus empirischen Charakter an sich trugen und in den Schleier des Geheimnisses gehüllt wurden. Diesen hob Reaumur und beleuchtete in seiner lichtvollen Weise das Wesen dieser Prozesse, die er dadurch jedem verständlich und zu einem Gemeingut machte. Daſs der praktische Erfolg nicht der er- hoffte war, daſs gerade in Frankreich diese beiden Fabrikationen nicht den erwarteten Fortgang nahmen, daſs Reaumurs eigene Unter- nehmungen im Groſsen verunglückten, beweist nichts gegen den groſsen Werth der theoretischen Grundlage, welche Reaumur ge- schaffen hat. Aber auch die praktischen Erfolge blieben im Laufe der Zeit nicht aus, nur zog nicht Frankreich, sondern England den Nutzen davon. Die Cementstahlfabrikation erlangte schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine groſse Bedeutung in England

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/20>, abgerufen am 29.03.2024.