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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903.

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Flammofenstahlschmelzen.
sächlich Bandagen, die an Güte mit den aus Tiegelgussstahl her-
gestellten wetteiferten.

Aus diesen Angaben ersieht man, welche rasche Verbreitung und
welche Wichtigkeit das Martinverfahren in den wenigen Jahren seit
seiner Erfindung erlangt hat.

Waren die Bestrebungen der Gebrüder Martin hauptsächlich
darauf gerichtet gewesen, Flussstahl durch Zusammenschmelzen von
Eisenabfällen mit Roheisen zu erzeugen, so nahm K. W. Siemens von
Anfang an ein besonderes Interesse an der Stahlerzeugung, durch
Zusammenschmelzen von Roheisen mit reinem Eisenerz, dem soge-
nannten Erzstahlprozess. Er veranlasste 1866 und 1867 Rowan
& Co
. in Glasgow, die Barrow Hämatitstahl-Gesellschaft, die Bolton
Stahlgesellschaft, die Nordwest-Eisenbahn- und die Grosse Westbahn-
gesellschaft, den Flammofen-Stahlprozess einzuführen und regte 1867
die Gründung der Steel Company of Scotland zur Ausbeutung dieses
Verfahrens im grössten Massstab an. Er hatte bereits 1866 die Ver-
wendung von Mangan und Ferromangan zur Entphosphorung und
Entschweflung des flüssigen Metalls vorgeschlagen und verwendete
dieselben bei seinen Versuchsschmelzen in den Sample Works zu
Birmingham. Der berühmte Ingenieur Ramsbottom, Direktor der
Crewe-Werke der London- und Nordwestbahn, war wohl der erste, der
den Siemens-Martinprozess dauernd in England einführte (1868), und fast
gleichzeitig begann Howson das Verfahren auf den Newport-Eisen-
werken bei Middlesborough. In demselben Jahre gründete Siemens mit
Dillwyn und anderen die London-Siemensstahl-Gesellschaft zur Aus-
beutung des offenen Herdprozesses, besonders der Erzstahlfabrikation.

Die Anlagekosten für einen Siemens-Martin-Schmelzofen, der
32 Quadratfuss erforderte, betrugen in Frankreich damals nach
Kuppelwiesers Angabe 12000 Mark 1). Die Produktion eines Martin-
ofens, der in 24 Stunden 2 Chargen machte, betrug 3000 bis 5000 kg.
Für gewöhnlichen Stahl nahm man gleiche Mengen Roh- und Stab-
eisen oder Stahl. Der Kalo belief sich auf 6 bis 8 Prozent, mit dem
Abbrand des Schmiedeeisens aber auf 12 bis 13 Prozent. Es war
von grosser Wichtigkeit, die Temperatur zu jeder Zeit regeln zu
können, deshalb empfahl es sich, eine Anzahl von Generatoren zur
Verfügung zu haben.


1) Ausser den schon erwähnten Veröffentlichungen führen wir noch aus jener
Zeit an einen Aufsatz von Vincent Day im Practical Mechanics Journal 1867,
p. 235 (Dingler 187, S. 236), einen von H. Matthias im Genie industriel, Febr.
1868, p. 71; von Gruner, Annales des Mines 1869, t. XVI, p. 281 (Dingler 196,
S. 223).
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Flammofenstahlschmelzen.
sächlich Bandagen, die an Güte mit den aus Tiegelguſsstahl her-
gestellten wetteiferten.

Aus diesen Angaben ersieht man, welche rasche Verbreitung und
welche Wichtigkeit das Martinverfahren in den wenigen Jahren seit
seiner Erfindung erlangt hat.

Waren die Bestrebungen der Gebrüder Martin hauptsächlich
darauf gerichtet gewesen, Fluſsstahl durch Zusammenschmelzen von
Eisenabfällen mit Roheisen zu erzeugen, so nahm K. W. Siemens von
Anfang an ein besonderes Interesse an der Stahlerzeugung, durch
Zusammenschmelzen von Roheisen mit reinem Eisenerz, dem soge-
nannten Erzstahlprozeſs. Er veranlaſste 1866 und 1867 Rowan
& Co
. in Glasgow, die Barrow Hämatitstahl-Gesellschaft, die Bolton
Stahlgesellschaft, die Nordwest-Eisenbahn- und die Groſse Westbahn-
gesellschaft, den Flammofen-Stahlprozeſs einzuführen und regte 1867
die Gründung der Steel Company of Scotland zur Ausbeutung dieses
Verfahrens im gröſsten Maſsstab an. Er hatte bereits 1866 die Ver-
wendung von Mangan und Ferromangan zur Entphosphorung und
Entschweflung des flüssigen Metalls vorgeschlagen und verwendete
dieselben bei seinen Versuchsschmelzen in den Sample Works zu
Birmingham. Der berühmte Ingenieur Ramsbottom, Direktor der
Crewe-Werke der London- und Nordwestbahn, war wohl der erste, der
den Siemens-Martinprozeſs dauernd in England einführte (1868), und fast
gleichzeitig begann Howson das Verfahren auf den Newport-Eisen-
werken bei Middlesborough. In demselben Jahre gründete Siemens mit
Dillwyn und anderen die London-Siemensstahl-Gesellschaft zur Aus-
beutung des offenen Herdprozesses, besonders der Erzstahlfabrikation.

Die Anlagekosten für einen Siemens-Martin-Schmelzofen, der
32 Quadratfuſs erforderte, betrugen in Frankreich damals nach
Kuppelwiesers Angabe 12000 Mark 1). Die Produktion eines Martin-
ofens, der in 24 Stunden 2 Chargen machte, betrug 3000 bis 5000 kg.
Für gewöhnlichen Stahl nahm man gleiche Mengen Roh- und Stab-
eisen oder Stahl. Der Kalo belief sich auf 6 bis 8 Prozent, mit dem
Abbrand des Schmiedeeisens aber auf 12 bis 13 Prozent. Es war
von groſser Wichtigkeit, die Temperatur zu jeder Zeit regeln zu
können, deshalb empfahl es sich, eine Anzahl von Generatoren zur
Verfügung zu haben.


1) Auſser den schon erwähnten Veröffentlichungen führen wir noch aus jener
Zeit an einen Aufsatz von Vincent Day im Practical Mechanics Journal 1867,
p. 235 (Dingler 187, S. 236), einen von H. Matthias im Génie industriel, Febr.
1868, p. 71; von Gruner, Annales des Mines 1869, t. XVI, p. 281 (Dingler 196,
S. 223).
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[179/0195] Flammofenstahlschmelzen. sächlich Bandagen, die an Güte mit den aus Tiegelguſsstahl her- gestellten wetteiferten. Aus diesen Angaben ersieht man, welche rasche Verbreitung und welche Wichtigkeit das Martinverfahren in den wenigen Jahren seit seiner Erfindung erlangt hat. Waren die Bestrebungen der Gebrüder Martin hauptsächlich darauf gerichtet gewesen, Fluſsstahl durch Zusammenschmelzen von Eisenabfällen mit Roheisen zu erzeugen, so nahm K. W. Siemens von Anfang an ein besonderes Interesse an der Stahlerzeugung, durch Zusammenschmelzen von Roheisen mit reinem Eisenerz, dem soge- nannten Erzstahlprozeſs. Er veranlaſste 1866 und 1867 Rowan & Co. in Glasgow, die Barrow Hämatitstahl-Gesellschaft, die Bolton Stahlgesellschaft, die Nordwest-Eisenbahn- und die Groſse Westbahn- gesellschaft, den Flammofen-Stahlprozeſs einzuführen und regte 1867 die Gründung der Steel Company of Scotland zur Ausbeutung dieses Verfahrens im gröſsten Maſsstab an. Er hatte bereits 1866 die Ver- wendung von Mangan und Ferromangan zur Entphosphorung und Entschweflung des flüssigen Metalls vorgeschlagen und verwendete dieselben bei seinen Versuchsschmelzen in den Sample Works zu Birmingham. Der berühmte Ingenieur Ramsbottom, Direktor der Crewe-Werke der London- und Nordwestbahn, war wohl der erste, der den Siemens-Martinprozeſs dauernd in England einführte (1868), und fast gleichzeitig begann Howson das Verfahren auf den Newport-Eisen- werken bei Middlesborough. In demselben Jahre gründete Siemens mit Dillwyn und anderen die London-Siemensstahl-Gesellschaft zur Aus- beutung des offenen Herdprozesses, besonders der Erzstahlfabrikation. Die Anlagekosten für einen Siemens-Martin-Schmelzofen, der 32 Quadratfuſs erforderte, betrugen in Frankreich damals nach Kuppelwiesers Angabe 12000 Mark 1). Die Produktion eines Martin- ofens, der in 24 Stunden 2 Chargen machte, betrug 3000 bis 5000 kg. Für gewöhnlichen Stahl nahm man gleiche Mengen Roh- und Stab- eisen oder Stahl. Der Kalo belief sich auf 6 bis 8 Prozent, mit dem Abbrand des Schmiedeeisens aber auf 12 bis 13 Prozent. Es war von groſser Wichtigkeit, die Temperatur zu jeder Zeit regeln zu können, deshalb empfahl es sich, eine Anzahl von Generatoren zur Verfügung zu haben. 1) Auſser den schon erwähnten Veröffentlichungen führen wir noch aus jener Zeit an einen Aufsatz von Vincent Day im Practical Mechanics Journal 1867, p. 235 (Dingler 187, S. 236), einen von H. Matthias im Génie industriel, Febr. 1868, p. 71; von Gruner, Annales des Mines 1869, t. XVI, p. 281 (Dingler 196, S. 223). 12*

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/195>, abgerufen am 29.03.2024.