Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite
I.
DIE ÄLTEREN BERÜHRUNGEN UND DIE HANDELSBEZIEHUNGEN BIS
ZUM ERLÖSCHEN DES MONOPOLES DER ENGLISCH-OSTINDISCHEN
COMPAGNIE 1834.

China's Berührungen mit der antiken Welt waren weder unmittel-
bare noch folgenreiche; die Nachrichten darüber sind dürftig und
kaum der Aufzählung werth. Arrian spricht von Thinae oder
Sinae, die aus dem fernsten Asien Seide gebracht hätten. Nach
chinesischen Berichten schickte Ho-ti, ein Kaiser der Han-
Dynastie, 94 n. Chr. Gesandte nach dem Westen, und unter
Trajan soll ein chinesisches Heer, Tartaren verfolgend, bis an das
kaspische Meer gelangt sein. -- Der zunehmende Gebrauch von
Seide im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung lässt auf
Handelsverkehr zwischen dem römischen Reiche und China
schliessen, der aber wohl kaum direct betrieben wurde. Marcus
Antoninus
schickte 161 eine Gesandtschaft nach China, über deren
Schicksale man keine Nachrichten hat. -- Constatirt ist eine frühe
hebräische Einwanderung in das chinesische Reich; die jüdische
Gemeinde von Kae-fun-fu wurde im 17. und 18. Jahrhundert von
Europäern besucht und bestand noch vor wenigen Jahren 1).

1) Als Datum der Einwanderung wird bald das Jahr 200 v. Chr., bald 70 n. Chr.
genannt. -- Der Jesuit Gozani, welcher 1704 Kae-fun-fu besuchte, berichtet aus-
führlich über die dortigen Juden. Er verstand nicht hebräisch, glaubte aber aus der
Zahl der Buchstaben ihres Alphabetes schliessen zu dürfen, dass ihre heiligen Bücher
in dieser Sprache geschrieben seien. Jeden Sabbath wurde ein Abschnitt daraus in
der Synagoge gelesen, wobei sie ihr Antlitz bedeckten, zum Gedächtniss des Moses,
der die Gesetztafeln verhüllten Hauptes vom Sinai brachte. Vom Messias, sagt
Gozani, hätten sie nicht gewusst; den Namen Jesus, den er ihnen nannte, bezogen
sie auf den Sohn Sirachs im Alten Testament. Auf verschiedene hebräische
Briefe, welche 1777 und 1779 aus Batavia, 1815 von dem Missionar Morrison und
1850 durch Vermittlung des Consul Layton an sie gerichtet wurden, erfolgte keine
Antwort; wahrscheinlich, weil ihnen die Kenntniss des Hebräischen verloren ging.
Auf Veranlassung der Londoner Missionsgesellschaft zur Verbreitung des Christen-
thums unter den Juden wurde Kae-fun-fu 1850 und 1851 von chinesischen Christen
besucht, welche die Gemeinde im Zustande der Verarmung und Auflösung, die
1*
I.
DIE ÄLTEREN BERÜHRUNGEN UND DIE HANDELSBEZIEHUNGEN BIS
ZUM ERLÖSCHEN DES MONOPOLES DER ENGLISCH-OSTINDISCHEN
COMPAGNIE 1834.

China’s Berührungen mit der antiken Welt waren weder unmittel-
bare noch folgenreiche; die Nachrichten darüber sind dürftig und
kaum der Aufzählung werth. Arrian spricht von Thinae oder
Sinae, die aus dem fernsten Asien Seide gebracht hätten. Nach
chinesischen Berichten schickte Ho-ti, ein Kaiser der Han-
Dynastie, 94 n. Chr. Gesandte nach dem Westen, und unter
Trajan soll ein chinesisches Heer, Tartaren verfolgend, bis an das
kaspische Meer gelangt sein. — Der zunehmende Gebrauch von
Seide im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung lässt auf
Handelsverkehr zwischen dem römischen Reiche und China
schliessen, der aber wohl kaum direct betrieben wurde. Marcus
Antoninus
schickte 161 eine Gesandtschaft nach China, über deren
Schicksale man keine Nachrichten hat. — Constatirt ist eine frühe
hebräische Einwanderung in das chinesische Reich; die jüdische
Gemeinde von Kae-fuṅ-fu wurde im 17. und 18. Jahrhundert von
Europäern besucht und bestand noch vor wenigen Jahren 1).

1) Als Datum der Einwanderung wird bald das Jahr 200 v. Chr., bald 70 n. Chr.
genannt. — Der Jesuit Gozani, welcher 1704 Kae-fuṅ-fu besuchte, berichtet aus-
führlich über die dortigen Juden. Er verstand nicht hebräisch, glaubte aber aus der
Zahl der Buchstaben ihres Alphabetes schliessen zu dürfen, dass ihre heiligen Bücher
in dieser Sprache geschrieben seien. Jeden Sabbath wurde ein Abschnitt daraus in
der Synagoge gelesen, wobei sie ihr Antlitz bedeckten, zum Gedächtniss des Moses,
der die Gesetztafeln verhüllten Hauptes vom Sinai brachte. Vom Messias, sagt
Gozani, hätten sie nicht gewusst; den Namen Jesus, den er ihnen nannte, bezogen
sie auf den Sohn Sirachs im Alten Testament. Auf verschiedene hebräische
Briefe, welche 1777 und 1779 aus Batavia, 1815 von dem Missionar Morrison und
1850 durch Vermittlung des Consul Layton an sie gerichtet wurden, erfolgte keine
Antwort; wahrscheinlich, weil ihnen die Kenntniss des Hebräischen verloren ging.
Auf Veranlassung der Londoner Missionsgesellschaft zur Verbreitung des Christen-
thums unter den Juden wurde Kae-fuṅ-fu 1850 und 1851 von chinesischen Christen
besucht, welche die Gemeinde im Zustande der Verarmung und Auflösung, die
1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0025" n="[3]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">I.<lb/>
DIE ÄLTEREN BERÜHRUNGEN UND DIE HANDELSBEZIEHUNGEN BIS<lb/>
ZUM ERLÖSCHEN DES MONOPOLES DER ENGLISCH-OSTINDISCHEN<lb/>
COMPAGNIE 1834.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p><placeName><hi rendition="#in">C</hi>hina&#x2019;s</placeName> Berührungen mit der antiken Welt waren weder unmittel-<lb/>
bare noch folgenreiche; die Nachrichten darüber sind dürftig und<lb/>
kaum der Aufzählung werth. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118504436">Arrian</persName> spricht von Thinae oder<lb/>
Sinae, die aus dem fernsten <placeName>Asien</placeName> Seide gebracht hätten. Nach<lb/>
chinesischen Berichten schickte <hi rendition="#k"><persName ref="nognd">Ho-ti</persName></hi>, ein Kaiser der <hi rendition="#k">Han</hi>-<lb/>
Dynastie, 94 n. Chr. Gesandte nach dem Westen, und unter<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118623567">Trajan</persName> soll ein chinesisches Heer, Tartaren verfolgend, bis an das<lb/><placeName>kaspische Meer</placeName> gelangt sein. &#x2014; Der zunehmende Gebrauch von<lb/>
Seide im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung lässt auf<lb/>
Handelsverkehr zwischen dem römischen Reiche und <placeName>China</placeName><lb/>
schliessen, der aber wohl kaum direct betrieben wurde. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118503529">Marcus<lb/>
Antoninus</persName> schickte 161 eine Gesandtschaft nach <placeName>China</placeName>, über deren<lb/>
Schicksale man keine Nachrichten hat. &#x2014; Constatirt ist eine frühe<lb/>
hebräische Einwanderung in das chinesische Reich; die jüdische<lb/>
Gemeinde von <hi rendition="#k"><placeName>Kae-fun&#x0307;-fu</placeName></hi> wurde im 17. und 18. Jahrhundert von<lb/>
Europäern besucht und bestand noch vor wenigen Jahren <note xml:id="note-0025" next="#note-0026" place="foot" n="1)">Als Datum der Einwanderung wird bald das Jahr 200 v. Chr., bald 70 n. Chr.<lb/>
genannt. &#x2014; Der Jesuit <persName ref="http://www.idref.fr/110193520">Gozani</persName>, welcher 1704 <hi rendition="#k"><placeName>Kae-fun&#x0307;-fu</placeName></hi> besuchte, berichtet aus-<lb/>
führlich über die dortigen Juden. Er verstand nicht hebräisch, glaubte aber aus der<lb/>
Zahl der Buchstaben ihres Alphabetes schliessen zu dürfen, dass ihre heiligen Bücher<lb/>
in dieser Sprache geschrieben seien. Jeden Sabbath wurde ein Abschnitt daraus in<lb/>
der Synagoge gelesen, wobei sie ihr Antlitz bedeckten, zum Gedächtniss des Moses,<lb/>
der die Gesetztafeln verhüllten Hauptes vom <placeName>Sinai</placeName> brachte. Vom Messias, sagt<lb/><persName ref="http://www.idref.fr/110193520">Gozani</persName>, hätten sie nicht gewusst; den Namen Jesus, den er ihnen nannte, bezogen<lb/>
sie auf den Sohn Sirachs im Alten Testament. Auf verschiedene hebräische<lb/>
Briefe, welche 1777 und 1779 aus <placeName>Batavia</placeName>, 1815 von dem Missionar <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119420953">Morrison</persName> und<lb/>
1850 durch Vermittlung des Consul <persName ref="nognd">Layton</persName> an sie gerichtet wurden, erfolgte keine<lb/>
Antwort; wahrscheinlich, weil ihnen die Kenntniss des Hebräischen verloren ging.<lb/>
Auf Veranlassung der Londoner Missionsgesellschaft zur Verbreitung des Christen-<lb/>
thums unter den Juden wurde <hi rendition="#k"><placeName>Kae-fun&#x0307;-fu</placeName></hi> 1850 und 1851 von chinesischen Christen<lb/>
besucht, welche die Gemeinde im Zustande der Verarmung und Auflösung, die</note>.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0025] I. DIE ÄLTEREN BERÜHRUNGEN UND DIE HANDELSBEZIEHUNGEN BIS ZUM ERLÖSCHEN DES MONOPOLES DER ENGLISCH-OSTINDISCHEN COMPAGNIE 1834. China’s Berührungen mit der antiken Welt waren weder unmittel- bare noch folgenreiche; die Nachrichten darüber sind dürftig und kaum der Aufzählung werth. Arrian spricht von Thinae oder Sinae, die aus dem fernsten Asien Seide gebracht hätten. Nach chinesischen Berichten schickte Ho-ti, ein Kaiser der Han- Dynastie, 94 n. Chr. Gesandte nach dem Westen, und unter Trajan soll ein chinesisches Heer, Tartaren verfolgend, bis an das kaspische Meer gelangt sein. — Der zunehmende Gebrauch von Seide im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung lässt auf Handelsverkehr zwischen dem römischen Reiche und China schliessen, der aber wohl kaum direct betrieben wurde. Marcus Antoninus schickte 161 eine Gesandtschaft nach China, über deren Schicksale man keine Nachrichten hat. — Constatirt ist eine frühe hebräische Einwanderung in das chinesische Reich; die jüdische Gemeinde von Kae-fuṅ-fu wurde im 17. und 18. Jahrhundert von Europäern besucht und bestand noch vor wenigen Jahren 1). 1) Als Datum der Einwanderung wird bald das Jahr 200 v. Chr., bald 70 n. Chr. genannt. — Der Jesuit Gozani, welcher 1704 Kae-fuṅ-fu besuchte, berichtet aus- führlich über die dortigen Juden. Er verstand nicht hebräisch, glaubte aber aus der Zahl der Buchstaben ihres Alphabetes schliessen zu dürfen, dass ihre heiligen Bücher in dieser Sprache geschrieben seien. Jeden Sabbath wurde ein Abschnitt daraus in der Synagoge gelesen, wobei sie ihr Antlitz bedeckten, zum Gedächtniss des Moses, der die Gesetztafeln verhüllten Hauptes vom Sinai brachte. Vom Messias, sagt Gozani, hätten sie nicht gewusst; den Namen Jesus, den er ihnen nannte, bezogen sie auf den Sohn Sirachs im Alten Testament. Auf verschiedene hebräische Briefe, welche 1777 und 1779 aus Batavia, 1815 von dem Missionar Morrison und 1850 durch Vermittlung des Consul Layton an sie gerichtet wurden, erfolgte keine Antwort; wahrscheinlich, weil ihnen die Kenntniss des Hebräischen verloren ging. Auf Veranlassung der Londoner Missionsgesellschaft zur Verbreitung des Christen- thums unter den Juden wurde Kae-fuṅ-fu 1850 und 1851 von chinesischen Christen besucht, welche die Gemeinde im Zustande der Verarmung und Auflösung, die 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/25
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/25>, abgerufen am 28.03.2024.