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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Die katholische Mission. XVII.
hoher Brüstung umgeben werden; sie bietet nämlich über den See
hinweg die Aussicht in die kaiserlichen Gärten. Den Himmelssohn
darf aber auch aus der Ferne kein ungeweihtes Auge schauen; bei
seinen Reisen sollen drei ganz gleiche geschlossene Sänften mit-
geführt werden, so dass selbst die Träger nicht wissen, wo der
Kaiser ist. Auch die Frauen des Kaiserhofes bleiben unsichtbar.
Während unserer Anwesenheit wurden die Diplomaten eines Tages
ersucht, die nördlichen Stadttheile zu meiden, weil Hien-fun's
Mutter, die kaiserliche Wittwe des längst verstorbenen Tau-kwan,
mit ihren Damen in Pe-kin einzöge. Alle Läden auf ihrem Wege
wurden geschlossen, die Strassen abgesperrt, Niemand durfte sich
blicken lassen; selbst die spalierbildenden Truppen mussten dem
Zuge der Kaiserin den Rücken wenden.

Die Lazaristen richteten in Pe-tan eine Schule ein und
hatten bei unserem Besuch schon 46 Zöglinge, die in der Anstalt
wohnten. Die einstöckigen Gebäude mit den Schulstuben, Wohn-
und Schlafräumen umgeben mehrere Höfe; die Zöglinge schienen
gesund und heiter. Wie die Jesuiten haben auch die Missionare
in Pe-kin den Zopf und chinesische Tracht angelegt, scheinen aber
nicht allen heimathlichen Gewohnheiten entsagt zu haben: sie be-
wirtheten uns mit köstlichem Kaffee und selbstgemachten Li-
queuren.

Trotz der langen Unterbrechung der Missionsarbeit fanden
die Lazaristen in Pe-kin noch über 5000 Christen, welche unter
einheimischen Seelsorgern dem Ritus der römischen Kirche treu
geblieben waren. In vielen Stücken soll noch heut bei den Katho-
liken in Pe-kin eine Nachwirkung der Concessionen des Vater
Ricci und seiner verständigen Anhänger an die alten in den An-
schauungen der chinesischen Cultur begründeten Bräuche und Vor-
urtheile zu spüren sein: so dürfen Frauen dem kirchlichen Gottes-
dienst nicht beiwohnen, in gesonderten Betsälen wird ihnen Messe
gelesen. Die ersten Franzosen, die 1861 am Stillen Freitag in der
Cathedrale Nan-tan eine von chinesischen Geistlichen administrirte
Messe hörten, waren seltsam überrascht, als bei Erhebung der
Hostie ein knallendes Feuerwerk am Altar losging. -- Bei zufälligen
Begegnungen der Europäer mit chinesischen Christen pflegen diese
sogleich ein Kreuz zu schlagen, um ihre Gemeinschaft geltend zu
machen. Sonderbarer Weise fühlen sich auch die zahlreichen Mos-
lems in China den Fremden glaubensverwandt und suchen deren

Die katholische Mission. XVII.
hoher Brüstung umgeben werden; sie bietet nämlich über den See
hinweg die Aussicht in die kaiserlichen Gärten. Den Himmelssohn
darf aber auch aus der Ferne kein ungeweihtes Auge schauen; bei
seinen Reisen sollen drei ganz gleiche geschlossene Sänften mit-
geführt werden, so dass selbst die Träger nicht wissen, wo der
Kaiser ist. Auch die Frauen des Kaiserhofes bleiben unsichtbar.
Während unserer Anwesenheit wurden die Diplomaten eines Tages
ersucht, die nördlichen Stadttheile zu meiden, weil Hien-fuṅ’s
Mutter, die kaiserliche Wittwe des längst verstorbenen Tau-kwaṅ,
mit ihren Damen in Pe-kiṅ einzöge. Alle Läden auf ihrem Wege
wurden geschlossen, die Strassen abgesperrt, Niemand durfte sich
blicken lassen; selbst die spalierbildenden Truppen mussten dem
Zuge der Kaiserin den Rücken wenden.

Die Lazaristen richteten in Pe-taṅ eine Schule ein und
hatten bei unserem Besuch schon 46 Zöglinge, die in der Anstalt
wohnten. Die einstöckigen Gebäude mit den Schulstuben, Wohn-
und Schlafräumen umgeben mehrere Höfe; die Zöglinge schienen
gesund und heiter. Wie die Jesuiten haben auch die Missionare
in Pe-kiṅ den Zopf und chinesische Tracht angelegt, scheinen aber
nicht allen heimathlichen Gewohnheiten entsagt zu haben: sie be-
wirtheten uns mit köstlichem Kaffee und selbstgemachten Li-
queuren.

Trotz der langen Unterbrechung der Missionsarbeit fanden
die Lazaristen in Pe-kiṅ noch über 5000 Christen, welche unter
einheimischen Seelsorgern dem Ritus der römischen Kirche treu
geblieben waren. In vielen Stücken soll noch heut bei den Katho-
liken in Pe-kiṅ eine Nachwirkung der Concessionen des Vater
Ricci und seiner verständigen Anhänger an die alten in den An-
schauungen der chinesischen Cultur begründeten Bräuche und Vor-
urtheile zu spüren sein: so dürfen Frauen dem kirchlichen Gottes-
dienst nicht beiwohnen, in gesonderten Betsälen wird ihnen Messe
gelesen. Die ersten Franzosen, die 1861 am Stillen Freitag in der
Cathedrale Nan-taṅ eine von chinesischen Geistlichen administrirte
Messe hörten, waren seltsam überrascht, als bei Erhebung der
Hostie ein knallendes Feuerwerk am Altar losging. — Bei zufälligen
Begegnungen der Europäer mit chinesischen Christen pflegen diese
sogleich ein Kreuz zu schlagen, um ihre Gemeinschaft geltend zu
machen. Sonderbarer Weise fühlen sich auch die zahlreichen Mos-
lems in China den Fremden glaubensverwandt und suchen deren

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[126/0140] Die katholische Mission. XVII. hoher Brüstung umgeben werden; sie bietet nämlich über den See hinweg die Aussicht in die kaiserlichen Gärten. Den Himmelssohn darf aber auch aus der Ferne kein ungeweihtes Auge schauen; bei seinen Reisen sollen drei ganz gleiche geschlossene Sänften mit- geführt werden, so dass selbst die Träger nicht wissen, wo der Kaiser ist. Auch die Frauen des Kaiserhofes bleiben unsichtbar. Während unserer Anwesenheit wurden die Diplomaten eines Tages ersucht, die nördlichen Stadttheile zu meiden, weil Hien-fuṅ’s Mutter, die kaiserliche Wittwe des längst verstorbenen Tau-kwaṅ, mit ihren Damen in Pe-kiṅ einzöge. Alle Läden auf ihrem Wege wurden geschlossen, die Strassen abgesperrt, Niemand durfte sich blicken lassen; selbst die spalierbildenden Truppen mussten dem Zuge der Kaiserin den Rücken wenden. Die Lazaristen richteten in Pe-taṅ eine Schule ein und hatten bei unserem Besuch schon 46 Zöglinge, die in der Anstalt wohnten. Die einstöckigen Gebäude mit den Schulstuben, Wohn- und Schlafräumen umgeben mehrere Höfe; die Zöglinge schienen gesund und heiter. Wie die Jesuiten haben auch die Missionare in Pe-kiṅ den Zopf und chinesische Tracht angelegt, scheinen aber nicht allen heimathlichen Gewohnheiten entsagt zu haben: sie be- wirtheten uns mit köstlichem Kaffee und selbstgemachten Li- queuren. Trotz der langen Unterbrechung der Missionsarbeit fanden die Lazaristen in Pe-kiṅ noch über 5000 Christen, welche unter einheimischen Seelsorgern dem Ritus der römischen Kirche treu geblieben waren. In vielen Stücken soll noch heut bei den Katho- liken in Pe-kiṅ eine Nachwirkung der Concessionen des Vater Ricci und seiner verständigen Anhänger an die alten in den An- schauungen der chinesischen Cultur begründeten Bräuche und Vor- urtheile zu spüren sein: so dürfen Frauen dem kirchlichen Gottes- dienst nicht beiwohnen, in gesonderten Betsälen wird ihnen Messe gelesen. Die ersten Franzosen, die 1861 am Stillen Freitag in der Cathedrale Nan-taṅ eine von chinesischen Geistlichen administrirte Messe hörten, waren seltsam überrascht, als bei Erhebung der Hostie ein knallendes Feuerwerk am Altar losging. — Bei zufälligen Begegnungen der Europäer mit chinesischen Christen pflegen diese sogleich ein Kreuz zu schlagen, um ihre Gemeinschaft geltend zu machen. Sonderbarer Weise fühlen sich auch die zahlreichen Mos- lems in China den Fremden glaubensverwandt und suchen deren

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/140>, abgerufen am 20.04.2024.