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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Lauine.

Grün wird die Alpe werden,
Stürzt die Lawin' einmal;
Zu Berge ziehn die Heerden,
Fuhr erst der Schnee zu Thal.
Euch stellt, Ihr Alpensöhne,
Mit jedem neuen Jahr
Des Eises Bruch vom Föhne
Den Kampf der Freiheit dar.
Uhland.

Jede massenhafte, stürzende Bewegung bereits zu Boden ge¬
fallenen, angehäuften Schnees wird in den Alpen, je nach den
ortsüblichen Abweichungen "Laue, Lauwe, Lauine," im Tyrol
"Lähne", in den rhätoromanischen Bergen "Lavigna" genannt. Die
in der hochdeutschen Schriftsprache eingebürgerte Schreibweise
"Lawine" kommt im Munde des Gebirgsvolkes kaum vor. Wurzel¬
wortjäger haben auch der Entstehung und Grundbedeutung dieses
Wortes schon weidlich nachgesetzt und wunderbares Wild aus dem
düstern Walde ihrer Vermuthungen aufgetrieben; die Einen holen
das Latein herbei und weisen unfehlbar nach, daß es nur vom
Verbum labor, lapsus sum, labi herkommen könne, während
Andere sich in Metaphern versteigen und meinen, die "Löwin" habe
bei dem Worte zu Gevatter gestanden, weil der Schneesturz mit

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Die Lauine.

Grün wird die Alpe werden,
Stürzt die Lawin' einmal;
Zu Berge ziehn die Heerden,
Fuhr erſt der Schnee zu Thal.
Euch ſtellt, Ihr Alpenſöhne,
Mit jedem neuen Jahr
Des Eiſes Bruch vom Föhne
Den Kampf der Freiheit dar.
Uhland.

Jede maſſenhafte, ſtürzende Bewegung bereits zu Boden ge¬
fallenen, angehäuften Schnees wird in den Alpen, je nach den
ortsüblichen Abweichungen „Laue, Lauwe, Lauine,“ im Tyrol
„Lähne“, in den rhätoromaniſchen Bergen „Lavigna“ genannt. Die
in der hochdeutſchen Schriftſprache eingebürgerte Schreibweiſe
„Lawine“ kommt im Munde des Gebirgsvolkes kaum vor. Wurzel¬
wortjäger haben auch der Entſtehung und Grundbedeutung dieſes
Wortes ſchon weidlich nachgeſetzt und wunderbares Wild aus dem
düſtern Walde ihrer Vermuthungen aufgetrieben; die Einen holen
das Latein herbei und weiſen unfehlbar nach, daß es nur vom
Verbum labor, lapsus sum, labi herkommen könne, während
Andere ſich in Metaphern verſteigen und meinen, die „Löwin“ habe
bei dem Worte zu Gevatter geſtanden, weil der Schneeſturz mit

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[0225] Die Lauine. Grün wird die Alpe werden, Stürzt die Lawin' einmal; Zu Berge ziehn die Heerden, Fuhr erſt der Schnee zu Thal. Euch ſtellt, Ihr Alpenſöhne, Mit jedem neuen Jahr Des Eiſes Bruch vom Föhne Den Kampf der Freiheit dar. Uhland. Jede maſſenhafte, ſtürzende Bewegung bereits zu Boden ge¬ fallenen, angehäuften Schnees wird in den Alpen, je nach den ortsüblichen Abweichungen „Laue, Lauwe, Lauine,“ im Tyrol „Lähne“, in den rhätoromaniſchen Bergen „Lavigna“ genannt. Die in der hochdeutſchen Schriftſprache eingebürgerte Schreibweiſe „Lawine“ kommt im Munde des Gebirgsvolkes kaum vor. Wurzel¬ wortjäger haben auch der Entſtehung und Grundbedeutung dieſes Wortes ſchon weidlich nachgeſetzt und wunderbares Wild aus dem düſtern Walde ihrer Vermuthungen aufgetrieben; die Einen holen das Latein herbei und weiſen unfehlbar nach, daß es nur vom Verbum labor, lapsus sum, labi herkommen könne, während Andere ſich in Metaphern verſteigen und meinen, die „Löwin“ habe bei dem Worte zu Gevatter geſtanden, weil der Schneeſturz mit 13*

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/225>, abgerufen am 28.03.2024.