Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Wildheuer.

Und weiter, höher, steiler treibt die Hast,
Der Unmuth fort, der Berge trüben Gast,
Auf Klippen, wo den Pfad die Furcht verschlingt,
Wohin verzweifelnd nur die Gemse springt.
Lenau.

Droben, auf jenen Felsenköpfen, die vom Thal gesehen für
den menschlichen Fuß unerreichbar scheinen, dort wo die kleinen
runden, maigrünen Rasenpolster, eine freundliche, das Auge beruhi¬
gende Unterbrechung, an den glatten, senkrechten, grauen Fluh¬
wänden hangen und die, von der Verwitterung gerissenen, klaffenden
Zacken-Linien des todten, spröden Gesteines mildernd überkleiden,
-- da wo man höchstens die Horste des Adlers und Lämmergeiers
sucht, -- dort ist der Ernteplatz für den Wildheuer.

Als Armgart, das vom Kummer gequälte Weib, in Schillers
Wilhelm Tell, dem Landvogt Geßler auf offener Straße sich vor
das Roß niederwirft und jammernd ihm entgegenruft:
"Mein Mann liegt im Gefängniß;
"Die armen Waisen schrei'n nach Brod -- Habt Mitleid,
"Gestrenger Herr, mit unserm großen Elend!"

Der Wildheuer.

Und weiter, höher, ſteiler treibt die Haſt,
Der Unmuth fort, der Berge trüben Gaſt,
Auf Klippen, wo den Pfad die Furcht verſchlingt,
Wohin verzweifelnd nur die Gemſe ſpringt.
Lenau.

Droben, auf jenen Felſenköpfen, die vom Thal geſehen für
den menſchlichen Fuß unerreichbar ſcheinen, dort wo die kleinen
runden, maigrünen Raſenpolſter, eine freundliche, das Auge beruhi¬
gende Unterbrechung, an den glatten, ſenkrechten, grauen Fluh¬
wänden hangen und die, von der Verwitterung geriſſenen, klaffenden
Zacken-Linien des todten, ſpröden Geſteines mildernd überkleiden,
— da wo man höchſtens die Horſte des Adlers und Lämmergeiers
ſucht, — dort iſt der Ernteplatz für den Wildheuer.

Als Armgart, das vom Kummer gequälte Weib, in Schillers
Wilhelm Tell, dem Landvogt Geßler auf offener Straße ſich vor
das Roß niederwirft und jammernd ihm entgegenruft:
„Mein Mann liegt im Gefängniß;
„Die armen Waiſen ſchrei'n nach Brod — Habt Mitleid,
„Geſtrenger Herr, mit unſerm großen Elend!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0415"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#fr #g">Der Wildheuer</hi>.<lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <cit>
          <quote>
            <lg type="poem">
              <l>Und weiter, höher, &#x017F;teiler treibt die Ha&#x017F;t,<lb/></l>
              <l>Der Unmuth fort, der Berge trüben Ga&#x017F;t,<lb/></l>
              <l>Auf Klippen, wo den Pfad die Furcht ver&#x017F;chlingt,<lb/></l>
              <l>Wohin verzweifelnd nur die Gem&#x017F;e &#x017F;pringt.<lb/></l>
            </lg>
          </quote>
          <bibl rendition="#right"><hi rendition="#g">Lenau</hi>.<lb/></bibl>
        </cit>
        <p>Droben, auf jenen Fel&#x017F;enköpfen, die vom Thal ge&#x017F;ehen für<lb/>
den men&#x017F;chlichen Fuß unerreichbar &#x017F;cheinen, dort wo die kleinen<lb/>
runden, maigrünen Ra&#x017F;enpol&#x017F;ter, eine freundliche, das Auge beruhi¬<lb/>
gende Unterbrechung, an den glatten, &#x017F;enkrechten, grauen Fluh¬<lb/>
wänden hangen und die, von der Verwitterung geri&#x017F;&#x017F;enen, klaffenden<lb/>
Zacken-Linien des todten, &#x017F;pröden Ge&#x017F;teines mildernd überkleiden,<lb/>
&#x2014; da wo man höch&#x017F;tens die Hor&#x017F;te des Adlers und Lämmergeiers<lb/>
&#x017F;ucht, &#x2014; dort i&#x017F;t der Ernteplatz für den Wildheuer.</p><lb/>
        <p>Als Armgart, das vom Kummer gequälte Weib, in Schillers<lb/>
Wilhelm Tell, dem Landvogt Geßler auf offener Straße &#x017F;ich vor<lb/>
das Roß niederwirft und jammernd ihm entgegenruft:<lb/><hi rendition="#c">&#x201E;Mein Mann liegt im Gefängniß;<lb/></hi> <hi rendition="#et">&#x201E;Die armen Wai&#x017F;en &#x017F;chrei'n nach Brod &#x2014; Habt Mitleid,<lb/>
&#x201E;Ge&#x017F;trenger Herr, mit un&#x017F;erm großen Elend!&#x201C;<lb/></hi> </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0415] Der Wildheuer. Und weiter, höher, ſteiler treibt die Haſt, Der Unmuth fort, der Berge trüben Gaſt, Auf Klippen, wo den Pfad die Furcht verſchlingt, Wohin verzweifelnd nur die Gemſe ſpringt. Lenau. Droben, auf jenen Felſenköpfen, die vom Thal geſehen für den menſchlichen Fuß unerreichbar ſcheinen, dort wo die kleinen runden, maigrünen Raſenpolſter, eine freundliche, das Auge beruhi¬ gende Unterbrechung, an den glatten, ſenkrechten, grauen Fluh¬ wänden hangen und die, von der Verwitterung geriſſenen, klaffenden Zacken-Linien des todten, ſpröden Geſteines mildernd überkleiden, — da wo man höchſtens die Horſte des Adlers und Lämmergeiers ſucht, — dort iſt der Ernteplatz für den Wildheuer. Als Armgart, das vom Kummer gequälte Weib, in Schillers Wilhelm Tell, dem Landvogt Geßler auf offener Straße ſich vor das Roß niederwirft und jammernd ihm entgegenruft: „Mein Mann liegt im Gefängniß; „Die armen Waiſen ſchrei'n nach Brod — Habt Mitleid, „Geſtrenger Herr, mit unſerm großen Elend!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/415
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/415>, abgerufen am 25.04.2024.