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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Schneesturm.
füllt der Schneesturm die Luft auf große Entfernungen hin mit
dichten, ringsumher Alles verfinsternden Wolken kleiner feiner
Schneekrystalle, die Alles durchdringen, an Alles sich einbohren
und mit der Atmosphäre eine völlig verschmolzene Masse zu sein
scheinen. Die Verwandtschaft der mechanischen Thätigkeit dieser
beiden schrecklichen Lufterscheinungen ist frappant und bietet selbst
bis in die kleinsten Einzelheiten Parallelen dar, freilich eben im¬
mer unter den Bedingungen der äußersten Temperatur-Gegensätze.

Der Schnee des Hochgebirges ist, sowohl nach Gestalt und
Umfang, als nach Dichtheit und specifischer Schwere seiner einzel¬
nen Körpertheilchen, in der Regel wesentlich verschieden vom Schnee
der Tiefebene und des Hügellandes. Wenn er auch unter gleichen
Bedingungen entstehen mag, so ist doch höchst wahrscheinlich sein
Bildungsproceß ein viel einfacherer; ja, es fragt sich, ob er nicht
unmittelbar aus jenen Elementarkörperchen besteht, aus deren, nach
organischer Anordnung erfolgender Konglomeration sich die Schnee¬
flocke, wie man sie drunten im Lande allgemein kennt, erst konstruirt.
Denn in die Geheimnisse der Schneekrystallisation sind die Natur¬
wissenschaften bis jetzt wenig erst eingedrungen; nur Vermuthungen
und Wahrscheinlichkeitsgründe konnten sie darüber aufstellen: in
welcher Region und unter welchen meteorologischen Einflüssen die
erste Schneebildung beginnt, -- und es ist noch eine schwebende
Frage, ob der, stets nach dem Gesetz der drei- oder sechskantigen
oder sechsstrahligen Form sich darstellende, symmetrisch-schöne Schnee¬
stern durch das Anschließen kleiner, unendlich feiner, aber schon
vorhandener Eisnädelchen entstehe, -- oder ob er durch Anhängen
(Adhäsion) der dunstförmig im Aether schwebenden Wasserbläschen
und deren Gefrieren seine allmählige Bildung vom Centrum aus
herbeiführe. -- Die beiden Schneearten, nämlich der Hochschnee
und der Flockenschnee, verhalten sich etwa zu einander wie der
chemische Gehalt und das specifische Gewicht der schweren, mit vie¬
len Stoffatomen gesättigten Luft tiefliegender Regionen, gegenüber

Der Schneeſturm.
füllt der Schneeſturm die Luft auf große Entfernungen hin mit
dichten, ringsumher Alles verfinſternden Wolken kleiner feiner
Schneekryſtalle, die Alles durchdringen, an Alles ſich einbohren
und mit der Atmoſphäre eine völlig verſchmolzene Maſſe zu ſein
ſcheinen. Die Verwandtſchaft der mechaniſchen Thätigkeit dieſer
beiden ſchrecklichen Lufterſcheinungen iſt frappant und bietet ſelbſt
bis in die kleinſten Einzelheiten Parallelen dar, freilich eben im¬
mer unter den Bedingungen der äußerſten Temperatur-Gegenſätze.

Der Schnee des Hochgebirges iſt, ſowohl nach Geſtalt und
Umfang, als nach Dichtheit und ſpecifiſcher Schwere ſeiner einzel¬
nen Körpertheilchen, in der Regel weſentlich verſchieden vom Schnee
der Tiefebene und des Hügellandes. Wenn er auch unter gleichen
Bedingungen entſtehen mag, ſo iſt doch höchſt wahrſcheinlich ſein
Bildungsproceß ein viel einfacherer; ja, es fragt ſich, ob er nicht
unmittelbar aus jenen Elementarkörperchen beſteht, aus deren, nach
organiſcher Anordnung erfolgender Konglomeration ſich die Schnee¬
flocke, wie man ſie drunten im Lande allgemein kennt, erſt konſtruirt.
Denn in die Geheimniſſe der Schneekryſtalliſation ſind die Natur¬
wiſſenſchaften bis jetzt wenig erſt eingedrungen; nur Vermuthungen
und Wahrſcheinlichkeitsgründe konnten ſie darüber aufſtellen: in
welcher Region und unter welchen meteorologiſchen Einflüſſen die
erſte Schneebildung beginnt, — und es iſt noch eine ſchwebende
Frage, ob der, ſtets nach dem Geſetz der drei- oder ſechskantigen
oder ſechsſtrahligen Form ſich darſtellende, ſymmetriſch-ſchöne Schnee¬
ſtern durch das Anſchließen kleiner, unendlich feiner, aber ſchon
vorhandener Eisnädelchen entſtehe, — oder ob er durch Anhängen
(Adhäſion) der dunſtförmig im Aether ſchwebenden Waſſerbläschen
und deren Gefrieren ſeine allmählige Bildung vom Centrum aus
herbeiführe. — Die beiden Schneearten, nämlich der Hochſchnee
und der Flockenſchnee, verhalten ſich etwa zu einander wie der
chemiſche Gehalt und das ſpecifiſche Gewicht der ſchweren, mit vie¬
len Stoffatomen geſättigten Luft tiefliegender Regionen, gegenüber

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[166/0194] Der Schneeſturm. füllt der Schneeſturm die Luft auf große Entfernungen hin mit dichten, ringsumher Alles verfinſternden Wolken kleiner feiner Schneekryſtalle, die Alles durchdringen, an Alles ſich einbohren und mit der Atmoſphäre eine völlig verſchmolzene Maſſe zu ſein ſcheinen. Die Verwandtſchaft der mechaniſchen Thätigkeit dieſer beiden ſchrecklichen Lufterſcheinungen iſt frappant und bietet ſelbſt bis in die kleinſten Einzelheiten Parallelen dar, freilich eben im¬ mer unter den Bedingungen der äußerſten Temperatur-Gegenſätze. Der Schnee des Hochgebirges iſt, ſowohl nach Geſtalt und Umfang, als nach Dichtheit und ſpecifiſcher Schwere ſeiner einzel¬ nen Körpertheilchen, in der Regel weſentlich verſchieden vom Schnee der Tiefebene und des Hügellandes. Wenn er auch unter gleichen Bedingungen entſtehen mag, ſo iſt doch höchſt wahrſcheinlich ſein Bildungsproceß ein viel einfacherer; ja, es fragt ſich, ob er nicht unmittelbar aus jenen Elementarkörperchen beſteht, aus deren, nach organiſcher Anordnung erfolgender Konglomeration ſich die Schnee¬ flocke, wie man ſie drunten im Lande allgemein kennt, erſt konſtruirt. Denn in die Geheimniſſe der Schneekryſtalliſation ſind die Natur¬ wiſſenſchaften bis jetzt wenig erſt eingedrungen; nur Vermuthungen und Wahrſcheinlichkeitsgründe konnten ſie darüber aufſtellen: in welcher Region und unter welchen meteorologiſchen Einflüſſen die erſte Schneebildung beginnt, — und es iſt noch eine ſchwebende Frage, ob der, ſtets nach dem Geſetz der drei- oder ſechskantigen oder ſechsſtrahligen Form ſich darſtellende, ſymmetriſch-ſchöne Schnee¬ ſtern durch das Anſchließen kleiner, unendlich feiner, aber ſchon vorhandener Eisnädelchen entſtehe, — oder ob er durch Anhängen (Adhäſion) der dunſtförmig im Aether ſchwebenden Waſſerbläschen und deren Gefrieren ſeine allmählige Bildung vom Centrum aus herbeiführe. — Die beiden Schneearten, nämlich der Hochſchnee und der Flockenſchnee, verhalten ſich etwa zu einander wie der chemiſche Gehalt und das ſpecifiſche Gewicht der ſchweren, mit vie¬ len Stoffatomen geſättigten Luft tiefliegender Regionen, gegenüber

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/194>, abgerufen am 25.04.2024.