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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Sennenleben in den Alpen.
daß Käse für das getreidearme Gebirgsland ein wesentlicher Be¬
standtheil der täglichen Nahrung ist und daß man die gesammten
Milchprodukte des ganzen Alpenlandes, einschließlich Selbstverbrauch
und Ausfuhr, jährlich auf mehr als hundert Millionen schwerer
Gulden schätzt. Denn was die Schweiz allein an dem allenthalben
so beliebten Schweizer-Käse versendet, erreicht die Höhe von minde¬
stens acht Millionen Franken.

Nicht die Sehnsucht zur Thalheimath, nicht der Mangel an
Futter nöthigen den Sennen zum Rückzug von Staffel zu Staffel;
es giebt viele Alpen, die nicht eigentlich "abgeweidet" sind, wenn
die Herde sie verläßt. Das Eintreten kälterer Nächte in diesen
Höhen ists, was ihn erfahrungsgemäß vertreibt; darum kommts
vor, daß in milden Jahrgängen ausnahmsweise der Senn einige
Wochen länger auf Alp bleibt, als es sonst üblich ist. -- Herbstelet
es nun entschieden, kandiren die Nachtfröste mit ihren Reifen Blatt
und Halm, entfärben sich die Laubkronen und zieht der Wald
sein buntscheckiges Kleid an, dann mahnts den Hirten die "Alp zu
entladen." Vor seiner Hütte zündet er am Vorabend der "Abfahrt"
ein lustiges, weit ins Thalgelände hinableuchtendes Feuer an, das
uralte Flammenzeichen der Gebirgsvölker, durch das sie in ihren
Freiheitskämpfen korrespondirten, und überlaut jauchzend rollen
sie die glühenden Klötze über die Felsenhänge hinab, daß die Fun¬
ken zerstiebend die Lüfte durcheilen. Das Thalvolk siehts, und
lauscht und freut sich der Heimkehr der Herden.

Hin ist die Poesie des Hirtenlebens fürs laufende Jahr, und
im Besitz des errungenen Gewinnes, im Andenken an die Freuden
der Alpzeit, zieht der Senn hinab und zehrt an der Erinnerung in
der tief eingeschneiten Winterhütte des Thales im Hoffen auf
die Wiederkehr des Frühlings.


Sennenleben in den Alpen.
daß Käſe für das getreidearme Gebirgsland ein weſentlicher Be¬
ſtandtheil der täglichen Nahrung iſt und daß man die geſammten
Milchprodukte des ganzen Alpenlandes, einſchließlich Selbſtverbrauch
und Ausfuhr, jährlich auf mehr als hundert Millionen ſchwerer
Gulden ſchätzt. Denn was die Schweiz allein an dem allenthalben
ſo beliebten Schweizer-Käſe verſendet, erreicht die Höhe von minde¬
ſtens acht Millionen Franken.

Nicht die Sehnſucht zur Thalheimath, nicht der Mangel an
Futter nöthigen den Sennen zum Rückzug von Staffel zu Staffel;
es giebt viele Alpen, die nicht eigentlich „abgeweidet“ ſind, wenn
die Herde ſie verläßt. Das Eintreten kälterer Nächte in dieſen
Höhen iſts, was ihn erfahrungsgemäß vertreibt; darum kommts
vor, daß in milden Jahrgängen ausnahmsweiſe der Senn einige
Wochen länger auf Alp bleibt, als es ſonſt üblich iſt. — Herbſtelet
es nun entſchieden, kandiren die Nachtfröſte mit ihren Reifen Blatt
und Halm, entfärben ſich die Laubkronen und zieht der Wald
ſein buntſcheckiges Kleid an, dann mahnts den Hirten die „Alp zu
entladen.“ Vor ſeiner Hütte zündet er am Vorabend der „Abfahrt“
ein luſtiges, weit ins Thalgelände hinableuchtendes Feuer an, das
uralte Flammenzeichen der Gebirgsvölker, durch das ſie in ihren
Freiheitskämpfen korreſpondirten, und überlaut jauchzend rollen
ſie die glühenden Klötze über die Felſenhänge hinab, daß die Fun¬
ken zerſtiebend die Lüfte durcheilen. Das Thalvolk ſiehts, und
lauſcht und freut ſich der Heimkehr der Herden.

Hin iſt die Poeſie des Hirtenlebens fürs laufende Jahr, und
im Beſitz des errungenen Gewinnes, im Andenken an die Freuden
der Alpzeit, zieht der Senn hinab und zehrt an der Erinnerung in
der tief eingeſchneiten Winterhütte des Thales im Hoffen auf
die Wiederkehr des Frühlings.


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[352/0390] Sennenleben in den Alpen. daß Käſe für das getreidearme Gebirgsland ein weſentlicher Be¬ ſtandtheil der täglichen Nahrung iſt und daß man die geſammten Milchprodukte des ganzen Alpenlandes, einſchließlich Selbſtverbrauch und Ausfuhr, jährlich auf mehr als hundert Millionen ſchwerer Gulden ſchätzt. Denn was die Schweiz allein an dem allenthalben ſo beliebten Schweizer-Käſe verſendet, erreicht die Höhe von minde¬ ſtens acht Millionen Franken. Nicht die Sehnſucht zur Thalheimath, nicht der Mangel an Futter nöthigen den Sennen zum Rückzug von Staffel zu Staffel; es giebt viele Alpen, die nicht eigentlich „abgeweidet“ ſind, wenn die Herde ſie verläßt. Das Eintreten kälterer Nächte in dieſen Höhen iſts, was ihn erfahrungsgemäß vertreibt; darum kommts vor, daß in milden Jahrgängen ausnahmsweiſe der Senn einige Wochen länger auf Alp bleibt, als es ſonſt üblich iſt. — Herbſtelet es nun entſchieden, kandiren die Nachtfröſte mit ihren Reifen Blatt und Halm, entfärben ſich die Laubkronen und zieht der Wald ſein buntſcheckiges Kleid an, dann mahnts den Hirten die „Alp zu entladen.“ Vor ſeiner Hütte zündet er am Vorabend der „Abfahrt“ ein luſtiges, weit ins Thalgelände hinableuchtendes Feuer an, das uralte Flammenzeichen der Gebirgsvölker, durch das ſie in ihren Freiheitskämpfen korreſpondirten, und überlaut jauchzend rollen ſie die glühenden Klötze über die Felſenhänge hinab, daß die Fun¬ ken zerſtiebend die Lüfte durcheilen. Das Thalvolk ſiehts, und lauſcht und freut ſich der Heimkehr der Herden. Hin iſt die Poeſie des Hirtenlebens fürs laufende Jahr, und im Beſitz des errungenen Gewinnes, im Andenken an die Freuden der Alpzeit, zieht der Senn hinab und zehrt an der Erinnerung in der tief eingeſchneiten Winterhütte des Thales im Hoffen auf die Wiederkehr des Frühlings.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/390>, abgerufen am 24.04.2024.