Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Auf der Jagd.
anderen Umständen unterliegende Thätigkeit, als die zur Wissenschaft
und noblen Passion ausgebildete hohe Jagd im Hügel- und Flach¬
lande. Der größte Theil jener Praktiken, welche dort zulässig
oder sogar geboten sind, und deren genaue Kenntniß und fertige
Handhabung den flotten Jäger kennzeichnen, können in den Alpen
nicht in Anwendung kommen; es ist keine paragraphisch-systemati¬
sirte Waidmannskunst, die sich theoretisch aus Büchern einschulen
läßt, um ritterlich-elegante Komödie damit zu treiben, sondern so
urnatürlich derb und wild, wie die Alpen selbst, ist auch die Jagd.
Wer nicht das Zeug dazu in Knochen und Blut, in Muskeln und
Fasern hat, wer nicht Gefahren und Strapazen lachend die Stirn
bieten kann, wessen Auge nicht scharf und schwindelfrei in Ab¬
gründe zu blicken vermag, der lasse den Stutzen daheim, oder ver¬
suche sein Glück drunten im blassen, dürren Stoppelfelde und
zwischen den Krautäckern, wo ihm der Hund den Hasen fangen
hilft oder die Kitte Hühner vor den Schuß bringt. In den Alpen
gilts wilden Bestien: Bären, Wölfen, Adlern und Geiern, oder
der flüchtigen, weit witternden Gemse, oder den schlauen, scheuen,
Stein- und Schneehühnern. Es kann Einer ein perfekter Nimrod
auf Rothwild sein und in der Sauhatz schon mancher Bache den
Garaus gemacht haben, ohne auch nur eins der bezeichneten Alpen¬
thiere erlegen zu können.

Zuvörderst gehört Mark in den Knochen dazu, ein leichter,
sicherer Tritt, der, wenn auch Geröll und faulendes Gestein an
jäher Bergwand ihm unter den harten, stachelbewaffneten Sohlen
weicht, dennoch mit Sicherheit und kalter Ruhe darüber hinweg¬
eilt, der sich zu helfen weiß im Labyrinth der Gletscher-Spalten
und an der glatten, trügerischen Firnhalde, wie sie im früheren
Abschnitt "Alpenspitzen" geschildert wurden, -- der nicht vorm
Wagesprung zurückschreckt in den kahlen Kalkklippen, und der auf
den Rasenbändern an den Felsenwänden so unbefangen geht wie
der Dachdecker am Kirchthurm-Gesimse; -- mit einem Wort, der

Auf der Jagd.
anderen Umſtänden unterliegende Thätigkeit, als die zur Wiſſenſchaft
und noblen Paſſion ausgebildete hohe Jagd im Hügel- und Flach¬
lande. Der größte Theil jener Praktiken, welche dort zuläſſig
oder ſogar geboten ſind, und deren genaue Kenntniß und fertige
Handhabung den flotten Jäger kennzeichnen, können in den Alpen
nicht in Anwendung kommen; es iſt keine paragraphiſch-ſyſtemati¬
ſirte Waidmannskunſt, die ſich theoretiſch aus Büchern einſchulen
läßt, um ritterlich-elegante Komödie damit zu treiben, ſondern ſo
urnatürlich derb und wild, wie die Alpen ſelbſt, iſt auch die Jagd.
Wer nicht das Zeug dazu in Knochen und Blut, in Muskeln und
Faſern hat, wer nicht Gefahren und Strapazen lachend die Stirn
bieten kann, weſſen Auge nicht ſcharf und ſchwindelfrei in Ab¬
gründe zu blicken vermag, der laſſe den Stutzen daheim, oder ver¬
ſuche ſein Glück drunten im blaſſen, dürren Stoppelfelde und
zwiſchen den Krautäckern, wo ihm der Hund den Haſen fangen
hilft oder die Kitte Hühner vor den Schuß bringt. In den Alpen
gilts wilden Beſtien: Bären, Wölfen, Adlern und Geiern, oder
der flüchtigen, weit witternden Gemſe, oder den ſchlauen, ſcheuen,
Stein- und Schneehühnern. Es kann Einer ein perfekter Nimrod
auf Rothwild ſein und in der Sauhatz ſchon mancher Bache den
Garaus gemacht haben, ohne auch nur eins der bezeichneten Alpen¬
thiere erlegen zu können.

Zuvörderſt gehört Mark in den Knochen dazu, ein leichter,
ſicherer Tritt, der, wenn auch Geröll und faulendes Geſtein an
jäher Bergwand ihm unter den harten, ſtachelbewaffneten Sohlen
weicht, dennoch mit Sicherheit und kalter Ruhe darüber hinweg¬
eilt, der ſich zu helfen weiß im Labyrinth der Gletſcher-Spalten
und an der glatten, trügeriſchen Firnhalde, wie ſie im früheren
Abſchnitt „Alpenſpitzen“ geſchildert wurden, — der nicht vorm
Wageſprung zurückſchreckt in den kahlen Kalkklippen, und der auf
den Raſenbändern an den Felſenwänden ſo unbefangen geht wie
der Dachdecker am Kirchthurm-Geſimſe; — mit einem Wort, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0458" n="410"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Auf der Jagd</hi>.<lb/></fw> anderen Um&#x017F;tänden unterliegende Thätigkeit, als die zur Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
und noblen Pa&#x017F;&#x017F;ion ausgebildete hohe Jagd im Hügel- und Flach¬<lb/>
lande. Der größte Theil jener Praktiken, welche dort zulä&#x017F;&#x017F;ig<lb/>
oder &#x017F;ogar geboten &#x017F;ind, und deren genaue Kenntniß und fertige<lb/>
Handhabung den flotten Jäger kennzeichnen, können in den Alpen<lb/>
nicht in Anwendung kommen; es i&#x017F;t keine paragraphi&#x017F;ch-&#x017F;y&#x017F;temati¬<lb/>
&#x017F;irte Waidmannskun&#x017F;t, die &#x017F;ich theoreti&#x017F;ch aus Büchern ein&#x017F;chulen<lb/>
läßt, um ritterlich-elegante Komödie damit zu treiben, &#x017F;ondern &#x017F;o<lb/>
urnatürlich derb und wild, wie die Alpen &#x017F;elb&#x017F;t, i&#x017F;t auch die Jagd.<lb/>
Wer nicht das Zeug dazu in Knochen und Blut, in Muskeln und<lb/>
Fa&#x017F;ern hat, wer nicht Gefahren und Strapazen lachend die Stirn<lb/>
bieten kann, we&#x017F;&#x017F;en Auge nicht &#x017F;charf und &#x017F;chwindelfrei in Ab¬<lb/>
gründe zu blicken vermag, der la&#x017F;&#x017F;e den Stutzen daheim, oder ver¬<lb/>
&#x017F;uche &#x017F;ein Glück drunten im bla&#x017F;&#x017F;en, dürren Stoppelfelde und<lb/>
zwi&#x017F;chen den Krautäckern, wo ihm der Hund den Ha&#x017F;en fangen<lb/>
hilft oder die Kitte Hühner vor den Schuß bringt. In den Alpen<lb/>
gilts wilden Be&#x017F;tien: Bären, Wölfen, Adlern und Geiern, oder<lb/>
der flüchtigen, weit witternden Gem&#x017F;e, oder den &#x017F;chlauen, &#x017F;cheuen,<lb/>
Stein- und Schneehühnern. Es kann Einer ein perfekter Nimrod<lb/>
auf Rothwild &#x017F;ein und in der Sauhatz &#x017F;chon mancher Bache den<lb/>
Garaus gemacht haben, ohne auch nur eins der bezeichneten Alpen¬<lb/>
thiere erlegen zu können.</p><lb/>
        <p>Zuvörder&#x017F;t gehört Mark in den Knochen dazu, ein leichter,<lb/>
&#x017F;icherer Tritt, der, wenn auch Geröll und faulendes Ge&#x017F;tein an<lb/>
jäher Bergwand ihm unter den harten, &#x017F;tachelbewaffneten Sohlen<lb/>
weicht, dennoch mit Sicherheit und kalter Ruhe darüber hinweg¬<lb/>
eilt, der &#x017F;ich zu helfen weiß im Labyrinth der Glet&#x017F;cher-Spalten<lb/>
und an der glatten, trügeri&#x017F;chen Firnhalde, wie &#x017F;ie im früheren<lb/>
Ab&#x017F;chnitt &#x201E;Alpen&#x017F;pitzen&#x201C; ge&#x017F;childert wurden, &#x2014; der nicht vorm<lb/>
Wage&#x017F;prung zurück&#x017F;chreckt in den kahlen Kalkklippen, und der auf<lb/>
den Ra&#x017F;enbändern an den Fel&#x017F;enwänden &#x017F;o unbefangen geht wie<lb/>
der Dachdecker am Kirchthurm-Ge&#x017F;im&#x017F;e; &#x2014; mit einem Wort, der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0458] Auf der Jagd. anderen Umſtänden unterliegende Thätigkeit, als die zur Wiſſenſchaft und noblen Paſſion ausgebildete hohe Jagd im Hügel- und Flach¬ lande. Der größte Theil jener Praktiken, welche dort zuläſſig oder ſogar geboten ſind, und deren genaue Kenntniß und fertige Handhabung den flotten Jäger kennzeichnen, können in den Alpen nicht in Anwendung kommen; es iſt keine paragraphiſch-ſyſtemati¬ ſirte Waidmannskunſt, die ſich theoretiſch aus Büchern einſchulen läßt, um ritterlich-elegante Komödie damit zu treiben, ſondern ſo urnatürlich derb und wild, wie die Alpen ſelbſt, iſt auch die Jagd. Wer nicht das Zeug dazu in Knochen und Blut, in Muskeln und Faſern hat, wer nicht Gefahren und Strapazen lachend die Stirn bieten kann, weſſen Auge nicht ſcharf und ſchwindelfrei in Ab¬ gründe zu blicken vermag, der laſſe den Stutzen daheim, oder ver¬ ſuche ſein Glück drunten im blaſſen, dürren Stoppelfelde und zwiſchen den Krautäckern, wo ihm der Hund den Haſen fangen hilft oder die Kitte Hühner vor den Schuß bringt. In den Alpen gilts wilden Beſtien: Bären, Wölfen, Adlern und Geiern, oder der flüchtigen, weit witternden Gemſe, oder den ſchlauen, ſcheuen, Stein- und Schneehühnern. Es kann Einer ein perfekter Nimrod auf Rothwild ſein und in der Sauhatz ſchon mancher Bache den Garaus gemacht haben, ohne auch nur eins der bezeichneten Alpen¬ thiere erlegen zu können. Zuvörderſt gehört Mark in den Knochen dazu, ein leichter, ſicherer Tritt, der, wenn auch Geröll und faulendes Geſtein an jäher Bergwand ihm unter den harten, ſtachelbewaffneten Sohlen weicht, dennoch mit Sicherheit und kalter Ruhe darüber hinweg¬ eilt, der ſich zu helfen weiß im Labyrinth der Gletſcher-Spalten und an der glatten, trügeriſchen Firnhalde, wie ſie im früheren Abſchnitt „Alpenſpitzen“ geſchildert wurden, — der nicht vorm Wageſprung zurückſchreckt in den kahlen Kalkklippen, und der auf den Raſenbändern an den Felſenwänden ſo unbefangen geht wie der Dachdecker am Kirchthurm-Geſimſe; — mit einem Wort, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/458
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/458>, abgerufen am 24.04.2024.