Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite
Wird wider GOtt zu murren
Anno 1711.
§. 110.

Je tieffer in Sommer ich hinein kam, ie
gesünder und munterer wurde ich. Collegia
halten war meine Lust, und es war immer ein
Groschen Geld in Leipzig zu verdienen, nach
meinem gewöhnlichen Sprüch- und Schertz-
Wort, wenn einer auch nur was weniges ge-
lernet hat. Aber siehe, wenn es geht nach
des Fleisches Muth, so will der Mensch in der
Gottseligkeit erkalten, und der alte Adam fän-
get an wieder warm zu werden, wenn er auch
schon sonst noch so starre, oder auch gantz er-
frohren zu seyn scheinet. Es fieng mich an
der Unwille wieder zu plagen, der mich zu
Ende des vorigen Jahres schon, nachdem ich
mich in etwas erholet, nicht wenig verunruhi-
get hatte. Jch solte eine Pfarre bekommen,
und doch mein Lebtage an keine Knarre dabey
gedencken. Das war mir aber eine Pein,
nur daran zu gedencken. Jch bat GOTT,
er möchte mich doch diese Gratiam victoriosam,
von welcher die Jansenisten und Augustinisch-
Gesinnten so viel zu reden wissen, in großem
Maaße schmecken laßen, welche macht, daß
man Ehre, Reichthum, und alles Vergnügen,
was etwan dieser Stand scheinet mit sich zu

führen,
Wird wider GOtt zu murren
Anno 1711.
§. 110.

Je tieffer in Sommer ich hinein kam, ie
geſuͤnder und munterer wurde ich. Collegia
halten war meine Luſt, und es war immer ein
Groſchen Geld in Leipzig zu verdienen, nach
meinem gewoͤhnlichen Spruͤch- und Schertz-
Wort, wenn einer auch nur was weniges ge-
lernet hat. Aber ſiehe, wenn es geht nach
des Fleiſches Muth, ſo will der Menſch in der
Gottſeligkeit erkalten, und der alte Adam faͤn-
get an wieder warm zu werden, wenn er auch
ſchon ſonſt noch ſo ſtarre, oder auch gantz er-
frohren zu ſeyn ſcheinet. Es fieng mich an
der Unwille wieder zu plagen, der mich zu
Ende des vorigen Jahres ſchon, nachdem ich
mich in etwas erholet, nicht wenig verunruhi-
get hatte. Jch ſolte eine Pfarre bekommen,
und doch mein Lebtage an keine Knarre dabey
gedencken. Das war mir aber eine Pein,
nur daran zu gedencken. Jch bat GOTT,
er moͤchte mich doch dieſe Gratiam victorioſam,
von welcher die Janſeniſten und Auguſtiniſch-
Geſinnten ſo viel zu reden wiſſen, in großem
Maaße ſchmecken laßen, welche macht, daß
man Ehre, Reichthum, und alles Vergnuͤgen,
was etwan dieſer Stand ſcheinet mit ſich zu

fuͤhren,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0540" n="494"/>
      <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Wird wider GOtt zu murren</hi> </fw><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Anno</hi> 1711.</hi><lb/>
§. 110.</hi> </head><lb/>
        <p>Je tieffer in Sommer ich hinein kam, ie<lb/>
ge&#x017F;u&#x0364;nder und munterer wurde ich. <hi rendition="#aq">Collegia</hi><lb/>
halten war meine Lu&#x017F;t, und es war immer ein<lb/>
Gro&#x017F;chen Geld in Leipzig zu verdienen, nach<lb/>
meinem gewo&#x0364;hnlichen Spru&#x0364;ch- und Schertz-<lb/>
Wort, wenn einer auch nur was weniges ge-<lb/>
lernet hat. Aber &#x017F;iehe, wenn es geht nach<lb/>
des Flei&#x017F;ches Muth, &#x017F;o will der Men&#x017F;ch in der<lb/>
Gott&#x017F;eligkeit erkalten, und der alte Adam fa&#x0364;n-<lb/>
get an wieder warm zu werden, wenn er auch<lb/>
&#x017F;chon &#x017F;on&#x017F;t noch &#x017F;o &#x017F;tarre, oder auch gantz er-<lb/>
frohren zu &#x017F;eyn &#x017F;cheinet. Es fieng mich an<lb/>
der Unwille wieder zu plagen, der mich zu<lb/>
Ende des vorigen Jahres &#x017F;chon, nachdem ich<lb/>
mich in etwas erholet, nicht wenig verunruhi-<lb/>
get hatte. Jch &#x017F;olte eine Pfarre bekommen,<lb/>
und doch mein Lebtage an keine Knarre dabey<lb/>
gedencken. Das war mir aber eine Pein,<lb/>
nur daran zu gedencken. Jch bat <hi rendition="#g">GOTT,</hi><lb/>
er mo&#x0364;chte mich doch die&#x017F;e <hi rendition="#aq">Gratiam victorio&#x017F;am,</hi><lb/>
von welcher die <hi rendition="#aq">Jan&#x017F;eni&#x017F;t</hi>en und <hi rendition="#aq">Augu&#x017F;tini</hi>&#x017F;ch-<lb/>
Ge&#x017F;innten &#x017F;o viel zu reden wi&#x017F;&#x017F;en, in großem<lb/>
Maaße &#x017F;chmecken laßen, welche macht, daß<lb/>
man Ehre, Reichthum, und alles Vergnu&#x0364;gen,<lb/>
was etwan die&#x017F;er Stand &#x017F;cheinet mit &#x017F;ich zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;hren,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[494/0540] Wird wider GOtt zu murren Anno 1711. §. 110. Je tieffer in Sommer ich hinein kam, ie geſuͤnder und munterer wurde ich. Collegia halten war meine Luſt, und es war immer ein Groſchen Geld in Leipzig zu verdienen, nach meinem gewoͤhnlichen Spruͤch- und Schertz- Wort, wenn einer auch nur was weniges ge- lernet hat. Aber ſiehe, wenn es geht nach des Fleiſches Muth, ſo will der Menſch in der Gottſeligkeit erkalten, und der alte Adam faͤn- get an wieder warm zu werden, wenn er auch ſchon ſonſt noch ſo ſtarre, oder auch gantz er- frohren zu ſeyn ſcheinet. Es fieng mich an der Unwille wieder zu plagen, der mich zu Ende des vorigen Jahres ſchon, nachdem ich mich in etwas erholet, nicht wenig verunruhi- get hatte. Jch ſolte eine Pfarre bekommen, und doch mein Lebtage an keine Knarre dabey gedencken. Das war mir aber eine Pein, nur daran zu gedencken. Jch bat GOTT, er moͤchte mich doch dieſe Gratiam victorioſam, von welcher die Janſeniſten und Auguſtiniſch- Geſinnten ſo viel zu reden wiſſen, in großem Maaße ſchmecken laßen, welche macht, daß man Ehre, Reichthum, und alles Vergnuͤgen, was etwan dieſer Stand ſcheinet mit ſich zu fuͤhren,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/540
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/540>, abgerufen am 28.03.2024.