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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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nicht wenig sauer gemacht,
Zagen. Jn der Pnevmatique solte ich, wie ich
sonst gewohnet war, wenn ich der Auditorum viel
hatte, nach der neuern Philosophie zeigen, wie
es zugehe, wenn die Phantasie bey den Menschen
laediret wird: woher es komme, wie es wohl
eher geschehen, daß, wenn ein schwanger Weib,
so eine schwache Imagination hat, einen rädern
siehet, sie ein Kind auf die Welt bringet, dem
Arme und Beine zubrochen; und andere selt-
same Phaenomena mehr, so von einer kränckli-
chen Einbildungs-Krafft herkommen. Aber
mit was vor zittern, und beben, und stocken in der
Rede solches geschehen, so daß ich immer dachte.
ich müste vom Stuhle fallen, ist nicht zu beschrei-
ben. Ja, wenn ich auch sonst, so offt ich
mit eben dieser Maladie behafftet gewesen, des
Abends das Moral-Collegium hielt, so wuste ich
kaum, wie ich aus der Stube auf dem langen
Saale durch die Studiosos durchkommen solte,
und danckte GOTT, wenn ich ohne umzufallen
bis zu meinem Stuhle, der in der Mitte des
Saales stund, hingelangte.

Anno 1715.
§. 131.

Jch war zu solcher Zeit so wunderlich, daß
ich nicht vertragen kunte, wenn mein Famulus
mir zuhörte, da ich solches ihm zu verbieten keine

sonder-

nicht wenig ſauer gemacht,
Zagen. Jn der Pnevmatique ſolte ich, wie ich
ſonſt gewohnet war, wenn ich der Auditorum viel
hatte, nach der neuern Philoſophie zeigen, wie
es zugehe, wenn die Phantaſie bey den Menſchen
lædiret wird: woher es komme, wie es wohl
eher geſchehen, daß, wenn ein ſchwanger Weib,
ſo eine ſchwache Imagination hat, einen raͤdern
ſiehet, ſie ein Kind auf die Welt bringet, dem
Arme und Beine zubrochen; und andere ſelt-
ſame Phænomena mehr, ſo von einer kraͤnckli-
chen Einbildungs-Krafft herkommen. Aber
mit was vor zittern, und beben, und ſtocken in der
Rede ſolches geſchehen, ſo daß ich immer dachte.
ich muͤſte vom Stuhle fallen, iſt nicht zu beſchrei-
ben. Ja, wenn ich auch ſonſt, ſo offt ich
mit eben dieſer Maladie behafftet geweſen, des
Abends das Moral-Collegium hielt, ſo wuſte ich
kaum, wie ich aus der Stube auf dem langen
Saale durch die Studioſos durchkommen ſolte,
und danckte GOTT, wenn ich ohne umzufallen
bis zu meinem Stuhle, der in der Mitte des
Saales ſtund, hingelangte.

Anno 1715.
§. 131.

Jch war zu ſolcher Zeit ſo wunderlich, daß
ich nicht vertragen kunte, wenn mein Famulus
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[604/0650] nicht wenig ſauer gemacht, Zagen. Jn der Pnevmatique ſolte ich, wie ich ſonſt gewohnet war, wenn ich der Auditorum viel hatte, nach der neuern Philoſophie zeigen, wie es zugehe, wenn die Phantaſie bey den Menſchen lædiret wird: woher es komme, wie es wohl eher geſchehen, daß, wenn ein ſchwanger Weib, ſo eine ſchwache Imagination hat, einen raͤdern ſiehet, ſie ein Kind auf die Welt bringet, dem Arme und Beine zubrochen; und andere ſelt- ſame Phænomena mehr, ſo von einer kraͤnckli- chen Einbildungs-Krafft herkommen. Aber mit was vor zittern, und beben, und ſtocken in der Rede ſolches geſchehen, ſo daß ich immer dachte. ich muͤſte vom Stuhle fallen, iſt nicht zu beſchrei- ben. Ja, wenn ich auch ſonſt, ſo offt ich mit eben dieſer Maladie behafftet geweſen, des Abends das Moral-Collegium hielt, ſo wuſte ich kaum, wie ich aus der Stube auf dem langen Saale durch die Studioſos durchkommen ſolte, und danckte GOTT, wenn ich ohne umzufallen bis zu meinem Stuhle, der in der Mitte des Saales ſtund, hingelangte. Anno 1715. §. 131. Jch war zu ſolcher Zeit ſo wunderlich, daß ich nicht vertragen kunte, wenn mein Famulus mir zuhoͤrte, da ich ſolches ihm zu verbieten keine ſonder-

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/650>, abgerufen am 29.03.2024.