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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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nicht zu Grabe gehen:
ich ein Handwercks-Pursche, oder ein Studiosus
wäre. Erführe er, daß ich studirte, so wäre
zu befürchten, daß sie mich zu den Jesuitern in
die Schule zu gehen nöthigten; oder es würde
doch mit der Losmachung einmahl härter halten,
und solche mehr Geld kosten. Mein Vater
befand diese Ursache vor wichtig, und meine
Brüder auch; ich durffte also nicht mit zum
Begräbniß gehen. Also hatte meine Schwester
auf ihrem Sterbe-Bette geweißaget, und zu-
künfftige zufällige Dinge vorher gewust: schier
nach der Lehre des ehemahligen Herrn D. Rüdi-
gers, der den Menschen alsdenn den grösten
und meisten Verstand zuschrieb, wenn sie deßen
am wenigsten haben; indem er nach seiner Be-
gierde, die er hatte, alles natürlich, und alle
außerordentliche Würckungen GOttes zweifel-
hafftig zu machen, vorgab, daß die im Verstande
verrückten, oder mit dem Tode ringende Leute
zum diviniren, und vaticiniren am geschicktesten
wären.

Anno 1693.
§. 23.

Da ich diesen Sommer bald hier, bald da
mein Nacht-Lager aufschlagen müßen, so bekam
ich um das Ende desselben sedem fixiorem, und
einen beständigen Auffenthalt; zum wenigsten

auf

nicht zu Grabe gehen:
ich ein Handwercks-Purſche, oder ein Studioſus
waͤre. Erfuͤhre er, daß ich ſtudirte, ſo waͤre
zu befuͤrchten, daß ſie mich zu den Jeſuitern in
die Schule zu gehen noͤthigten; oder es wuͤrde
doch mit der Losmachung einmahl haͤrter halten,
und ſolche mehr Geld koſten. Mein Vater
befand dieſe Urſache vor wichtig, und meine
Bruͤder auch; ich durffte alſo nicht mit zum
Begraͤbniß gehen. Alſo hatte meine Schweſter
auf ihrem Sterbe-Bette geweißaget, und zu-
kuͤnfftige zufaͤllige Dinge vorher gewuſt: ſchier
nach der Lehre des ehemahligen Herrn D. Ruͤdi-
gers, der den Menſchen alsdenn den groͤſten
und meiſten Verſtand zuſchrieb, wenn ſie deßen
am wenigſten haben; indem er nach ſeiner Be-
gierde, die er hatte, alles natuͤrlich, und alle
außerordentliche Wuͤrckungen GOttes zweifel-
hafftig zu machen, vorgab, daß die im Verſtande
verruͤckten, oder mit dem Tode ringende Leute
zum diviniren, und vaticiniren am geſchickteſten
waͤren.

Anno 1693.
§. 23.

Da ich dieſen Sommer bald hier, bald da
mein Nacht-Lager aufſchlagen muͤßen, ſo bekam
ich um das Ende deſſelben ſedem fixiorem, und
einen beſtaͤndigen Auffenthalt; zum wenigſten

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[94/0140] nicht zu Grabe gehen: ich ein Handwercks-Purſche, oder ein Studioſus waͤre. Erfuͤhre er, daß ich ſtudirte, ſo waͤre zu befuͤrchten, daß ſie mich zu den Jeſuitern in die Schule zu gehen noͤthigten; oder es wuͤrde doch mit der Losmachung einmahl haͤrter halten, und ſolche mehr Geld koſten. Mein Vater befand dieſe Urſache vor wichtig, und meine Bruͤder auch; ich durffte alſo nicht mit zum Begraͤbniß gehen. Alſo hatte meine Schweſter auf ihrem Sterbe-Bette geweißaget, und zu- kuͤnfftige zufaͤllige Dinge vorher gewuſt: ſchier nach der Lehre des ehemahligen Herrn D. Ruͤdi- gers, der den Menſchen alsdenn den groͤſten und meiſten Verſtand zuſchrieb, wenn ſie deßen am wenigſten haben; indem er nach ſeiner Be- gierde, die er hatte, alles natuͤrlich, und alle außerordentliche Wuͤrckungen GOttes zweifel- hafftig zu machen, vorgab, daß die im Verſtande verruͤckten, oder mit dem Tode ringende Leute zum diviniren, und vaticiniren am geſchickteſten waͤren. Anno 1693. §. 23. Da ich dieſen Sommer bald hier, bald da mein Nacht-Lager aufſchlagen muͤßen, ſo bekam ich um das Ende deſſelben ſedem fixiorem, und einen beſtaͤndigen Auffenthalt; zum wenigſten auf

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/140>, abgerufen am 19.04.2024.