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Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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von sich. Mach mich nicht unglücklich, Mädchen, rief er, sonst weiß Gott, was aus euch Allen wird.

Als Lieschen die Augen wieder erhob, war sie allein. Sie raffte sich empor, sie wankte weg und fiel wie bewußtlos auf ihr Bette. Aber diese Bewußtlosigkeit wich einem instinktartigen Gefühl von Angst. Wenn eine Ratte knisterte, die Thür in der Angel bebte, fuhr sie in die Höhe und hüllte sich fester in ihre Decke; sie fror, die Zähne klapperten ihr. Sie dankte Gott als es wieder Tag ward; sie stand in ihren Kleidern auf, wie sie sich niedergelegt, sie ordnete sie -- ach, mußte sie denn hinuntergehen? Der Gedanke, Fritz könne kommen und von dem schrecklichen Vater mit dem Schlimmsten empfangen werden, beflügelte ihre Schritte. So brachte sie einige Stunden lautlos in der Gegenwart Derer zu, die sie so unglücklich machten. Es schlug neun Uhr. Da klopfte es an der Thür -- wie schlug ihr das Herz! Fritz trat ein, blässer als gewöhnlich, aber festlich gekleidet -- der Pathe hatte sich nicht damit befassen wollen. Er grüßte Alle, die Mutter war nicht gegenwärtig, Mariechen saß und krüllte Erbsen, Lieschen nähte, ohne zu sehen, wohin sie stach.

Guten Tag, Nachbar, ich habe mit Euch zu reden, sagte Fritz.

Ich weiß, warum Ihr kommt, erwiderte jener; aber es thut mir leid, daraus kann nichts werden: denn seht, meine Tochter ist Braut.

Braut! schrie Fritz.

von sich. Mach mich nicht unglücklich, Mädchen, rief er, sonst weiß Gott, was aus euch Allen wird.

Als Lieschen die Augen wieder erhob, war sie allein. Sie raffte sich empor, sie wankte weg und fiel wie bewußtlos auf ihr Bette. Aber diese Bewußtlosigkeit wich einem instinktartigen Gefühl von Angst. Wenn eine Ratte knisterte, die Thür in der Angel bebte, fuhr sie in die Höhe und hüllte sich fester in ihre Decke; sie fror, die Zähne klapperten ihr. Sie dankte Gott als es wieder Tag ward; sie stand in ihren Kleidern auf, wie sie sich niedergelegt, sie ordnete sie — ach, mußte sie denn hinuntergehen? Der Gedanke, Fritz könne kommen und von dem schrecklichen Vater mit dem Schlimmsten empfangen werden, beflügelte ihre Schritte. So brachte sie einige Stunden lautlos in der Gegenwart Derer zu, die sie so unglücklich machten. Es schlug neun Uhr. Da klopfte es an der Thür — wie schlug ihr das Herz! Fritz trat ein, blässer als gewöhnlich, aber festlich gekleidet — der Pathe hatte sich nicht damit befassen wollen. Er grüßte Alle, die Mutter war nicht gegenwärtig, Mariechen saß und krüllte Erbsen, Lieschen nähte, ohne zu sehen, wohin sie stach.

Guten Tag, Nachbar, ich habe mit Euch zu reden, sagte Fritz.

Ich weiß, warum Ihr kommt, erwiderte jener; aber es thut mir leid, daraus kann nichts werden: denn seht, meine Tochter ist Braut.

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[0037] von sich. Mach mich nicht unglücklich, Mädchen, rief er, sonst weiß Gott, was aus euch Allen wird. Als Lieschen die Augen wieder erhob, war sie allein. Sie raffte sich empor, sie wankte weg und fiel wie bewußtlos auf ihr Bette. Aber diese Bewußtlosigkeit wich einem instinktartigen Gefühl von Angst. Wenn eine Ratte knisterte, die Thür in der Angel bebte, fuhr sie in die Höhe und hüllte sich fester in ihre Decke; sie fror, die Zähne klapperten ihr. Sie dankte Gott als es wieder Tag ward; sie stand in ihren Kleidern auf, wie sie sich niedergelegt, sie ordnete sie — ach, mußte sie denn hinuntergehen? Der Gedanke, Fritz könne kommen und von dem schrecklichen Vater mit dem Schlimmsten empfangen werden, beflügelte ihre Schritte. So brachte sie einige Stunden lautlos in der Gegenwart Derer zu, die sie so unglücklich machten. Es schlug neun Uhr. Da klopfte es an der Thür — wie schlug ihr das Herz! Fritz trat ein, blässer als gewöhnlich, aber festlich gekleidet — der Pathe hatte sich nicht damit befassen wollen. Er grüßte Alle, die Mutter war nicht gegenwärtig, Mariechen saß und krüllte Erbsen, Lieschen nähte, ohne zu sehen, wohin sie stach. Guten Tag, Nachbar, ich habe mit Euch zu reden, sagte Fritz. Ich weiß, warum Ihr kommt, erwiderte jener; aber es thut mir leid, daraus kann nichts werden: denn seht, meine Tochter ist Braut. Braut! schrie Fritz.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt, c/o Prof. Dr. Thomas Weitin, TU Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-10T13:46:34Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/37>, abgerufen am 16.04.2024.