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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 241. Begriff des Betrugs.
Einundzwanzigster Titel.
Betrug.
§. 241.

Wer in gewinnsüchtiger Absicht das Vermögen eines Anderen dadurch be-
schädigt, daß er durch Vorbringen falscher oder durch Entstellen oder Unter-
drücken wahrer Thatsachen einen Irrthum erregt, begeht einen Betrug.



Ueber die Behandlung des Betrugs im Strafrecht haben sich in
den verschiedenen Gesetzgebungen zwei von einander abweichende Ansich-
ten geltend gemacht. Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20.
§. 1256-68.) hat auf Grund des gemeinen Deutschen Kriminalrechts
den Betrug ganz im Allgemeinen als Verbrechen betrachtet und unter
Strafe gestellt, und die neueren Deutschen Strafgesetzbücher haben, wenn
auch mit manchen Abweichungen im Einzelnen, denselben Weg einge-
schlagen. a) Der Code penal dagegen hat sich begnügt, einzelne Arten
der betrüglichen Vermögensbeschädigung hervorzuheben und mit Strafe
zu bedrohen. b) Die Frage, welche von diesen beiden Ansichten den
Vorzug verdiene, wurde in den ersten Stadien der Revision Gegenstand
wiederholter Erörterungen, die sich in den Protokollen der Staatsraths-
Kommission in folgender Weise zusammengefaßt finden:

"Der Revisor und mehrere Mitglieder der früheren Revisions-Kom-
mission haben sich für die letztere Alternative (des Französischen Rechts)
entschieden. Zur Begründung dieser Ansicht haben dieselben bemerkt,
daß der Betrug an sich bloß Mittel zum Verbrechen und nicht Verbre-
chen selbst sei. Der Betrug sei nichts weiter, als die Art und Weise,
einen Andern zu täuschen, ihn etwas für wahr halten zu lassen, was
es nicht sei; daher liege im Betruge an sich keine Rechtsverletzung, in-
sofern man nicht ein Recht auf Wahrheit annehme; eine solche Fiktion
sei aber dem natürlichen Umfange des Rechts, als einer vernünftig er-
zwingbaren Nothwendigkeit zuwider. So wenig daher der Betrug im
Allgemeinen, als eine bloße Form zur Verübung von Rechtsverletzun-
gen, an und für sich, ein Verbrechen sei, so wenig könne auch jede durch

a) Sächs. Criminalgesetzb. Art. 245. 246. -- Württemberg. Straf-
gesetzb.
Art. 351. -- Hannov. Criminalgesetzb. Art. 308. -- Braunschweig.
Criminalgesetzb.
§. 224. -- Hessisches Strafgesetzbuch Art. 391. -- Ba-
disches Strafgesetzbuch
§. 450. -- Thüring. Strafgesetzb. Art. 236.
b) Code penal. Livre III. Tit. II. Sect. II. Banqueroutes, Escroque-
ries et autres especes de Fraude. Art.
402-33.
Beseler Kommentar. 30
§. 241. Begriff des Betrugs.
Einundzwanzigſter Titel.
Betrug.
§. 241.

Wer in gewinnſüchtiger Abſicht das Vermögen eines Anderen dadurch be-
ſchädigt, daß er durch Vorbringen falſcher oder durch Entſtellen oder Unter-
drücken wahrer Thatſachen einen Irrthum erregt, begeht einen Betrug.



Ueber die Behandlung des Betrugs im Strafrecht haben ſich in
den verſchiedenen Geſetzgebungen zwei von einander abweichende Anſich-
ten geltend gemacht. Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20.
§. 1256-68.) hat auf Grund des gemeinen Deutſchen Kriminalrechts
den Betrug ganz im Allgemeinen als Verbrechen betrachtet und unter
Strafe geſtellt, und die neueren Deutſchen Strafgeſetzbücher haben, wenn
auch mit manchen Abweichungen im Einzelnen, denſelben Weg einge-
ſchlagen. a) Der Code pénal dagegen hat ſich begnügt, einzelne Arten
der betrüglichen Vermögensbeſchädigung hervorzuheben und mit Strafe
zu bedrohen. b) Die Frage, welche von dieſen beiden Anſichten den
Vorzug verdiene, wurde in den erſten Stadien der Reviſion Gegenſtand
wiederholter Erörterungen, die ſich in den Protokollen der Staatsraths-
Kommiſſion in folgender Weiſe zuſammengefaßt finden:

„Der Reviſor und mehrere Mitglieder der früheren Reviſions-Kom-
miſſion haben ſich für die letztere Alternative (des Franzöſiſchen Rechts)
entſchieden. Zur Begründung dieſer Anſicht haben dieſelben bemerkt,
daß der Betrug an ſich bloß Mittel zum Verbrechen und nicht Verbre-
chen ſelbſt ſei. Der Betrug ſei nichts weiter, als die Art und Weiſe,
einen Andern zu täuſchen, ihn etwas für wahr halten zu laſſen, was
es nicht ſei; daher liege im Betruge an ſich keine Rechtsverletzung, in-
ſofern man nicht ein Recht auf Wahrheit annehme; eine ſolche Fiktion
ſei aber dem natürlichen Umfange des Rechts, als einer vernünftig er-
zwingbaren Nothwendigkeit zuwider. So wenig daher der Betrug im
Allgemeinen, als eine bloße Form zur Verübung von Rechtsverletzun-
gen, an und für ſich, ein Verbrechen ſei, ſo wenig könne auch jede durch

a) Sächſ. Criminalgeſetzb. Art. 245. 246. — Württemberg. Straf-
geſetzb.
Art. 351. — Hannov. Criminalgeſetzb. Art. 308. — Braunſchweig.
Criminalgeſetzb.
§. 224. — Heſſiſches Strafgeſetzbuch Art. 391. — Ba-
diſches Strafgeſetzbuch
§. 450. — Thüring. Strafgeſetzb. Art. 236.
b) Code pénal. Livre III. Tit. II. Sect. II. Banqueroutes, Escroque-
ries et autres espèces de Fraude. Art.
402-33.
Beſeler Kommentar. 30
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[457/0467] §. 241. Begriff des Betrugs. Einundzwanzigſter Titel. Betrug. §. 241. Wer in gewinnſüchtiger Abſicht das Vermögen eines Anderen dadurch be- ſchädigt, daß er durch Vorbringen falſcher oder durch Entſtellen oder Unter- drücken wahrer Thatſachen einen Irrthum erregt, begeht einen Betrug. Ueber die Behandlung des Betrugs im Strafrecht haben ſich in den verſchiedenen Geſetzgebungen zwei von einander abweichende Anſich- ten geltend gemacht. Das Allgemeine Landrecht (Th. II. Tit. 20. §. 1256-68.) hat auf Grund des gemeinen Deutſchen Kriminalrechts den Betrug ganz im Allgemeinen als Verbrechen betrachtet und unter Strafe geſtellt, und die neueren Deutſchen Strafgeſetzbücher haben, wenn auch mit manchen Abweichungen im Einzelnen, denſelben Weg einge- ſchlagen. a) Der Code pénal dagegen hat ſich begnügt, einzelne Arten der betrüglichen Vermögensbeſchädigung hervorzuheben und mit Strafe zu bedrohen. b) Die Frage, welche von dieſen beiden Anſichten den Vorzug verdiene, wurde in den erſten Stadien der Reviſion Gegenſtand wiederholter Erörterungen, die ſich in den Protokollen der Staatsraths- Kommiſſion in folgender Weiſe zuſammengefaßt finden: „Der Reviſor und mehrere Mitglieder der früheren Reviſions-Kom- miſſion haben ſich für die letztere Alternative (des Franzöſiſchen Rechts) entſchieden. Zur Begründung dieſer Anſicht haben dieſelben bemerkt, daß der Betrug an ſich bloß Mittel zum Verbrechen und nicht Verbre- chen ſelbſt ſei. Der Betrug ſei nichts weiter, als die Art und Weiſe, einen Andern zu täuſchen, ihn etwas für wahr halten zu laſſen, was es nicht ſei; daher liege im Betruge an ſich keine Rechtsverletzung, in- ſofern man nicht ein Recht auf Wahrheit annehme; eine ſolche Fiktion ſei aber dem natürlichen Umfange des Rechts, als einer vernünftig er- zwingbaren Nothwendigkeit zuwider. So wenig daher der Betrug im Allgemeinen, als eine bloße Form zur Verübung von Rechtsverletzun- gen, an und für ſich, ein Verbrechen ſei, ſo wenig könne auch jede durch a) Sächſ. Criminalgeſetzb. Art. 245. 246. — Württemberg. Straf- geſetzb. Art. 351. — Hannov. Criminalgeſetzb. Art. 308. — Braunſchweig. Criminalgeſetzb. §. 224. — Heſſiſches Strafgeſetzbuch Art. 391. — Ba- diſches Strafgeſetzbuch §. 450. — Thüring. Strafgeſetzb. Art. 236. b) Code pénal. Livre III. Tit. II. Sect. II. Banqueroutes, Escroque- ries et autres espèces de Fraude. Art. 402-33. Beſeler Kommentar. 30

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/467>, abgerufen am 28.03.2024.