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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Das Einführungsgesetz. Abschnitt I.
neueres allgemeines Gesetz das ältere besondere nicht ohne eine spezielle
Bezugnahme auf dasselbe aufhebt, allein die Entscheidung geben. Es
kommt vielmehr zunächst auf die Auslegung des Art. II. Abs. 2. an,
und es ist im einzelnen Falle festzustellen, ob es sich um Materien han-
delt, in Hinsicht deren das Strafgesetzbuch nichts bestimmt. Beispiels-
weise möge auf die Erörterung verwiesen werden, welche oben (S. 135.
136.) über die Stellung unter Polizei-Aufsicht wegen Kontrebande und
Zolldefraudationen gegeben worden ist. -- Liegen übrigens nicht be-
stimmte Gründe vor, welche die Anwendung der allgemeinen Grundsätze
des Strafgesetzbuchs neben dem besonderen Strafgesetze ausschließen,
z. B. in Betreff der Rückfallsstrafen bei Preßverbrechen (s. oben S. 215.),
so wird im Allgemeinen anzunehmen sein, daß die Absicht des Gesetz-
gebers auf die Herstellung eines gleichmäßigen Rechtszustandes auch in
dieser Beziehung gerichtet gewesen ist. Kommt aber noch hinzu, daß
die Fassung des Strafgesetzbuchs eine solche ist, welche die betreffende
Regel als die unbedingt geltende Norm für alle Fälle aufstellt, wie in
§. 2. und 332., so kann über ihre nothwendige und allgemeine Geltung
kein Zweifel bestehen. Denn das neuere unbedingt gebietende Gesetz hebt
jede entgegenstehende Regel auf.

IV. Wenn eine Vorschrift des Strafgesetzbuchs nur hypothetisch
gegeben ist, indem das Vorhandensein besonderer gesetzlicher Bestimmun-
gen für die Anwendung des aufgestellten Strafmaaßes vorausgesetzt
wird, so versteht es sich von selbst, daß das Gesetzbuch die besonderen
Bestimmungen neben sich bestehen läßt. In diesem Sinne sind manche
Vorschriften des dritten Theiles, z. B. §. 340. Nr. 8., §. 345. Nr. 1.
zu beurtheilen, wie denn nicht zu übersehen ist, daß bei den Uebertre-
tungen im Allgemeinen nur die Aufzählung der wichtigeren Fälle, und
keine eigentliche Kodifikation bezweckt worden ist. g)

Artikel IV.

Die Strafbarkeit einer Handlung, welche vor dem 1. Juli 1851. begangen
ist, wird nach den bisherigen Gesetzen beurtheilt. Ist aber eine solche Hand-
lung in dem gegenwärtigen Strafgesetzbuche mit keiner Strafe, oder mit einer
gelinderen, als der bisher vorgeschriebenen, bedroht, so soll diese Handlung
nach dem gegenwärtigen Strafgesetzbuche beurtheilt werden. Ist es zweifelhaft,
ob die Handlung vor dem 1. Juli 1851. begangen worden, so ist bei der
Entscheidung das mildere Gesetz anzuwenden.



Die in dem Paragraphen aufgestellte Regel entspricht dem auch in
§. 2. des Strafgesetzbuchs anerkannten Rechtsgrundsatze, daß kein Gesetz

g) Wentzel, Ergänzung S. 8.

Das Einführungsgeſetz. Abſchnitt I.
neueres allgemeines Geſetz das ältere beſondere nicht ohne eine ſpezielle
Bezugnahme auf daſſelbe aufhebt, allein die Entſcheidung geben. Es
kommt vielmehr zunächſt auf die Auslegung des Art. II. Abſ. 2. an,
und es iſt im einzelnen Falle feſtzuſtellen, ob es ſich um Materien han-
delt, in Hinſicht deren das Strafgeſetzbuch nichts beſtimmt. Beiſpiels-
weiſe möge auf die Erörterung verwieſen werden, welche oben (S. 135.
136.) über die Stellung unter Polizei-Aufſicht wegen Kontrebande und
Zolldefraudationen gegeben worden iſt. — Liegen übrigens nicht be-
ſtimmte Gründe vor, welche die Anwendung der allgemeinen Grundſätze
des Strafgeſetzbuchs neben dem beſonderen Strafgeſetze ausſchließen,
z. B. in Betreff der Rückfallsſtrafen bei Preßverbrechen (ſ. oben S. 215.),
ſo wird im Allgemeinen anzunehmen ſein, daß die Abſicht des Geſetz-
gebers auf die Herſtellung eines gleichmäßigen Rechtszuſtandes auch in
dieſer Beziehung gerichtet geweſen iſt. Kommt aber noch hinzu, daß
die Faſſung des Strafgeſetzbuchs eine ſolche iſt, welche die betreffende
Regel als die unbedingt geltende Norm für alle Fälle aufſtellt, wie in
§. 2. und 332., ſo kann über ihre nothwendige und allgemeine Geltung
kein Zweifel beſtehen. Denn das neuere unbedingt gebietende Geſetz hebt
jede entgegenſtehende Regel auf.

IV. Wenn eine Vorſchrift des Strafgeſetzbuchs nur hypothetiſch
gegeben iſt, indem das Vorhandenſein beſonderer geſetzlicher Beſtimmun-
gen für die Anwendung des aufgeſtellten Strafmaaßes vorausgeſetzt
wird, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß das Geſetzbuch die beſonderen
Beſtimmungen neben ſich beſtehen läßt. In dieſem Sinne ſind manche
Vorſchriften des dritten Theiles, z. B. §. 340. Nr. 8., §. 345. Nr. 1.
zu beurtheilen, wie denn nicht zu überſehen iſt, daß bei den Uebertre-
tungen im Allgemeinen nur die Aufzählung der wichtigeren Fälle, und
keine eigentliche Kodifikation bezweckt worden iſt. g)

Artikel IV.

Die Strafbarkeit einer Handlung, welche vor dem 1. Juli 1851. begangen
iſt, wird nach den bisherigen Geſetzen beurtheilt. Iſt aber eine ſolche Hand-
lung in dem gegenwärtigen Strafgeſetzbuche mit keiner Strafe, oder mit einer
gelinderen, als der bisher vorgeſchriebenen, bedroht, ſo ſoll dieſe Handlung
nach dem gegenwärtigen Strafgeſetzbuche beurtheilt werden. Iſt es zweifelhaft,
ob die Handlung vor dem 1. Juli 1851. begangen worden, ſo iſt bei der
Entſcheidung das mildere Geſetz anzuwenden.



Die in dem Paragraphen aufgeſtellte Regel entſpricht dem auch in
§. 2. des Strafgeſetzbuchs anerkannten Rechtsgrundſatze, daß kein Geſetz

g) Wentzel, Ergänzung S. 8.
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[602/0612] Das Einführungsgeſetz. Abſchnitt I. neueres allgemeines Geſetz das ältere beſondere nicht ohne eine ſpezielle Bezugnahme auf daſſelbe aufhebt, allein die Entſcheidung geben. Es kommt vielmehr zunächſt auf die Auslegung des Art. II. Abſ. 2. an, und es iſt im einzelnen Falle feſtzuſtellen, ob es ſich um Materien han- delt, in Hinſicht deren das Strafgeſetzbuch nichts beſtimmt. Beiſpiels- weiſe möge auf die Erörterung verwieſen werden, welche oben (S. 135. 136.) über die Stellung unter Polizei-Aufſicht wegen Kontrebande und Zolldefraudationen gegeben worden iſt. — Liegen übrigens nicht be- ſtimmte Gründe vor, welche die Anwendung der allgemeinen Grundſätze des Strafgeſetzbuchs neben dem beſonderen Strafgeſetze ausſchließen, z. B. in Betreff der Rückfallsſtrafen bei Preßverbrechen (ſ. oben S. 215.), ſo wird im Allgemeinen anzunehmen ſein, daß die Abſicht des Geſetz- gebers auf die Herſtellung eines gleichmäßigen Rechtszuſtandes auch in dieſer Beziehung gerichtet geweſen iſt. Kommt aber noch hinzu, daß die Faſſung des Strafgeſetzbuchs eine ſolche iſt, welche die betreffende Regel als die unbedingt geltende Norm für alle Fälle aufſtellt, wie in §. 2. und 332., ſo kann über ihre nothwendige und allgemeine Geltung kein Zweifel beſtehen. Denn das neuere unbedingt gebietende Geſetz hebt jede entgegenſtehende Regel auf. IV. Wenn eine Vorſchrift des Strafgeſetzbuchs nur hypothetiſch gegeben iſt, indem das Vorhandenſein beſonderer geſetzlicher Beſtimmun- gen für die Anwendung des aufgeſtellten Strafmaaßes vorausgeſetzt wird, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß das Geſetzbuch die beſonderen Beſtimmungen neben ſich beſtehen läßt. In dieſem Sinne ſind manche Vorſchriften des dritten Theiles, z. B. §. 340. Nr. 8., §. 345. Nr. 1. zu beurtheilen, wie denn nicht zu überſehen iſt, daß bei den Uebertre- tungen im Allgemeinen nur die Aufzählung der wichtigeren Fälle, und keine eigentliche Kodifikation bezweckt worden iſt. g) Artikel IV. Die Strafbarkeit einer Handlung, welche vor dem 1. Juli 1851. begangen iſt, wird nach den bisherigen Geſetzen beurtheilt. Iſt aber eine ſolche Hand- lung in dem gegenwärtigen Strafgeſetzbuche mit keiner Strafe, oder mit einer gelinderen, als der bisher vorgeſchriebenen, bedroht, ſo ſoll dieſe Handlung nach dem gegenwärtigen Strafgeſetzbuche beurtheilt werden. Iſt es zweifelhaft, ob die Handlung vor dem 1. Juli 1851. begangen worden, ſo iſt bei der Entſcheidung das mildere Geſetz anzuwenden. Die in dem Paragraphen aufgeſtellte Regel entſpricht dem auch in §. 2. des Strafgeſetzbuchs anerkannten Rechtsgrundſatze, daß kein Geſetz g) Wentzel, Ergänzung S. 8.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/612>, abgerufen am 29.03.2024.