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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§§. 102. 103. Beleidigung der Kammer etc.
Amtes, " so wie des Code penal (Art. 222.): dans l'exercice de leurs
fonctions ou a l'occasion de cet exerice.
Sie drückt dasselbe aus,
was die älteren Juristen unter den Worten: ratione officii oder intuitu
officii
verstanden, leidet aber freilich auch an derselben Unbestimmtheit
des Begriffs. Im Allgemeinen wird der Unterschied darein zu setzen
sein, ob der Beamte u. s. w. als solcher oder als Privatperson belei-
digt worden, was dem auch auf Körperschaften und Behörden anzu-
wenden ist.

IV. Hinsichtlich der Strafe wird unterschieden die Beleidigung und
die Verleumdung. Die der ersteren ist beträchlich höher, als sie bei der
öffentlichen Privatehrverletzung vorgeschrieben worden(§. 152.), -- es
ist die der einfachen Verleumdung (§. 156. Abs. 1.); die einfache Ver-
leumdung ist hier der öffentlichen Verleumdung von Privatpersonen
gleichgestellt (§. 156. Abs. 2.), das Strafmaaß der öffentlichen Ver-
leumdung aber erhöht worden. x) -- Bei der Feststellung mildernder
Umstände wird, abgesehen von den ganzen geringfügigen Fällen, besonders
darauf Rücksicht zu nehmen sein, ob die Beleidigung durch das unge-
rechtfertigte Benehmen der verletzten Person hervorgerufen worden ist;
und bei der Verleumdung namentlich, ob derjenige, welcher sie unwahre
Thatsachen verbreitete, dabei in böswilliger Absicht oder nur aus Fahr-
lässigkeit gehandelt hat.

Die von dem Vertreter der Regierung in der Kommission der zwei-
ten Kammer angeregte Frage, ob nicht zu der im zweiten Absatz ange-
drohten Strafe die zeitige Untersagung der Ausübung der bürgerlichen
Ehrenrechte hinzutreten müsse, wurde in der Kommission verneint. Die
Gründe der Entscheidung werden unten zu §. 156. erwähnt werden.

V. Die politische Stellung der Kammer und deren Mitglieder
bedingt es daß die Verfolgung der gegen sie gerichteten Beleidigungen
nur mit ihrer Zustimmung geschehe (§. 103. Abs. 1.); in den übrigen
Fällen des §. 102. bedarf es eines Antrages des Verletzten nicht, so daß
also die Einleitung der Verfolgung von Amtswegen statt findet. Dieß
ist eine Abweichung von dem früher in dieser Beziehung durchgeführten
Grundsatze: Der Entwurf von 1847. bestimmte:

§. 204. "Wegen Verletzung der Amts- oder Dienstehre findet die
Bestrafung statt, sowohl wenn der Beleidigte, als wenn die Dienstbe-
hörde darauf anträgt. So lange die Strafvollstreckung noch nicht an-

x) Der Begriff der öffentlichen Beleidigung und Verleumdung wird nach dem
Strafgesetzbuch (§. 152.) nur auf die Art der Verübung bezogen; früher unterschied
man sich öffentliche und Privatbeleidigung der Obrigkeit, je nachdem sie während der
Amtsführung oder um derselben willen zugefügt war, oder die Beleidigung in keiner
Beziehung zum Amte stand. Vgl. A. D. Weber, über Jujurien und Schmähschrif-
ten. III. S. 190-244.

§§. 102. 103. Beleidigung der Kammer ꝛc.
Amtes, “ ſo wie des Code pénal (Art. 222.): dans l'exercice de leurs
fonctions ou à l'occasion de cet exerice.
Sie drückt daſſelbe aus,
was die älteren Juriſten unter den Worten: ratione officii oder intuitu
officii
verſtanden, leidet aber freilich auch an derſelben Unbeſtimmtheit
des Begriffs. Im Allgemeinen wird der Unterſchied darein zu ſetzen
ſein, ob der Beamte u. ſ. w. als ſolcher oder als Privatperſon belei-
digt worden, was dem auch auf Körperſchaften und Behörden anzu-
wenden iſt.

IV. Hinſichtlich der Strafe wird unterſchieden die Beleidigung und
die Verleumdung. Die der erſteren iſt beträchlich höher, als ſie bei der
öffentlichen Privatehrverletzung vorgeſchrieben worden(§. 152.), — es
iſt die der einfachen Verleumdung (§. 156. Abſ. 1.); die einfache Ver-
leumdung iſt hier der öffentlichen Verleumdung von Privatperſonen
gleichgeſtellt (§. 156. Abſ. 2.), das Strafmaaß der öffentlichen Ver-
leumdung aber erhöht worden. x) — Bei der Feſtſtellung mildernder
Umſtände wird, abgeſehen von den ganzen geringfügigen Fällen, beſonders
darauf Rückſicht zu nehmen ſein, ob die Beleidigung durch das unge-
rechtfertigte Benehmen der verletzten Perſon hervorgerufen worden iſt;
und bei der Verleumdung namentlich, ob derjenige, welcher ſie unwahre
Thatſachen verbreitete, dabei in böswilliger Abſicht oder nur aus Fahr-
läſſigkeit gehandelt hat.

Die von dem Vertreter der Regierung in der Kommiſſion der zwei-
ten Kammer angeregte Frage, ob nicht zu der im zweiten Abſatz ange-
drohten Strafe die zeitige Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen
Ehrenrechte hinzutreten müſſe, wurde in der Kommiſſion verneint. Die
Gründe der Entſcheidung werden unten zu §. 156. erwähnt werden.

V. Die politiſche Stellung der Kammer und deren Mitglieder
bedingt es daß die Verfolgung der gegen ſie gerichteten Beleidigungen
nur mit ihrer Zuſtimmung geſchehe (§. 103. Abſ. 1.); in den übrigen
Fällen des §. 102. bedarf es eines Antrages des Verletzten nicht, ſo daß
alſo die Einleitung der Verfolgung von Amtswegen ſtatt findet. Dieß
iſt eine Abweichung von dem früher in dieſer Beziehung durchgeführten
Grundſatze: Der Entwurf von 1847. beſtimmte:

§. 204. „Wegen Verletzung der Amts- oder Dienſtehre findet die
Beſtrafung ſtatt, ſowohl wenn der Beleidigte, als wenn die Dienſtbe-
hörde darauf anträgt. So lange die Strafvollſtreckung noch nicht an-

x) Der Begriff der öffentlichen Beleidigung und Verleumdung wird nach dem
Strafgeſetzbuch (§. 152.) nur auf die Art der Verübung bezogen; früher unterſchied
man ſich öffentliche und Privatbeleidigung der Obrigkeit, je nachdem ſie während der
Amtsführung oder um derſelben willen zugefügt war, oder die Beleidigung in keiner
Beziehung zum Amte ſtand. Vgl. A. D. Weber, über Jujurien und Schmähſchrif-
ten. III. S. 190-244.
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[271/0281] §§. 102. 103. Beleidigung der Kammer ꝛc. Amtes, “ ſo wie des Code pénal (Art. 222.): dans l'exercice de leurs fonctions ou à l'occasion de cet exerice. Sie drückt daſſelbe aus, was die älteren Juriſten unter den Worten: ratione officii oder intuitu officii verſtanden, leidet aber freilich auch an derſelben Unbeſtimmtheit des Begriffs. Im Allgemeinen wird der Unterſchied darein zu ſetzen ſein, ob der Beamte u. ſ. w. als ſolcher oder als Privatperſon belei- digt worden, was dem auch auf Körperſchaften und Behörden anzu- wenden iſt. IV. Hinſichtlich der Strafe wird unterſchieden die Beleidigung und die Verleumdung. Die der erſteren iſt beträchlich höher, als ſie bei der öffentlichen Privatehrverletzung vorgeſchrieben worden(§. 152.), — es iſt die der einfachen Verleumdung (§. 156. Abſ. 1.); die einfache Ver- leumdung iſt hier der öffentlichen Verleumdung von Privatperſonen gleichgeſtellt (§. 156. Abſ. 2.), das Strafmaaß der öffentlichen Ver- leumdung aber erhöht worden. x) — Bei der Feſtſtellung mildernder Umſtände wird, abgeſehen von den ganzen geringfügigen Fällen, beſonders darauf Rückſicht zu nehmen ſein, ob die Beleidigung durch das unge- rechtfertigte Benehmen der verletzten Perſon hervorgerufen worden iſt; und bei der Verleumdung namentlich, ob derjenige, welcher ſie unwahre Thatſachen verbreitete, dabei in böswilliger Abſicht oder nur aus Fahr- läſſigkeit gehandelt hat. Die von dem Vertreter der Regierung in der Kommiſſion der zwei- ten Kammer angeregte Frage, ob nicht zu der im zweiten Abſatz ange- drohten Strafe die zeitige Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte hinzutreten müſſe, wurde in der Kommiſſion verneint. Die Gründe der Entſcheidung werden unten zu §. 156. erwähnt werden. V. Die politiſche Stellung der Kammer und deren Mitglieder bedingt es daß die Verfolgung der gegen ſie gerichteten Beleidigungen nur mit ihrer Zuſtimmung geſchehe (§. 103. Abſ. 1.); in den übrigen Fällen des §. 102. bedarf es eines Antrages des Verletzten nicht, ſo daß alſo die Einleitung der Verfolgung von Amtswegen ſtatt findet. Dieß iſt eine Abweichung von dem früher in dieſer Beziehung durchgeführten Grundſatze: Der Entwurf von 1847. beſtimmte: §. 204. „Wegen Verletzung der Amts- oder Dienſtehre findet die Beſtrafung ſtatt, ſowohl wenn der Beleidigte, als wenn die Dienſtbe- hörde darauf anträgt. So lange die Strafvollſtreckung noch nicht an- x) Der Begriff der öffentlichen Beleidigung und Verleumdung wird nach dem Strafgeſetzbuch (§. 152.) nur auf die Art der Verübung bezogen; früher unterſchied man ſich öffentliche und Privatbeleidigung der Obrigkeit, je nachdem ſie während der Amtsführung oder um derſelben willen zugefügt war, oder die Beleidigung in keiner Beziehung zum Amte ſtand. Vgl. A. D. Weber, über Jujurien und Schmähſchrif- ten. III. S. 190-244.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/281>, abgerufen am 28.03.2024.