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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 241. Begriff.

III. Zur Bezeichnung des besonderen Dolus bei dem Betruge hatte
die Staatsraths-Kommission, um dem richterlichen Ermessen eine gewisse
Leitung zu geben, den Ausdruck "arglistig" gewählt, so daß es in der
Definition (Entwurf von 1843. §. 448.) hieß: "Wer -- -- Jemanden
arglistiger Weise in einen Irrthum versetzt und dadurch in Schaden
bringt" --. l) Später hielt man es für richtiger, den Begriff des Be-
trugs, nach dem Vorgange des Sächsischen, Württembergischen und Hes-
sischen Strafgesetzbuchs, ausdrücklich auf das Vorbringen oder Unter-
drücken von "Thatsachen" zu beschränken, damit allgemeine, anpreisende
oder tadelnde Aeußerungen, die mehr die Natur eines Urtheils haben,
ausgeschlossen würden. m) In der weiteren Ausführung dieser Bemer-
kung wurde die Fassung gewählt, welche in den Entwurf von 1847.
und in das Strafgesetzbuch übergegangen ist. n) In der Kommission der
ersten Kammer wurden zwar wegen des Ausdrucks "Thatsachen" Be-
denken geäußert; man war jedoch darin einverstanden, daß unter Um-
ständen auch die Erregung eines Rechtsirrthums unter diesen Begriff
falle, und deswegen strafbar sei. o)

IV. Der Entwurf von 1836. hatte abweichend von dem Allg.
Landrecht, p) nicht nur die vorsätzliche Veranlassung eines Irrthums,
sondern auch die Benutzung eines Irrthums, in welchem sich der Be-
schädigte bereits befindet, zum strafbaren Betruge gerechnet. Diese Auf-
fassung fand aber keine weitere Billigung. Das Kriminalrecht, wurde
dagegen eingewandt, könne den Begriff vom Betruge wohl enger, aber
in keiner Weise weiter fassen, wie das Civilrecht; das Gegentheil würde
zu den auffallendsten Anomalien führen. Wer bei einem Rechtsgeschäfte
in Folge eines Irrthums, an dessen Entstehung der andere Theil nicht
Schuld sei, einen Schaden erleide, müsse diesen sich selbst beimessen;
Niemand habe die rechtliche Verpflichtung, einen Anderen, welcher ein
nachtheiliges Geschäft mit ihm eingehe, vor Schaden zu warnen, und
könne, wenn gleich das Geschäft vielleicht wegen Irrthums ungültig sei,
wegen Unterlassung einer solchen Warnung gestraft werden. Der ent-
gegengesetzte Grundsatz würde in Handel und Wandel ein ungemessenes
Feld für strafbare Handlungen eröffnen. q) Nur das sei allerdings zu
beachten, daß die Benutzung eines Irrthums nicht gleich bedeutend sei

l) Vgl. Bad. Strafgesetzbuch. §. 450.
m) Revision von 1845. III. S. 34.
n) Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 159.
o) Bericht der Kommission der ersten Kammer zu §. 241.
p) A. L. R. II. 20. §. 1256. vgl. mit I. 4. §. 84. ff.
q) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 395. -- Protokolle des
Staatsraths
, Sitzung vom 4. Mai und 7. Mai 1842. -- Verhandlungen
der Staatsraths-Kommission von
1846. S. 157-59.
§. 241. Begriff.

III. Zur Bezeichnung des beſonderen Dolus bei dem Betruge hatte
die Staatsraths-Kommiſſion, um dem richterlichen Ermeſſen eine gewiſſe
Leitung zu geben, den Ausdruck „argliſtig“ gewählt, ſo daß es in der
Definition (Entwurf von 1843. §. 448.) hieß: „Wer — — Jemanden
argliſtiger Weiſe in einen Irrthum verſetzt und dadurch in Schaden
bringt“ —. l) Später hielt man es für richtiger, den Begriff des Be-
trugs, nach dem Vorgange des Sächſiſchen, Württembergiſchen und Heſ-
ſiſchen Strafgeſetzbuchs, ausdrücklich auf das Vorbringen oder Unter-
drücken von „Thatſachen“ zu beſchränken, damit allgemeine, anpreiſende
oder tadelnde Aeußerungen, die mehr die Natur eines Urtheils haben,
ausgeſchloſſen würden. m) In der weiteren Ausführung dieſer Bemer-
kung wurde die Faſſung gewählt, welche in den Entwurf von 1847.
und in das Strafgeſetzbuch übergegangen iſt. n) In der Kommiſſion der
erſten Kammer wurden zwar wegen des Ausdrucks „Thatſachen“ Be-
denken geäußert; man war jedoch darin einverſtanden, daß unter Um-
ſtänden auch die Erregung eines Rechtsirrthums unter dieſen Begriff
falle, und deswegen ſtrafbar ſei. o)

IV. Der Entwurf von 1836. hatte abweichend von dem Allg.
Landrecht, p) nicht nur die vorſätzliche Veranlaſſung eines Irrthums,
ſondern auch die Benutzung eines Irrthums, in welchem ſich der Be-
ſchädigte bereits befindet, zum ſtrafbaren Betruge gerechnet. Dieſe Auf-
faſſung fand aber keine weitere Billigung. Das Kriminalrecht, wurde
dagegen eingewandt, könne den Begriff vom Betruge wohl enger, aber
in keiner Weiſe weiter faſſen, wie das Civilrecht; das Gegentheil würde
zu den auffallendſten Anomalien führen. Wer bei einem Rechtsgeſchäfte
in Folge eines Irrthums, an deſſen Entſtehung der andere Theil nicht
Schuld ſei, einen Schaden erleide, müſſe dieſen ſich ſelbſt beimeſſen;
Niemand habe die rechtliche Verpflichtung, einen Anderen, welcher ein
nachtheiliges Geſchäft mit ihm eingehe, vor Schaden zu warnen, und
könne, wenn gleich das Geſchäft vielleicht wegen Irrthums ungültig ſei,
wegen Unterlaſſung einer ſolchen Warnung geſtraft werden. Der ent-
gegengeſetzte Grundſatz würde in Handel und Wandel ein ungemeſſenes
Feld für ſtrafbare Handlungen eröffnen. q) Nur das ſei allerdings zu
beachten, daß die Benutzung eines Irrthums nicht gleich bedeutend ſei

l) Vgl. Bad. Strafgeſetzbuch. §. 450.
m) Reviſion von 1845. III. S. 34.
n) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 159.
o) Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu §. 241.
p) A. L. R. II. 20. §. 1256. vgl. mit I. 4. §. 84. ff.
q) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 395. — Protokolle des
Staatsraths
, Sitzung vom 4. Mai und 7. Mai 1842. — Verhandlungen
der Staatsraths-Kommiſſion von
1846. S. 157-59.
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[461/0471] §. 241. Begriff. III. Zur Bezeichnung des beſonderen Dolus bei dem Betruge hatte die Staatsraths-Kommiſſion, um dem richterlichen Ermeſſen eine gewiſſe Leitung zu geben, den Ausdruck „argliſtig“ gewählt, ſo daß es in der Definition (Entwurf von 1843. §. 448.) hieß: „Wer — — Jemanden argliſtiger Weiſe in einen Irrthum verſetzt und dadurch in Schaden bringt“ —. l) Später hielt man es für richtiger, den Begriff des Be- trugs, nach dem Vorgange des Sächſiſchen, Württembergiſchen und Heſ- ſiſchen Strafgeſetzbuchs, ausdrücklich auf das Vorbringen oder Unter- drücken von „Thatſachen“ zu beſchränken, damit allgemeine, anpreiſende oder tadelnde Aeußerungen, die mehr die Natur eines Urtheils haben, ausgeſchloſſen würden. m) In der weiteren Ausführung dieſer Bemer- kung wurde die Faſſung gewählt, welche in den Entwurf von 1847. und in das Strafgeſetzbuch übergegangen iſt. n) In der Kommiſſion der erſten Kammer wurden zwar wegen des Ausdrucks „Thatſachen“ Be- denken geäußert; man war jedoch darin einverſtanden, daß unter Um- ſtänden auch die Erregung eines Rechtsirrthums unter dieſen Begriff falle, und deswegen ſtrafbar ſei. o) IV. Der Entwurf von 1836. hatte abweichend von dem Allg. Landrecht, p) nicht nur die vorſätzliche Veranlaſſung eines Irrthums, ſondern auch die Benutzung eines Irrthums, in welchem ſich der Be- ſchädigte bereits befindet, zum ſtrafbaren Betruge gerechnet. Dieſe Auf- faſſung fand aber keine weitere Billigung. Das Kriminalrecht, wurde dagegen eingewandt, könne den Begriff vom Betruge wohl enger, aber in keiner Weiſe weiter faſſen, wie das Civilrecht; das Gegentheil würde zu den auffallendſten Anomalien führen. Wer bei einem Rechtsgeſchäfte in Folge eines Irrthums, an deſſen Entſtehung der andere Theil nicht Schuld ſei, einen Schaden erleide, müſſe dieſen ſich ſelbſt beimeſſen; Niemand habe die rechtliche Verpflichtung, einen Anderen, welcher ein nachtheiliges Geſchäft mit ihm eingehe, vor Schaden zu warnen, und könne, wenn gleich das Geſchäft vielleicht wegen Irrthums ungültig ſei, wegen Unterlaſſung einer ſolchen Warnung geſtraft werden. Der ent- gegengeſetzte Grundſatz würde in Handel und Wandel ein ungemeſſenes Feld für ſtrafbare Handlungen eröffnen. q) Nur das ſei allerdings zu beachten, daß die Benutzung eines Irrthums nicht gleich bedeutend ſei l) Vgl. Bad. Strafgeſetzbuch. §. 450. m) Reviſion von 1845. III. S. 34. n) Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 159. o) Bericht der Kommiſſion der erſten Kammer zu §. 241. p) A. L. R. II. 20. §. 1256. vgl. mit I. 4. §. 84. ff. q) Berathungs-Protokolle a. a. O. S. 395. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 4. Mai und 7. Mai 1842. — Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 157-59.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/471>, abgerufen am 20.04.2024.