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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Sechstes Kapitel.
Fortsetzung. -- Das Recht der Genossenschaft.
I. Geschichtliche Einleitung.

Der Geselligkeitstrieb ist dem Menschen eingeboren; die
Familie und der Staat beruhen darauf, ohne ihn läßt sich
keine dauernde Vereinigung zu gemeinsamen Zwecken denken.
Aber die Wirksamkeit dieses Triebes ist selbst bei den edleren
Völkern verschieden, indem er bald in wenigen festen Bildun-
gen, welche den ganzen Menschen in Anspruch nehmen, sich
abschließt, bald eine große Mannichfaltigkeit äußerer Erscheinun-
gen hervorruft, in denen die besonderen Bedürfnisse und Zwecke
der Einzelnen auf die Dauer ihre Befriedigung finden. Zwar
setzt die höchste Entfaltung der Menschheit im Staate stets
voraus, daß schon ein gewisser Bildungsproceß vorhergegangen,
während dessen sich die Völker in niedrigeren Formen zum Hö-
heren vorbereiten, und so kann auch dem antiken Staat die
ihm entsprechende Erscheinung des Mittelalters nicht verglichen
werden, da dieses die Entwicklung des modernen Staates erst
vorbereiten mußte, wie auch die Völker der alten Welt eine
solche Vorschule durchlaufen haben. Aber stellen wir auch
nur das Gleichartige zusammen: eine wie ganz andere war
doch, verglichen mit dem politischen Leben unserer Tage, die
Anziehungskraft, welche der antike Staat in seiner Blüthe
ausübte, vor dem das eigentliche Familienleben und die niede-
ren Stufen des Gemeinwesens fast ganz verschwanden, mit
dem keine Persönlichkeit selbstberechtigt in Widerspruch gerathen

Sechſtes Kapitel.
Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft.
I. Geſchichtliche Einleitung.

Der Geſelligkeitstrieb iſt dem Menſchen eingeboren; die
Familie und der Staat beruhen darauf, ohne ihn laͤßt ſich
keine dauernde Vereinigung zu gemeinſamen Zwecken denken.
Aber die Wirkſamkeit dieſes Triebes iſt ſelbſt bei den edleren
Voͤlkern verſchieden, indem er bald in wenigen feſten Bildun-
gen, welche den ganzen Menſchen in Anſpruch nehmen, ſich
abſchließt, bald eine große Mannichfaltigkeit aͤußerer Erſcheinun-
gen hervorruft, in denen die beſonderen Beduͤrfniſſe und Zwecke
der Einzelnen auf die Dauer ihre Befriedigung finden. Zwar
ſetzt die hoͤchſte Entfaltung der Menſchheit im Staate ſtets
voraus, daß ſchon ein gewiſſer Bildungsproceß vorhergegangen,
waͤhrend deſſen ſich die Voͤlker in niedrigeren Formen zum Hoͤ-
heren vorbereiten, und ſo kann auch dem antiken Staat die
ihm entſprechende Erſcheinung des Mittelalters nicht verglichen
werden, da dieſes die Entwicklung des modernen Staates erſt
vorbereiten mußte, wie auch die Voͤlker der alten Welt eine
ſolche Vorſchule durchlaufen haben. Aber ſtellen wir auch
nur das Gleichartige zuſammen: eine wie ganz andere war
doch, verglichen mit dem politiſchen Leben unſerer Tage, die
Anziehungskraft, welche der antike Staat in ſeiner Bluͤthe
ausuͤbte, vor dem das eigentliche Familienleben und die niede-
ren Stufen des Gemeinweſens faſt ganz verſchwanden, mit
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[[158]/0170] Sechſtes Kapitel. Fortſetzung. — Das Recht der Genoſſenſchaft. I. Geſchichtliche Einleitung. Der Geſelligkeitstrieb iſt dem Menſchen eingeboren; die Familie und der Staat beruhen darauf, ohne ihn laͤßt ſich keine dauernde Vereinigung zu gemeinſamen Zwecken denken. Aber die Wirkſamkeit dieſes Triebes iſt ſelbſt bei den edleren Voͤlkern verſchieden, indem er bald in wenigen feſten Bildun- gen, welche den ganzen Menſchen in Anſpruch nehmen, ſich abſchließt, bald eine große Mannichfaltigkeit aͤußerer Erſcheinun- gen hervorruft, in denen die beſonderen Beduͤrfniſſe und Zwecke der Einzelnen auf die Dauer ihre Befriedigung finden. Zwar ſetzt die hoͤchſte Entfaltung der Menſchheit im Staate ſtets voraus, daß ſchon ein gewiſſer Bildungsproceß vorhergegangen, waͤhrend deſſen ſich die Voͤlker in niedrigeren Formen zum Hoͤ- heren vorbereiten, und ſo kann auch dem antiken Staat die ihm entſprechende Erſcheinung des Mittelalters nicht verglichen werden, da dieſes die Entwicklung des modernen Staates erſt vorbereiten mußte, wie auch die Voͤlker der alten Welt eine ſolche Vorſchule durchlaufen haben. Aber ſtellen wir auch nur das Gleichartige zuſammen: eine wie ganz andere war doch, verglichen mit dem politiſchen Leben unſerer Tage, die Anziehungskraft, welche der antike Staat in ſeiner Bluͤthe ausuͤbte, vor dem das eigentliche Familienleben und die niede- ren Stufen des Gemeinweſens faſt ganz verſchwanden, mit dem keine Perſoͤnlichkeit ſelbſtberechtigt in Widerſpruch gerathen

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. [158]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/170>, abgerufen am 16.04.2024.